Norbert Lange: (Ich & Du)
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Norbert Lange
(Ich & Du)
Ich denke mir so oft, darüber
schreib ich nicht mehr heute. –
Du siehst und denkst: später
–. Du bist wieder da.
Ich muß mich noch etwas
unbeirrt halten, ich weiß davon noch nichts, wenngleich ich auch schon anfange
zu verstehen, und ich hab noch keinen anderen Glauben, mein ich, und der, der
sie von ferne bedenkt, um ihn an diese Stelle zu stellen, während ich ihn für
den Druck vorbereite.
Ich glaube, ach, ich bewundere
nun schon tagelang die Pracht, daß ich nicht glücklich war, als ich in alledem
herumgehen durfte, im Überfluß. Ich kann an keine Zeit meines Lebens
zurückdenken ohne solche, hab ich ohne Verlust gelebt; was hab ich voriges Jahr
gewirtschaftet; mich macht das traurig.
Du müßtest das sehen. Du
hättest sonst etwas Erstauntes dazu gesagt.
Ich bin in allem auf das
Abwarten eingestellt, das kenn ich so gut: ich erlebe es gleichzeitig an zwei,
Du weißt welche ich meine: Ich habe noch nicht versucht, sie zu öffnen; das hab
ich wieder gefühlt, glaub ich, die ich nie sah: wie wußte und sah ich alles!
Du weißt, welche ich meine:
Dann schlug ich denselben
späteren Nachmittag vor, daß ich wirklich dieser Tage oft das Gefühl hatte, und
ich muß eingestehen, das kenn ich so gut: Nun war ich aus, das fühl ich wohl,
ob ich sie nicht sehen möchte.
Du kennst selbst diesen
Moment, wo es unverträglich wird; denn ich fühlte mich gerade krank und hätte
mich gerne still verkrochen. Das wollte ich.
Vorher hatte ich noch eine
gute, stille Stunde: Ich wunderte mich, das fühle ich wohl, aber doch nicht
katastrophal: Wieviel würdest Du in ihr sehen, säßest Du doch bei mir, was ich
noch nicht sehen kann. Ich fühle ja wohl, und fühle stark und groß, daß alles
noch zu machen ist: alles.
Überm Schreiben war ich so
müde geworden; ich habe bemerkt, ich wünschte manchmal mir so ein volles
Schaufenster. Mir ahnt aber, bist Du nun nicht doch ein wenig neben mir
gewesen; wie es mich die letzten Wochen ermüdet hat; aber man sieht hinein
durch das ich heute morgen ging.
Du weiß, wie ich das meine:
Ich ging so durch die stille
Straße und war noch immer bei meinen Einbildungen; aber man sieht hinein, und
sie sitzen und lesen, unbesorgt; ich fühlte, wie sehr es meine innere Stimmung
doch nicht verscheuchte.
Und in demselben Augenblick
war mir, mit dem ich mich nun so viel beschäftigte als ich im
Schaufenster eines Konfiseurs, daß ich aus demselben Grund wahrscheinlich doch
durch das ich heute morgen ging.
Ich dachte, ob ich nicht doch
etwas fände, wovon ich ihr erzählen könnte, von der ich Dir mal erzählte; mir
ist das irgendwie nützlich, fühl ich.
Das wollte ich Dir alles
erzählen; es hängt ja mit vielem um und mit uns selbst an hundert Stellen
zusammen. Ich denke mir, daß nicht mal eine solche Person zu finden wäre.
Aber Du wirst wissen, wie sehr
ichs auch heute getan habe …
Du weißt, welche ich meine: es
sind die, wo man sagt: so, daß ich wirklich dieser Tage oft das Gefühl hatte,
gestern sah ich zum erstenmal jemanden seit vielen, vielen Wochen – denn ich
fühlte mich gerade krank und hätte mich gerne still verkrochen. Dann schlug ich
denselben späteren Nachmittag vor. Ich überwand mich hinzugehen, und ich muß
eingestehen, Du kennst selbst diesen Moment, wo es unverträglich wird; wir
haben ihn niemals erlebt.
Als ich, zum erstenmal
gestern, so durch die stille Straße ging, hab ich wieder gefühlt, daß nicht mal
eine solche Person zu finden wäre. Du fühlst, ich saß noch nicht vor ihr; da
ich sie einmal ganz erlebte und teilte, was ich noch nicht sehen kann. Aber
heute nacht erwachte ich davon, wie ich ihn nie sah. Er lief hin und her in
seinem Atelier, in demselben Augenblick war mir, als müßte nur eine Kleinigkeit
irgendwann anders gewesen sein, damit er einen erkennte und zurückträte und die
Tür offenhielte.
Und vor ihm lag die kleine
Stadt, ahnungslos, ob ich sie nicht noch sehen möchte.
Natürlich las ich, bald
nachdem ich es gedacht habe, daß ich ihn gleich wörtlich verstanden hatte, es
liegt ja auf der Hand. Ich fühlte nur die vage Erinnerung daran, das weiß
ich wohl, nicht mit Zwang.
Ich dachte nur vage, als ich
mit eine halbe Stunde in einem solchen Sommergarten saß, wie oft. Du mußt nur,
einen Sonntag etwa, sehen: belustigt, ironisch gereizt, geärgert, empört. Wobei
denn jeder selbst gut zusehen muß; zu sich selber kommen und beschreiben, was
da ist.
Du kannst Dir vorstellen, daß
ich alles andere aufgab. Du fühlst, von der Straße aus gesehen, nimmt sich das
wie ein Abendmahl aus jedesmal, so groß und feierlich durch den dunklen Raum.
Aber, wenn sie sie haben, laut werden, ließe sich denken, daß jemand eine
Monographie schriebe: welche Lebensgeschichte!
Das Überzeugende, die
Dingwerdung, die durch sein eigenes Erlebnis an dem Gegenstand bis ins
Unzerstörbare hinein gesteigerte Wirklichkeit, das war es, was ihm die Absicht
seiner innersten Arbeit schien; alt, krank, der Alte ertrug ihren Unfrieden,
lief auf und ab, lief hin und her, oder setzte sich in den Garten und saß.
Ob es für Dich aufschlußgebend
wäre? Ich weiß es so in einem Atem nicht zu sagen. Fast noch lieber möchte ich
Dich, könntest Du eines Tages hier sein, die auf einmal, nach Versuchen und
Vergeblichkeiten, eintrat, da war, gelang.
Ach, wenn das genügte: Wieviel
würdest Du darin sehen, was ich noch nicht sehen kann.
Aber innen, ganz innen, war er
wunderschön, und ab und zu schrie er einem der seltenen Besucher wütend etwas
Herrliches zu. Du kannst Dir vorstellen, wie das kam.
Ich mußte denken gestern
abend, ich bin nicht sicher.
Was Du nun sagst und herzlich
feststellst, das vermutete ich irgendwie, wenngleich ich nicht hätte angeben
können, überzeugt, daß es persönliche innere Gründe sind, an denen ich
vielleicht noch für eine Weile studiere. Es ist die Wendung, die ich erkannte,
weil ich sie selbst eben erreicht hatte oder doch irgendwie nahe an sie
herangekommen war, wie ich sah. Nicht der, der begreift, ist berechtigt,
über sie zu schreiben; mir ist das irgendwie nützlich, fühl ich.
Aber innerhalb meines Lebens
ist diese unerwartete Berührung, so wie sie kam und sich Platz schaffte, voller
Bestätigung und Bezug.
Und mit einem Mal begreife ich
das Schicksal, wie es mich berührt, zu lesen: Wieder ein Armer. „Hier“, sagte
sie, auf eine Stelle zeigend, „dieses hat er gewußt, und nun sagt er es;
nebenan ist es noch frei, weil er das noch nicht gewußt hat.“
Wann hätte der seine
Hände zeigen sollen.
„Hier“, sagte sie, „es ist,
als wüßte jede Stelle von allen.“
Ich hätte diese Stelle ohne
alle Aussprache allein gelassen mit sich selbst. Aber das hier nimmt Dich und geht
weiter mit Dir und geht mit Dir zu allem und mitten durch alles hindurch, durch
Geringes und Großes.
Natürlich wußte ich, es fällt
ihnen ein, daß sie sich eben noch beim Eintreten in den Glastüren gesehen
haben. Ich dachte nur, der sie von ferne
bedenkt, daß sie sozusagen zugleich zu sprechen anfingen, sich beständig
entzweiten. Und doch habe ich sie mir eingeprägt, mehr als anderthalb Hundert,
Ziffer für Ziffer.
Ich bewunderte einzelne, die
ich unter den anderen verstreut entdeckte, auf eine neue Art, bis ich zu
solchen kam, die ich noch nicht kannte. Mir ahnt, was das für ein Ereignis ist.
Aber ich muß eben noch ganz verstehen, daß vieles darin Erkannte vielleicht zu
den Ansprüchen gehört, ohne solche Vorwürfe und noch größere. Du mußt nur vor allem
sagen, ob ich es geliebt habe, statt zu denken: hier ist es.
Böse Blicke fanden sich wohl
überall, Du weißt, wie die herumgehen, Dich auf Dein Schauen einfach
verlassend. Ich dachte, daß jede Einsicht ihre Parvenüs hat, die ich dachte,
laut werden, wenn sie sie haben –, und dann, daß ich aus demselben Grunde
wahrscheinlich doch in einem Sommergarten saß, nicht mehr.
Denk Dir aber mein Erstaunen,
sagte ich, daß ich Dir nun oft beschrieben habe: nun weiß man es wenigstens.
geschrieben
Okober 2014