Óskar Árni Óskarsson: Wo sind die Hüte?
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© Áslaug Agnarsdóttir
Óskar
Árni Óskarsson
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
WO
SIND DIE HÜTE?
Ich
gehe durch hutlose Straßen. Wo sind die Hüte?
Als
ich jung war, trugen die Männer Hüte. Auf dem Heimweg
vom
Büro ging ich gewöhnlich zu einem Fischladen.
Vor
lauter Hüten konnte man das Gesicht des Fischverkäufers nicht sehen.
Zwei
Schellfischfilets, danke! Daraufhin zog ich den Hut und all
die
anderen Hüte im Laden bewegten sich ein wenig und die Tür
ging
hinter mir zu. Was ist aus all den Hüten geworden? Frau
Elín
im Grundarstígur*
trug
einen Hut. Und Kjarval**
trug
einen Hut. Sogar Bjarni, der Straßenkehrer, trug einen Hut.
Guten
Abend, sage ich und ziehe den eingebildeten Hut,
als ich die Vitabar betrete.
*Eine
Straße im Zentrum von Reykjavík
**Jóhannes
Sveinnson Kjarval, isländischer Maler (1885 – 1972)
HVERAGERÐI***
Ich
bin allein im Schwimmbecken. Es ist ein Abend im Oktober.
Sanfter
Sprühregen und im Hot Pot wird Holländisch gesprochen.
Plötzlich
sehe ich im Wasser etwas glänzen. Mir scheint,
es
ist ein Fisch, der da über den Boden schießt.
Jetzt
kommt er an die Oberfläche. Und er springt!
Es
ist eine Forelle! Keiner sieht dies außer mir. Gemeinsam
schwimmen
wir im allmählich zunehmenden Regen.
Vom
Schwimmen auf dem Weg nach Hause
gehe
ich an der Varmá entlang. In der Tiefe
unter
der Brücke steht eine Forelle; der Dampf
steigt
auf vom Bach und in der Ferne kann man
ein
kleines Flugzeug hören. Das Geräusch des Triebwerks
kommt
näher und jetzt kommt das Flugzeug aus dem
Dunkel
heraus und für einen Moment erkenne ich undeutlich
das
Gesicht des Piloten.
***
Stadtgemeinde im Süden Islands
Óskar Árni Óskarsson wurde am 3. Oktober 1950 in Reykjavík geboren, wo er auch heute noch lebt. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er als Bibliothekar an der National- und Universitätsbibliothek von Island. Seit seinem ersten Gedichtband, Handklæði í gluggakistunni / Ein Handtuch auf der Fensterbank, erschienen 1986, hat er mehrere weitere Gedichtbände und Kurzprosasammlungen veröffentlicht, sowie Gedichte und Prosa aus anderen Sprachen ins Isländische übersetzt, so z. B. drei Bücher mit Übersetzungen des japanischen Haiku. Auch erschienen Übersetzungen von Büchern der Autoren Raymond Carver, William Saroyan und Carson McCullers. Óskar Árni Óskarsson war Herausgeber und Verleger der Lyrikzeitschrift Ský / Wolken, die in den Jahren 1990-1994 erschienen ist, sowie Mitherausgeber von Þrjár hendur / Drei Hände, einer Reihe von Kurzgeschichten und Gedichtbänden, die seit 2019 erscheinen. Die Lyrik von Óskar Árni Óskarsson ist in zahlreichen Zeitschriften und Sammlungen in Island und im Ausland erschienen. 2012 erschien im Transit Verlag in deutscher Übersetzung sein Familienporträt Das Glitzern der Heringsschuppe in der Stirnlocke.
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