Øyvind Rimbereid: Weißer Hase, grauer Hase, schwarz
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Monika Vasik
Øyvind Rimbereid: Weißer Hase, grauer Hase, schwarz. Aus dem
Norwegischen von Klaus Anders. Berlin (Edition Rugerup) 2023. 94 Seiten. 20,00
Euro
„Schleich dich nicht still aus der Geschichte!“
Der norwegische Schriftsteller Øyvind Rimbereid, geboren
1966, wurde vor allem als Dichter bekannt und ist in seinem Land mit mehreren
Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Sein bislang letzter Lyrikband Hvit hare, grå hare, svart erschien 2019
in Norwegen und liegt nun in der Übertragung von Klaus Anders vor. Der
Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass 2011 bereits einer von Rimbereids
Vorgängerbänden, der Gedichtband Herbarium,
in der Edition Rugerup veröffentlicht wurde, ebenfalls in der Übersetzung von
Klaus Anders, was ein Glücksfall ist. Denn Anders hat uns nicht nur seit vielen
Jahren durch seine Übertragungen die Poesie norwegischer Lyriker*innen, etwa
jene von Olav H. Hauge, Ruth Lillegraven oder Kjartan Hatløy, in deutscher
Sprache nahegebracht, sondern er hat die Entwicklung des Lyrikers Øyvind
Rimbereid und sein Werk jahrelang aufmerksam verfolgt und begleitet. In diesem
Buch auftauchende Worte wie still, sacht und achtsam könnten, so gewinnt man
bei der Lektüre den Eindruck, auch auf das Vorgehen des Dichters und
Übersetzers Klaus Anders zutreffen, und ergänzte man sie durch Worte wie
ausdauernd und konsequent, würde man nicht falsch liegen.
Das Buch ist in drei Kapitel und ein Prologgedicht unterteilt. Im
Klappentext heißt es: „Die Gedichte dieses Bandes sind in motivischer Hinsicht
sehr unterschiedlich.“ Dies trifft insofern zu, als sie einerseits Augenmerk
auf das Nahe legen, etwa die Arbeit von Handwerkern in den Blick nehmen, eine
Ode an das Sandpapier, die der Dichter seinem Vater widmete, oder an ein noch
gut funktionierendes altes Schanier eines Kühlschranks anstimmen, über
Kunstwerke norwegischer Künstler*innen sowie über die Natur meditieren oder
Nachrufe für Verstorbene sind. Andererseits richten sie den Blick weit hinaus
in die Welt, auf die Vergänglichkeit alles Seienden sowie auf unsere
Verstrickung in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Rimbereid webt dabei auf
eindrückliche Weise das Nachsinnen über seine persönliche
(Familien)Geschichte ein, verschiedenste Begegnungen,
Erlebnisse und Erinnerungen. Vor allem visuelle Sinneseindrücke und das Wie
ihrer Verarbeitung werden auf vielfältige Weise durchgespielt, seltener
Gehörtes und Gerüche. Fast alle Gedichte variieren ein Thema, das sich
allmählich herauskristallisiert: Kann man Geschichten der Wirklichkeit, jener
der Welt und der eigenen, in der Erinnerung, in einem Bild oder in einem
Gedicht festhalten? Wo liegen die Mitten, wo die Grenzen und Ränder des
Fassbaren und damit des Erinnerbaren, des Malbaren, des Beschreibbaren? Nehmen
wir die offenen „Fugen, Spalten, Narben, Risse“ wahr, den Schnitt und auch die
Inkongru-enzen unserer Wahrnehmung, unserer Erinnerung, unserer Geschichten,
Utopien, Träume, Mythen oder auch jene eines Kunstwerks? Utopie bleibt, dass
ein Bild gelingt, „das die Geschichte anhält, das Bild, worin alles versammelt
ist“. Doch wie könnte es gelingen, etwa
... mit den richtigen Farben,mit dem richtigen Pinsel,in der richtigen Perspektive,im richtigen Augenblick?“
Rimbereids Texte nehmen immer wieder die sogenannte Mitte in
den Blick und hinterfragen, was ins Zentrum und damit ans Licht gerückt wird
und was im Dunklen bleibt. Der Fokus weist in zwei entgegengesetzte Richtungen.
So gibt es ein Ausleuchten, ein Scharfstellen der Mitte zum Beispiel im Gedicht
„Der grüne Tag“, eine Auseinandersetzung mit dem Bild „Kindstaufe in der Kirche
von Tanum“ (1892) der Künstlerin Harriet Backer. Aus dem Halbdunkel einer
Kirche sehen wir durch die offene Türe hinaus ins lichte Freie, wo zwei Frauen
mit einem Säugling sich gerade anschicken, das Gebäude zu betreten. In „Wunsch“
hingegen, einem assoziativem Langgedicht zum Gemälde „Die letzten Schüsse“
(1940) von Arne Ekeland, amalgamiert der Dichter politische Widerfahrnisse in
verschiedenen Ländern virtuos mit seiner privaten Geschichte. Und hier
verdeutlicht er unter anderem ein immer Undeutlicher-Werden und schließlich das
Verschwinden der Mitte. Denn seine Mutter leidet an Seniler Makuladegeneration,
einer Augenerkrankung, bei der die Sehfähigkeit im Bereich des schärfsten
Sehens allmählich verlorengeht, bis die Mitte „nicht mehr da ist“, nur Dinge am
Rand des Sehfelds sichtbar bleiben. An anderer Stelle spricht Rimbereid auch
von „einem runden Loch“ beim Vorgang des Erinnerns. Diese fehlenden oder leeren
Mitten werden manchmal überlagert und gefüllt durch Phantombilder oder
plötzliche Flashs. Und so interessiert den Dichter, was auf einem Kunstwerk zu
sehen ist, ob die gewählte Perspektive richtig gewesen sei, ob nicht Wesentliches
aus dem Bild herausgemalt wurde und vielleicht erst außerhalb des Rahmens zu
finden wäre. Bleibt er allerdings allein mit sich, so
„Sehe mich selbst halb draußenwie auf einem Bild.“
Auf dem Cover ist das Bild „Hase“ von Kjell Torriset (2010)
abgebildet. Rimbereids Gedicht „Schwarzer Hase“ ist eine Anrufung an Torrisets
Hasen, die letzten Worte wurden als Buchtitel gewählt: Weißer Hase, grauer Hase, schwarz. Weiß, grau und schwarz sind
sogenannte unbunte Farben, die sich durch ihren Hellbezugswert voneinander
unterscheiden. Weiß und schwarz sind Gegenpole, nämlich die hellste und
dunkelste aller Farben, und stehen in den durchaus bunten Texten für das Licht
und die Dunkelheit bzw. die Nacht und damit für häufig damit assoziierte
Bedeutungsfelder, etwa Anfang und Ende, Werden und Vergehen, Depression bzw.
Melancholie, Vertrautes und Fremdes, Unergründlichkeit und Erleuchtung. In
manchen Texten wiederum geht es um den Reichtum der Grautöne, das Erkennen von
Nuancen und um die Schwierigkeit der präzisen Abgrenzung:
eher grau als schwarzeher schwarz als grau
Hell-Dunkel-Studien sind wie auch der Hase beliebte Sujets
in der Bildenden Kunst. Man denke etwa an das Aquarell „Feldhase“ von Albrecht
Dürer oder an religiös konnotierte Gemälde. Seit je spielt der Hase auch in
Märchen, Fabeln, Mythen und Redewendungen eine Rolle. Die Zuschreibungen sind
vielfältig. So ist er ein Symbol sowohl für Fruchtbarkeit als auch für den
Frühling, gilt als furchtsam, ängstlich, wird manchmal als schlau, manchmal als
dümmlich gezeichnet. Die Bezeichnung „alter Hase“ wiederum bezieht sich auf
einen abge-klärten, in seinem (Fach)Gebiet erfahrenen Menschen, einen, der im
Netz des Alltags Geduld gelernt und erkannt hat, „dass Zeit Zeit braucht“.
Rimbereid weiß, dass man nie fertig ist, weder mit sich und der Welt noch mit
einem Bild oder Gedicht. Doch manchmal gelingt eine Geschichte oder „ein Bild,
wo etwas ausklingt“, was die Hoffnung nährt:
„Rette mich, Bleistift!Rette mich, Bild!“