Papenfuß, Lippok: Psychonautikon
Michael Braun
Hochheiliger Nibelungenquatsch
„Psychonautikon Prenzlauer Berg“ - eine Kulturgeschichte der poetischen Renitenz
Es war einmal ein blendend aussehender Dichter in schwarzer Lederkluft, der den Mythos der poetischen Renitenz im Prenzlauer Berg mit sehr wortnärrischen, politisch respektlosen, aufsässigen Gedichten begründete. „dreizehntanz“ hieß der Gedichtband, mit dem der experimentelle Wortartist Bert Papenfuß-Gorek 1988 „gegen ferfestigungen / ferfestigter zungen“ anschrieb und die herrschende Grammatik des SED-Staats aus den Angeln hob. Um die vorlauten Rivalen aus der subliterarischen Szene der „Prenzlauer-Berg-Connection“ in ihrem Übermut ein wenig zu dämpfen, hatte damals der Dichter Volker Braun in „Sinn und Form“ einen sehr boshaften Aufsatz veröffentlicht, der die rebellischen Gesten der von ihm belächelten „Neutöner“ doch deutlich relativierte. „Unsere jungen Dichter“, so Braun damals, „verbrauchen ihre Fantasie an Tunnels und Fesselballons, ihre >monologe gehen rechtens fremd<, Fluchten wieder, aber auf Hasenpfoten...unsere vermeintlichen Neutöner, Hausbesetzer in den romantischen Quartieren (wo sie sich ordentlich führen) , sind wohl gute Anschaffer, die fleißig auf den Putz hauen, Hucker, nicht Maurer.“ Als Hauptverantwortliche und Unterstützerin dieser ästhetisch renitenten Poeten hatte Volker Braun die von ihm so apostrophierte „Flip-out-Elke“ ausgemacht, die an poetischer Aufsässigkeit seit je interessierte Elke Erb, die mit der Anthologie „Berührung ist keine Randerscheinung“ (Kiepenheuer & Witsch 1985) den Aufbruch der jungen Poeten in der DDR motiviert und dokumentiert hatte.
Dreißig Jahre nach Volker Brauns Ironisierungen der Prenzelberg-Dichter hat sich die Szenerie von Grund auf verändert. Nach Sascha Andersons literarischem Offenbarungseid als Mitarbeiter der Stasi war das Ansehen der experimentell ambitionierten Dichterszene im Berliner Osten dramatisch gesunken.
Bert Papenfuß indes blieb der Gralshüter der anarchistischen Bewusstseinshaltung und die Zentralfigur der poetischen Renitenz. Während viele experimentell ambitionierte Dichter aus jenen Aufbruchsjahren in die Komfortzonen des Literaturbetriebs abwanderten oder in der Bedeutungslosigkeit versanken, erfand Papenfuß immer neue Kraftorte des literarischen Anarchismus. Zunächst waren es Zeitschriften im Geiste des Dadaisten und Anarchisten Franz Jung (1888-1963), mit denen Papenfuß den Mythos der anarchistischen Rebellion am Leben hielt.
Es waren Zeitschriften mit kampfeslustigen Namen, die zwar nur eine kurze Lebensdauer hatten, aber dann sofort ein Nachfolge-Perodikum generierten: Zeitschriften wie das 1997 im Basis Druck Verlag gegründete Blatt „SKLAVEN“, auf die der „SKLAVEN Aufstand“ folgte, danach der „GEGNER“. Nach weiteren publizistischen Probeläufen mit Blättern wie „floppy myriapoda“, „telegraph“ und „Zonic“ wurde dann ab 2013 das anarchistische Zentralorgan „ABWÄRTS!“ ins Leben gerufen, worin bis heute die schwarze Fahne der Anarchie geschwenkt wird.
All diese Metamorphosen und Mutationen des anarchistischen Biotops im Prenzlauer Berg kann man nun in einem herrlich ausgestatteten und mit Zeichnungen von Ronald Lippok und heiteren Fußnoten von Papenfuß versehenen Buch nachlesen, das in dem Nürnberger Künstlerbuch-Verlag „starfruit publications“ erschienen ist. Allein schon die sorgfältig erstellte Typographie und die liebevolle Gestaltung, die dem „starfruit“-Verleger Manfred Rothenberger zu verdanken ist, machen dieses „Psychonautikon Prenzlauer Berg“ zu einem großen Lesevergnügen. Die Gedichte und Traktate werden auf weißem Papier im Querformat präsentiert, auf gelbem Papier dann die ethnografischen Gespräche zur Genese des anarchistischen Biotops. Auch wenn man nicht bereit ist, in die kokette anarchistische Selbstbeweihräucherung der Autoren mit einzustimmen, liest man mit Begeisterung diese kleine Kulturgeschichte der poetischen Renitenz. Aus dem Mann mit der Lederkluft ist dreißig Jahre später ein Mann mit üppigem Seemannsbart geworden, der seine experimentellen Poeme in Moritaten, Traktate und lästerliche Lieder verwandelt hat. Bert Papenfuß, der Wortartist, hat mittlerweile eine Poetik der heiter-beiläufigen Schnoddrigkeit entwickelt, die ihre Quellen und Stichwortgeber aus altnordischen Mythologien, Störtebeker-Romantik, der Gaunersprache Rotwelsch und anarchistischem Schrifttum bezieht. Das klingt manchmal verdammt kalauerhaft oder bierselig, zelebriert aber in den stärkeren Passagen einen immer noch verblüffenden Wörter-Tanz. In heiterer Selbststilisierung entwerfen Papenfuß, Ronald Lippok und Annett Gröschner eine „psychogeographische“ Weltkarte des Prenzlauer Bergs, wo alle kleinen Kampfplätze der Szene eingezeichnet werden und wo am Ende deutlich wird, dass alle Wege der Anarchie in die Metzer Straße und die dort von Bert Papenfuß bis September 2015 betriebene Kulturspelunke „Rumbalotte Continua“ führen. Wer jemals als Nicht-Eingeweihter die Schwelle dieser wirkungsmächtigen Raucherkneipe überschritt, geriet nach kurzer Zeit in Atemnot. Denn so viel dicke Luft und auch heiße Luft hat sich wohl kaum jemals in einem Lokal der Gegenwart zu so vielen Ideen der Renitenz inkarniert. In einem Papenfuß-Gedicht aus neuerer Zeit heißt es vielsagend: „Hochheiliger Nibelungenquatsch, / Remmidemmi und Kladderadatsch: / Ich geh schon mal ausbüxen. / So weit, so ungefähr. Ratze-/ kahl. Das Glas ist leer.“ Diese Gestalter des poetischen „Remmidemmis“, die hier ihren privatanarchistischen Mythen-Mix vorlegen – sie verstehen es wirklich sehr gut, auf den Putz zu hauen. Auch wenn dabei die eigenen Legendenbildungen immer mehr abbröckeln.
Bert Papenfuß/Ronald Lippok: Psychonautikon Prenzlauer Berg. Gedichte und Texte: Bert Papenfuß. Zeichnungen: Ronald Lippok. starfruit publications, Nürnberg 2015. 216 Seiten, 21 Euro.