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Pajtim Statovci: Meine Katze Jugoslawien

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Stefan Hölscher

Pajtim Statovci: Meine Katze Jugoslawien. Übersetzt von Stefan Moster. München (Luchterhand) 2024. 321 Seiten. 24,00 Euro.

Die Sehnsucht nach Liebe in einer aus den Fugen geratenen Welt


Zuerst war ich zugegebenermaßen ein wenig skeptisch. Ein gut 300 Seiten langer Roman mit dem Titel „Meine Katze Jugoslawien“, der, wie es im Pressetext gleich zweimal direkt nacheinander heißt, „wunderbar skurril und magisch“ sein soll, löst in mir direkt gemischte Gefühle aus. Wird das vielleicht ein wenig trivial, übersentimental oder kitschig? Und wie gekonnt, oder vielleicht doch ein wenig zu bemüht, wird hier mit „Skurrilität und Magie“ verfahren? – Um es gleich vorwegzunehmen: Trotz des, wenngleich aus dem finnischen Original ziemlich wörtlich übersetzten und vielleicht nicht ganz ideal gewählten, Titels ist dies vermutlich der beste Roman, den ich in den letzten 12 Monaten gelesen habe.

„Meine Katze Jugoslawien“ ist der Debütroman von Pajtim Statovci, der nun bei Luchter-hand, nach seinem bereits 2021 veröffentlichten zweiten Roman „Grenzgänge“, erschienen ist. Der 1990 geborene und mittlerweile mit zahlreichen Preisen gewürdigte Statovci schreibt in der Sprache des Zufluchtsorts seiner Eltern, die, als er zwei Jahre alt war, krisen- und kriegsbedingt aus dem Kosovo nach Finnland geflohen sind. Ins Deutsche übertragen wurde „Meine Katze Jugoslawien“, wie auch schon „Grenzgänge“, von dem unter anderem mit dem finnischen Übersetzerpreis ausgezeichneten Stefan Moster.

Ebenso zupackend wie feinfühlig erzählt Statovci eine 1980 beginnende und über mehrere Jahrzehnte gehende Familiengeschichte, die zugleich ein Spiegel von Gesellschaft, Kultur, Krieg, Flucht, Integrationsproblematik und der Suche nach Wurzeln, Zugehörigkeit, Liebe und Identität ist. Emine, die aus einfachen Verhältnissen stammt, wird früh verheiratet. Ihr Mann Bajram erscheint ihr ebenso schön wie wohlhabend und mächtig. Alles scheint absolut festgefügt: der Ablauf der Hochzeit, das weitere Leben, die Familie, die Religion, die gesellschaftliche Stellung. Dass dann aber alles anders kommt als von Emine erhofft, wird schon früh deutlich: Schon auf der ersten gemeinsamen Autofahrt, als Bajram Emine von ihrem ärmlichen Zuhause abholt, um sie für immer in sein wohlhabendes Zuhause zu bringen, erwartet er sexuelle Gefügigkeit von ihr und erwidert ihr Nicht-Voll-Genügen mit brutalen Schlägen, mit denen er später auch seine Kinder malträtiert. Die Familie, die scheinbar wie ein Heiligtum geehrt wird, erweist sich als Ort von Beziehungslosigkeit und Gewalt. Und auch außen gerät die Welt aus den Fugen: Durch die Repressalien, denen die Familie in ihrer Heimat ausgesetzt ist und die schließliche Flucht in das ebenso ferne wie fremde Finnland wird aus der ursprünglichen Wohlsituierung im neuen Umfeld eine prekäre und gesell-schaftlich fragile Flüchtlingssituation. Die Familie hangelt sich durch. Bajram versucht, erst mit Jobs und später mit kriminellen Geschäften ihren Unterhalt zu erwerben. Dass die Familie dabei im Kern zerbricht, scheint erst, als es zu spät ist, sichtbar zu werden. Am Ende sind alle allein. Jeder ist seines Weges gezogen ohne die anderen.

Wir erfahren die Geschichte der Familie aus der Perspektive von Emine, die ein wenig naiv, zugleich aber auch empfindsam und reflektiert ist, und aus der damit im Wechsel stehenden Perspektive von Bekim, dem jüngeren ihrer beiden Söhne. Als Kind belastet Bekim seine Eltern durch schier nicht enden wollende Albträume von Schlangen und Katzen. Später tauchen solche Tiere wie Lebenspartner, Feinde und extrem eigenwillige, diabolische Mitbewohner im Leben des putz- und ordnungswütigen Bekim auf. Sie sorgen für Action und wilde Beziehungsdynamik, die ebenso wie seine zumeist vehement beendeten Beziehungen zu vermeintlichen Traumprinzen eine aberwitzige Grundierung in Bekims Dasein bringen. Am Anfang stehen dabei immer feinsinnige Wahrnehmungen und ziemlich romantische Gefühle:

Ich betrachtete ihren zierlichen Kopf, der auf meinem karierten Kopfkissen einer Skulptur glich. Ihr dicker Schnurrbart ragte wie eine Sammlung gespitzter Bleistifte weit ins Zimmer hinein, und ihr Atem schoss als dünnes Pfeifen in die Luft. Die Pfoten waren unter der Wange platziert. Die Katze hatte sich unter zwei Decken zusammengerollt, um sich zu wärmen, denn sie hasste die Kälte und schlotterte schon beim geringsten Frost. Schon in der Nacht hatte sie gesagt, dass es in meiner Wohnung schrecklich kalt sei, die Kälte schlüge einem entgegen, sobald man zur Tür hereinkomme. Sie würde nach einem warmen Platz förmlich suchen müssen. Sie hielt es für äußerst taktlos – nein, sie missbilligte es –, dass ein solches Defizit ignoriert wurde.

Bekim spricht mit seiner Katze so wie er auch mit der gleichfalls in der Wohnung lebenden Boa Constrictor spricht. Er spricht mit sich selbst über sie, aber ebenso auch mit ihnen zusammen – in ganz natürlichem Dialog. Zwischen den Menschen, die die Geschichte bevölkern, wird demgegenüber nur wenig gesprochen – und eigentlich auch immer wieder nur das gleiche, an dem jeder sich festhält: Worte, die nicht zueinander führen, die hilflose Sehnsucht, Herrschaftsanspruch und verkappte Verzweiflung ausdrücken in einer Geschichte, in der so vieles passiert und Einsamkeit gleichzeitig omnipräsent zu sein scheint.

„Meine Katze Jugoslawien“ ist aber keine traurige Story. Es ist eine Story, die uns mit ihrer Spannung mühelos mitgehen lässt, die uns lächeln, lachen, Atem anhalten, erschauern, innehalten und vielleicht auch weinen lässt und die einen Nachhall in uns erzeugt, der länger zu spüren sein dürfte und uns bewegt. Ein Buch mit einem vielleicht seltsamen Titel – aber ein wunderbares Werk!


Wir danken queer.de für die freundliche Erlaubnis der Zweitverwertung dieses Beitrags.


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