Olav H. Hauge: 4. Juli 1965
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Olav H. Hauge
4. 7. 65
Gesetzt, du willst ein Gedicht schreiben. Du weißt nicht, wie
es werden, aber worum es gehen soll. Doch ein Gedicht ist aus Worten gemacht.
Und du beginnst mit „Wald“. Jawohl. Und du bleibst dabei, bis es fertig ist.
Doch gesetzt, daß du das Gedicht schon vor dir siehst als ein Gesicht, eine
Schau vor deinem inneren Auge, ja, es scheint dir, es sei schon fertig: Dann
mußt du die Worte dafür finden. Auf diese Weise entstehen wohl die meisten
Gedichte.
Ich glaube, so dichteten auch die Alten.
Es ist wohl nicht zuviel gesagt und auch nicht zu weit von
der Wahrheit entfernt, daß der freie Vers eine Frucht, ein Resultat, eine Folge
der großen Umwälzung war (sozial, wissenschaftlich, religiös, industriell), die
im vorigen Jahrhundert begann. Somit wurde der freie Vers von seiner Zeit
erschaffen und nicht von bleichen Ästheten – und sicherlich gab es viele, die
versuchten, die neuen Formen zu veredeln, sie den Gesetzen der Schönheit
unterzuordnen. Doch die Revolte, der Umbruch war vollzogen. Der Vers mußte
folgen – oder untergehen.
(…)
Die alten Verse marschieren stramm in breiten Kolonnen wie
breite Heeresformationen, später in leichten Quadern. In unserer Zeit beginnt
der Vers auszusehen wie Flutwellen oder Prärien mit wiegendem Gras,
Berggipfeln, Vögeln und Tieren. Das Wildpferd stampft schwer, die Schwalbe
fliegt niedrig, die Lerche steigt in den Himmel – schwingende Zweige sind auch
schön. Granit mit Moosen, Walddickicht und Weidenröschen – ja, ein Gedicht kann
so vieles sein. Aber immer muß Spannung da sein, Schwere, etwas, das geschieht,
geschehen kann. Lösung, Abrundung sind nicht gut, d.h. sie können bei gewissen
Gelegenheiten gut sein. Es gibt Bücher, die stellen dein Haus auf den Kopf.
Unter Dichtern lebt man wie unter Adlern. Unter Kritikern
lebt man wie unter Maulwürfen.
When cowherds begin
To make poems,
Many new styles
In the world
Will spring up.
To make poems,
Many new styles
In the world
Will spring up.
Das schreibt ein japanischer Dichter, Ho Sachio, und es ist
wahr.
Olav H. Hauge: Mein Leben war Traum. Aus den Tagebüchern 1904 - 1994. Übersetzt von
Klaus Anders. Berlin (Edition Rugerup) 2015. 256 Seiten. 24,90 Euro.
Rezension Jan Kuhlbrodt »