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Olav H. Hauge: 22. September 1965

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Olav H. Hauge


22.9.65

Ich sprach von Erinnerungen. Sie wollen dir nichts Böses! Vertraue ihnen. Doch nimm dich vor der Welt in acht! Sie verstehen dich nicht. Und viel Böses wird von dir gesagt. Laß es gehen!     
      Einsam; du solltest wissen, was das ist! „Halt fest an der Niederlage!“ sagt Alf Larsen.
      Das sollte nicht so schwierig sein.

Es wird was mit dem Dichten, ich komme in Gang. Das hält dann etwa 14 Tage an. Gewöhnlich vergesse ich ordentlich zu essen, und ich finde kaum Schlaf. Dann liege ich in Fieberträumen, Exaltation, einer Art Trance. Gesichte, wilde Gedanken, zuletzt glaube ich an meine Einbildungen. Meist sind es immer wieder dieselben. Stimmen gehören dazu und spielen eine große Rolle. Oft sind sie gut und mir wohlgesinnt, das habe ich oft gedacht. Die reale Welt existiert nicht mehr. Meine Welt ist ganz mystisch und zauberisch – das ist nicht das richtige Wort, poetisch ist zu schwach, trifft es nicht, irrational ist sie und dennoch geordnet, doch alles gehorcht überirdischen Gesetzen.

Diese Erinnerungen hervorzurufen ist möglich, aber es ist gefährlich – und erschreckend. Trance ist ein zu schwaches Wort, Ekstase ebenfalls zu schwach für diese Zustände.

Ein Gedicht, das gedacht wird, ist selten gut. Nur eins, das geschaut wird. Das hat nichts mit Abstand zu tun. Es kann geschaut und erlebt werden, selbst wenn das Geschehnis in weiter Distanz oder in einer anderen Zeit sich ereignet, etwa dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung.
    Ich hebe nochmals hervor, daß ausgedachte, berechnete Gedichte selten gut sind. Die Augen des Geistes müssen es geschaut haben, die Worte müssen wie Vögel geflogen kommen, sie müssen in der Esse liegen, bis sie glühen. Oder so: trocken, kaltgeschmiedet!


Olav H. Hauge: Mein Leben war Traum. Aus den Tagebüchern 1904 - 1994. Übersetzt von
Klaus Anders. Berlin (Edition Rugerup) 2015. 256 Seiten. 24,90 Euro.

Rezension Jan Kuhlbrodt »


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