perspektive 121, 2024 - K1E Gruppe
Verlage, Zeitschriften
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Kristian Kühn
Passend (gemacht) werden
Perspektive. Hefte für zeitgenössische Literatur. Heft 121,
Graz 2024. 100 Seiten. 7,00 Euro.
Immer wieder erhalte ich diese kompakten Taschenbüchlein der
„perspektive“ aus Graz, sie sind rauh und streng und undurchdringlich, als
würde es eine Mauer geben zu jenen, die andere Zeitschriften halten, um sie vielleicht
später einmal zu lesen, vor sich herschiebend, zwischen Anspruch und Kraft bzw.
Notwendigkeit, doch ist ihre Anwesenheit fordernd, und heute will ich mal
Werbung machen für diese Zeitschrift:
K1E Gruppe heißt es mit Filzstift zu Anfang (auf dem
Pappendeckel) dieses Hefts Nr. 121, unter einem abgebildeten Granitsockel, auf
dem sich allerdings keine Statue befindet, sie ist abgeschlagen, sondern nur
ein Paar Füße. Stehende, haftende Barfüße, (das Cover ist von Elke Auer), und
so greife ich nicht zu dem Editorial des Herausgebers Stefan Schmitzer und auch
nicht zu dem Notorial des Mitherausgebers Ralf B. Korte („Oder was nach dem
still Stehen im Rasen kommt“), sondern zu der Kolumne der Dadasophin Sylvia
Egger, „Tang-KRAM Auslegeware“ heißt sie, in der achten Folge diesmal. Die perspektive
als Zeitschrift hat vier Kolumnist:innen, die zu einem Thema sich
gegenseitig seit längerem ergänzen.
Und ich fange in meiner Art, irgendwo aufzuschlagen, wohin
meine Finger mich leiten, mit dieser Dadasophin an, und sie spricht, sehr
sympathisch, tatsächlich davon, dass Kolum-nist:innen „die reinste
TEXTwegelagerei“ betreiben. TangKram oder Tangram ist ja, wie ich herausfinde,
ein altes chinesisches Legespiel, vorwiegend für Kinder (Dada basiert angeblich
ebenso auf einem Kinderzeig) und geht in dieser Folge 8 von einem
Kolumnist:innen-Treffen in Berlin aus. Ja, so heißt es im Editorial, dass das Thema
der vier Kolumnen diesmal um den Zugriff auf die veränderte politische Lage für
Schreibende aller Art gehe, sprich um das „Verhältnis von Medienkonsument*in,
Medium und Urheber*in zueinander“. Dabei im Blick die Angst vor Enten,
Fälschungen, Falten und ihrer kaum noch möglichen Identifizierbarkeit mangels geplant
fehlender Faktenchecks. „Wahrheit gleicht dann, dem Vorschein nach, jedem
dahergelaufenen Gewaltverhältnis – sowohl journalistische Wahrheit als auch Wahrheit
in ihren philosophischen Auffaltungen.“ (Schmitzer)
Zu diesem Zweck traf sich im August 2024, wie gesagt, in
Berlin die Vierer-Kolumnist*innengruppe. Mit dabei der Mitherausgeber Ralf B. Korte
(„als fremder schau ich zu.“). Sein Notorial beklagt die derzeit politische Ohnmacht
der Perspektive bei Grenz-schließungen, dem Abgrenzungsvokabular, dem „KI-generierten
Zauberwald billiger antimoderner Mythen.“ Als Fremder schaue er auch den
Ereignissen in Österreich zu, leider, obwohl es sich doch um eine primär
österreichische Zeitschrift bei der perspektive handele.
Zurück zur Dadasophin und ihrer Auslegeware 8, der ich bei
ihrem sprunghaften Dadastil, ihren Sprachspielen, Geistesblitzen, jetzt,
nachdem ich mich im ganzen Heft umgeschaut habe, sozusagen beim zweiten Lesen
besser folgen kann, mit dem Aufschlagen begann ja zunächst für mich eine ziemliche
Schnitzeljagd, analog zum vorgegebenen Thema, was denn Fakten seien, und wie
das mit dem bedrohten Faktencheck zu verstehen sei: sie beginnt ihre Argumente mit
einem podcast „Hanser Rauschen“ vom 20. Oktober 2024, also nach dem Kolumnist*innen-Treffen
im August, der mit dem Titel: „Sex, Lügen und Buchmesse“ überschrieben ist und
sich live auf die Ereignisse der letzten Frankfurter Buchmesse bezieht, verfasst
von den Hanser-Lektor:innen Emily Modick und Florian Kessler. (Fazit: Sie mögen die Buchmesse wahnsinnig gerne, obwohl
ihnen Kunsthonig im Gedränge an den Körper geschmiert wurde. Und dann der Gossip.
Tja. Und natürlich, sie (Ton Hanser) „schlagen eine Bresche für die Gegenwartsliteratur
– Enjoy!“*
Ton Dadasophin derweil: „JAJASOWASVONJA. Und wir sind
schon weder noch mehr unter sich noch außen vor. SIE doom-monger aber auch //
keep bowling alone!“
Unheilsbringer, solln sie doch weiter solo spielen. Tja. Dieses
„Bowling Alone“ bezieht die Dadasophin auf das gleichnamige Buch des amerikanischen
Soziologen und Politikwissenschaftlers David Putnam, das sich um die verloren
gegangene Solidarität im 21. Jahrhundert dreht. Und um die zunehmende Isolation
in den amerikanischen communities. Warum nun, fragt die Dadasophin, sollen wir Kolumnist:innen
überhaupt eine Gruppe bilden? Weil sie (a) zu viert in vielen Punkten einer
Meinung sind? Weil sich (b) im literarischen Feld „99% aller autor:innen nach
einer community sehnen“?, oder weil so eine Gruppe (c) die letzte Möglichkeit zu
sein scheint, sich im literarischen Betrieb zu positionieren?
Nun geht sie zehn Jahre zurück, als Florian Kessler mit
seinem Kommentar „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!“ auf ZEIT Online (leider
zurzeit Zahlschranke) Aufsehen erregte. Damals schon, sagt sie, Kessler zitierend,
basierte der Erfolg auf einem Dabeisein bei einer „bestimmten In-crowd aus
publizierenden Prominenten, Buchmarktleuten, Journalisten und Betriebsnudeln“.
Die Dadasophin folgt im Laufe ihrer Kolumne dann weiter diesem „informellen
Geflecht“ nach und berichtet von Frauke Siebels‘ Recherchen für den mdr 01/2023
am Literaturinstitut Leipzig, „Was Studierende des DLL mit ihrem Abschluss
anfangen können“. Sie kommt zu der Vermutung, mit dem Literaturinstitut erhalte
man auch Zugriff auf ein entsprechendes Netzwerk, deshalb sei das Institut eine
Art „Durchlauf-erhitzer“: „Autor:innen und Institutionen passen halt nach
und nach zusammen. Eine gewisse Homogenität erzeugt dann ein entsprechendes Passungsverhältnis.“
Literarische Gruppen hätten, weil sie sich auch taktisch abzugrenzen
versuchen, nicht unbedingt das gleiche erforderliche Passungsverhältnis, um so
identisch zu sein, wie erwünscht. Hierzu zitiert die Dadasophin Caroline
Amlinger, die als Assistentin am Lehrstuhl von Professorin Nicola Gess für
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft in Basel auch über „Halbwahrheiten.
Wahrheit, Fiktion und Konspiration im postfaktischen Zeitalter“ gearbeitet und diverse
Texte über das Autorinnensein und das erforderliche Umfeld dafür geschrieben hat.
Auch Sonja Lewandowski betone in ihrem Essay „Entzauberung der literarischen
Welt“ im Literarischen Monat, dem Schweizer Literaturmagazin 05/2019, die „passgenauen
Vorgänge, die die Literatur überformen“, so dass dank einer „gut ausgebildeten Patronagekultur“
die Literaturinstitute den Eintritt in den Literaturbetrieb durch „nützliche Netzwerkbeziehungen“
ermöglichen, die Pierre Bourdieu „Sozialkapital“ nenne.**
Deshalb kommt die Dadasophin bei ihrer Frage, ob es Sinne
mache, einekeine Gruppe weiterzuentwicken, zum Ergebnis c = letzte Möglichkeit,
um „gemeinsam argumentative Spuren zu hinterlassen“ und vielleicht auch einen „offenen
Blick durch die Intimität des Betriebsbiedermeiers“ zu erwischen.
Die drei anderen Kolumnen zu diesem Thema, nämlich von Alba Maria
Cruz (Bittersüß: Passt euch das?), von Ariane Hassan Pour-Razavi (Herzblut) und
Anke Finger (LiteraturUX 8) werde ich jetzt aus Zeit- und Platzgründen
auslassen, obwohl sie allesamt nicht minder spannend sind. Ebenso den anderen
Teil des Heftes, Texte von Jonis Hartmann, Katharina Körting, Kai Pohl, Clemens
Schittko, Tibor Schneider und anderen.
* https://hanser-rauschen.podigee.io/88-new-episode
** Pierre Bourdieu: Das Sozialkapital. In: Peripherie 99/2005