Özlem Özgül Dündar: Gedanken Zerren
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Timo Brandt
U n passt dazwischen
Wie „dicht“ eine poetische Konstruktion, ein Gedicht ist,
kann man schwer messen. Am ehesten ergäbe sich ein (rein rechnerischer) Wert,
wenn man die Anzahl der Reize, die einem aus den Passagen entgegenspringen oder
die Menge der Anknüpfungspunkte, die auf der knappen (oder auch ausladenden)
Fläche platzfinden, zählen könnte und sie gegen die Anzahl der verwendeten
Wörter aufrechnen würde. In jedem Fall hat Dichte auch immer sehr viel mit dem
zu tun, was weggelassen wird – das, was da ist, wird noch mehr zusammengeballt
von den Auslassungen, von nicht Angesprochenem, dass von allen Seiten das
Vorhandende in Form presst und auflädt.
Es gibt Gedichte, die einem schon mit ihrer Oberfläche
suggerieren, dass sie dicht sind; die schon in ihrer Form, in der Anordnung zeigen,
dass sie sich ihres begrenzten Raumes bewusst sind und ihn außerdem ganz klar
als solchen markieren wollen. Haiku zum Beispiel, aber letztlich auch jede
andere Form silbenbasierter oder geometrisch angeordneter Gedichte.
„transferiere dich in die schönheit hinein von diesem körper der dich stecken macht in dingen von denen du n wissen willst“
Auch die Gedichte aus Özlem Özgül Dündars Debütband „gedanken zerren“ haben eine besondere formale Struktur. Es sind schlanke Gebilde, die „gefangen sind“ wie zwischen „zwei Glaswänden“ (so hat Astrid Nischkauer es sehr schön in ihrer Rezension auf Fixpoetry beschrieben – ihre Besprechung ist lesenswert, mit einer erfreulich unprätentiösen Euphorie verfasst und hat mein Interesse für diesen Band noch zusätzlich geweckt). Die Zeilen enden an diesen Wänden, auch mitten im Wort. Auf jede Interpunktion wurde verzichtet und abgesehen von den Wandumbrüchen sind die Texte Fließtexte. Die Worte „nicht“ und „und“ werden nur als „n“ bzw. „u“ geschrieben.
Durch die zerteilten Worte entstehen natürlich reizvolle Doppeldeutigkeiten (auch in Kombination mit den Platzhaltern n und u), Anklänge und Zwischenklänge. Diese Atmosphäre der Unsicherheit, der Ambivalenz, bietet wiederum den nahezu perfekten Rahmen für die Thematiken der Gedichte und gibt den fließenden Texten Ecken, Kanten und Nischen.
„springen abspringen hinabspringen sinken bis wohin es geht wie weit es geht wie tiefes geht aus der haut wollen raus wollen“
Mit sich und mit anderen. Zwischen sich und etwas anderem.
Zwischen sich und dem Du. Mit dem Ich und mit dem Du. Ohne etwas, das sich
gleichmäßig anpasst.
Ich werde selbst schon lyrisch, aber es ist schwer, sich das
in diesem Fall zu verkneifen, finde ich. Denn Dündars um sich selbst kreisende
Gedichte haben die Tendenz, sich schnell auf einer Umlaufbahn um die eigenen
Gedanken festzusetzen. Ihre zunächst leicht apathisch und gleichsam dringlich
wirkende Sprache, führt schon nach wenigen Zeilen eine Art fragile Ruhe herbei,
voll tosender Langsamkeit, in der sich jeder Satz, jedes Wort, jeder Gedanke
unmittelbar entfalten kann. Es ist bemerkenswert, wie sehr diese Gedichte mich
in ihre Welt gezogen haben, wie schnell ich ihren Ton als vermittelnde Instanz
akzeptierte. Nach ein paar Gedichten strahlt jeder Abschnitt etwas aus, das
sich wie ein Aufruf zur Entzifferung anfühlt, als müsste man ihn mit den
Fingern abfahren, den physischen und den geistigen. Als würde man einer
Übertragung lauschen und jedes Wort der Sprechenden verstehen, alle
Nebengeräusche identifizieren wollen.
„eine schiefe beobachtung hinstellen u um den gedanken von glück u unglück kreisen bis die perspektive dieaugen schief hängen lässt“
Da ist ein Ich, da sich direkt zu Anfang in den Mittelpunkt
stellt, aber gar nicht weiß, was genau da jetzt im Mittelpunkt steht. Und ein
Du kommt hinzu. Das Ich weiß, dass es da ist, dass es zu sich gekommen ist,
aber wie das geschehen ist, das weiß es nicht. Und wie es zu etwas anderem
kommen soll, das weiß es auch nicht. Nun tastet es sich vor und wirft sich in
manches, registriert und analysiert beizeiten.
Zwischen die Worte, mit denen es das alles tut, passt nichts
– dieser Eindruck entsteht. So wie sich hier ein Wort an das nächste reiht, die
Sprache von einem Satzbogen zum anderen springt, formvollendet, wirkt es, als
sei da keine Sprache jenseits dieser Sprache. Und doch war ich als Lesender
ständig auf der Suche nach Wörtern, die noch zwischen dem, was sich vor mir
auszubreiten schien, passen könnten. Ich rieb mich auf, teilweise an den
Wendungen, was schön war, teilweise aber auch mit ihnen, was irgendwie
schmerzlich war; ich zerrte an den Gedanken der Texte, aber konnte sie nicht
anheben, nur an Ort und Stelle betrachten, nicht mitnehmen. Auch dieser Schmerz
ist natürlich eine Erfahrung, eine wichtige sogar.
Ich glaube, diese meine Suche hat auch etwas damit zu tun,
dass man in Dündars Gedichten zwar schnell Anschluss findet und bereit ist,
ihnen zu folgen – weit und tief – sich aber manchmal (zumindest bei mir) das
Gefühl einstellt, sie seien wie ein geschlossenes Synapsen-Netzwerk, in das man
den eigenen Blick auf die Dinge nicht einspeisen kann. Und es gibt auch kaum
Punkte, an die man anknüpfen kann. Man kann zuschauen, nachvollziehen, aber die
Rolle der Lesenden ist ja nicht die von Zuschauenden, oder? Viel wird in den
Gedichten mitgeteilt, aber es ergibt sich irgendwie wenig daraus.
„zwischenden bildern renne ich im rhythmus von adrenalin u suche die worte die zu sprechenvergessen wurden von einembild von uns zum nächsten“
Dieser Einwand, diese Kritik, fühlt sich sehr fadenscheinig
an und beschreibt letztlich nur den Umriss eines Gefühls, das ich beim Lesen
hatte; ich kann keine Beweise dafür ins Feld führen. Gegen den Band spricht er
wohl auch nicht. Ich habe mich zu Anfang abgeholt gefühlt, mitgerissen, zum
Ende hin aber nicht eingebunden. Muss ein solches Gefühl der Eingebundenheit
überhaupt entstehen oder liegt im Ausgeschlossensein nicht auch eine wichtige
Erkenntnis? Ich weiß es nicht.
Wir verdanken Özlem Özgül Dündar einen wohl temperierten, sehr
gut strukturierten und dennoch mitreißenden Gedichtband, der auf filigranen
Bahnen kreist und dennoch nachdrückliche Impulse bereithält, immer wieder. Die
Thematik eines Ichs, das sich zu finden sucht oder sich zu erfinden (ohne sich
abzufinden), in etwas Körperlichem, in Entfernungen und in Nähe zu Dingen und in
die Thematik des Dazwischen, zwischen dem Ich und dem Du, zwischen dem Ich und
dem Eigenen – beides wird durchdekliniert, jedoch nicht leblos, sondern
teilweise heftig, sinnlich bis sinnend.
„wir betreten unbekannte räume in denen meine stimme in neigungen zudir läuft“
Özlem Özgül Dündar: Gedanken Zerren. Gedichte. Nettetal (Elif Verlag) 2018. 56 Seiten. 12,00 Euro.