Nora Zapf: homogloben
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Matthias Weglage
Nora Zapf: homogloben. Gedichte. Frankfurt a. M.
(gutleut Verlag) 2018. 70 Seiten. 20,00 Euro.
Die Entdeckung der Fremdheit
Zum Gedichtband „homogloben“ von Nora Zapf
(Gutleut, 2018)
Erschreckende Metamorphosen:
morgens als Baum oder Cyborg zu erwachen. Andererseits: wunderschön
vielleicht. Wer dem Zauber von Ovids
Metamorphosen einmal erlegen gewesen ist, kennt das berückend Verstörende, wenn
der Mensch in seinem Schicksalskleid hier plötzlich ein anderer, zu etwas
Fremdem wird. „ich als baum kann nur sagen, wenn man träge/ winde schütteln
würde mühsam/ komme harz zur welt als bernsteingalle“ Die Geschichte von der
vom Gott Apoll verfolgten Daphne, die sich seiner Liebe nicht erwehren kann,
ist seit Schultagen bekannt, und doch baut die Lyrikerin sie sich neu.
„schwenke die zweige die abwesenheit wie ein federkleid blau, grün, stachel/
spikes was wackelt sind die zikaden…“ Es ist nicht nur das halb kokette
Fremdeln der Geliebten, von dem das Gedicht „dafne im federkleid“ erzählt, es
erzählt in gewisser Weise auch von sich selbst. Es „kotzt einen strahl
buchstaben, aber kann sich nicht zum jasagen durchringen“. Die Abwesenheit, das
Fremdeln zeigt sich im wesentlichen im Fehlen einer vollkommenen Sprache. Die
Zikaden, die im Baum hängen, „stehlen mein s beim prechen“.
Das Gedicht scheint in gewisser Weise sich selbst
verloren gegangen zu sein. Muss das eine
Schwäche sein? Auch in anderen Gedichten erzählt das sprechende Ich von
„flügeln angesichts der uneindeutigkeit“ (in: chimäre schlägt ihre augen auf“).
In der „ode an den zweifel, in dubio pro dubio“ heißt es: “gestikulieren mit
worten – wie war nochmal die simple soluzione?/ ist das gerecht? inspiración,
wieder fini.“ In den Tiefen der Sprache verloren, traumverloren,
sprachspielend, sprachwach gleichwohl jonglieren die Gedichte, benennen,
raunen, scheuen auch gewagte Multilingualität nicht. Multilingual nämlich
jonglieren die Gedichte von Nora Zapf besonders gern, munter zwischen englisch,
französisch, italienisch hin und her flanierend, Wortfetzen, Sinnbruchstücke
auffangend, untersuchend, spielerisch neu gestaltend. Es ist, als wollte uns
die verstörte Daphne zugleich an den Mythos vom Turmbau zu Babel erinnern, den
Mythos von der Sprachverwirrung der Völker. Viele Sprachen sind nicht mehr die
eine Sprache – aber jede einzelne kann uns noch an den Verlust erinnern,
verirrt im Sprachenlabyrinth.
In ihrem Gedicht „brunch mit liger“ ist die
Autorin ganz in ihrem Element. Sprachspiel, Wortverdrehung, ein beflügeltes
Mythologisieren ohne festes Programm. „wieder mit ti leine lungert der liger im
land der liarde, hört diese geschichte./ liegt der liger penetrant dem
sonnenbrand/ hinterher, in ti-sonne und is-öl. frugt:// bin ich liger, bin ich
ligon, soll ich/ gähnen oder weinen, frugt weiter: tiger,/ liger, feuerdrache,
tigst als liger auf der schwache, tilgst damit sein glühgewicht/ fauchst und
bringst dein b-artiges gesicht.“ Ist das Gesicht des Liger-tigers nun artig, bärtig oder abartig? Eben. Ganz lustvoll bringt das Gedicht
alles zusammen, das Artige, das Abartige, das Tierisch-Bärtige, „ganz leotig
fühl ich mich täglich mit nach dem schlaf./ jaglion! jauchzt er und hüpft auf
die flinken fli-flügel“. Fühlt sich wer wie? Der Ligertiger? Oder das nunmehr
lyrisch verligertigerte Ich des Lesers? Jedenfalls fliegt und jauchzt es im
Gedicht. Und das macht es unwiderstehlich.
Was sind Homogloben? Das Kunstwort lässt vieles
anklingen, sicher den Homo, den Menschen, Hämoglobin, die vielen roten
Blutkörperchen, die uns durch die Adern fließen. Homogloben sind jedenfalls
nicht einfach Menschenwelten. Es schwingt ja diese Verwandlungsatmosphäre in
dem ganzen Gedichtband mit, das Thema ist die Fremdheit, das Befremden über
sich selbst im Moment der Verwandlung, vielleicht auch das Befremden, das die
Resultate verursacht. Der Mensch ist nicht einfach anzutreffen als Mensch, er
ist polyidentisch, er ist auch Minotaur, Zentaur, Chimäre, Cyborg, Golem,
Bestie, Katze. Der Gedichtband versammelt in seinem zentralen Zyklus „tag auf der kippe oder 25 mischwesen“ eine ganze Menge
solcher Sonderwesen, solcher andersartigen Mischwesen. Ein buntes Bestiarium,
zu dem auch krallige Sphingen, Jedis, Skyllen und schlafende Mixcoatls gehören.
Die Autorin verrät eine besondere Liebe zum Abgesonderten, Sonderbaren,
Mythologischen. Die meisten dieser Figuren schlummern irgendwo in Randzonen der
Welt, so zum Beispiel die Chimäre in dem Gedicht „chimäre, schlägt ihre augen
auf“: „in der dämmerzone, da wo der 1 zweig den 8ern überragt, fällt der tag
mit/ der nacht in einklang: schwimmen pferdeköpfe im olivenpfuhl, klettern/
seidige schlammkarpfen auf angedeichselte schluchten: die sucht nach dem müden
hängt wie ein seil nach unten, wird im brunnen hängematte.“
Das Eigene der lyrischen Schöpfungen von Nora Zapf
liegt im Spröden, Weltabgewandten. Musizieren mit Klangschönheit – bestricken
mit verführerischem Wortklang oder Klangmagie wollen die Gedichte eher weniger.
Es würde zu Thema und Stoffen auch nicht recht passen. Das Gedicht, das
„homogloben“ im Titel trägt, entwirft eine steinwürstenartige, „seltene“
Landschaft am Rande der Welt, fast apokalyptisch jenseits des Menschen. “selten
erden, seltener bergkrusten auf/ schreibflächen gepresst von an-/ stiftern,
plazenta verziehern, gebiss verkehrern. // zieh den stöpsel der welt, verkehre
mit/ lauter schnipseln aus gestein, deja vues,/ anemonen, winkel die beine an,
setze mich auf werkstatthöfe, schüttel die kugel wie/ schnee, meere laufen aus,
mir entgegen/ im stechschritt lagerstätten, bäume rieseln/ aufgrund von
vitrinen, spänst entfernung, warum/ gerätest auf schiefe träume, dein stift,
wohin/ und gestern feinern sich gerade./ am seltensten stollen, mineralien,
stabile elemente/ thulium, scandium, yttrium und wie sie alle heißen/ schön
klingen die kinder der halden aus kies,/ gips oder erz.“ Man weiß am Ende des
Gedichts „homogloben“ noch nicht wirklich besser, was Homogloben eigentlich
sind. Aber man spürt, wer den Stöpsel der Welt zieht, wird in entlegene
Seelenzonen gezogen, wo auch die Sprache als selbstverständliches
Mitteilungsorgan mitunter versagt. Im Gedicht „Golem, mitten am tag“ redet das
Lehm-Monster zu sich selbst: „ohre die geschicht mein lehmiger mund/ tor zur
andersten welt, trockne silbe/ mühe macht mimik mir...“.
Und es schwingt noch ein anderes Thema mit, das
gleich das erste Gedicht des Bandes „minotaur, früher morgen“ anklingen lässt:
Virtualität. Der Minotaur des ersten Gedichts schläft auf „animierten
gletschern“, die insel kreta, wo wir ihn vermuten dürfen, ist auf dem
bildschirm „hoch aufgelöst“, ein Pic. „es schleichen tropfen davon/ stehlen
sich um hufgelenke / dazwischen seile mit ankern/ diese insel war einmal hoch
aufgelöst, jetzt verschwimmt sie immer mehr.“ Da kommt der Gedanke auf, alles
wäre virtuell, Netzphantasie. Doch nein, es sind Doppelidentitäten, von denen
die Gedichte sprechen, etwas an der menschlichen Natur ist Cyborg, technisch,
Klonung, ein Programm auf dem Bildschirm. Auch der Cyborg, der am Morgen
erwacht, leidet darunter: „ich bin cyborg, ich war alt, als ich davon erfuhr,
sie nannten es adoptimieren. / mensch, mir schmerzt mein arm, ich schreibe,
doch, da sind zwei schrauben locker. ich borge mir das licht der sonne,
entfernter kreis, laufen wie solarzellen und filme mag ich, das licht
schimmert...“ Cyborgs sind die Mythenwesen der technischen Zivilisation. Das
macht allemal frösteln. Sind auch unsere Tränen, unsere Träume unecht, das
Licht geklont, in dem wir wandeln? Vielleicht bewahrt uns jedenfalls speziell
die dichterische Sprache vor dem inneren Absterben unserer Spezies, in den
Wundern der Sprachverkehrungen, des Sprachquirls, der Umdeutungen, des
Anderswerdens der Welt durch neue Worte – und seien es Wortstümpfe, Splitter,
Fragmente, die dabei herauskommen.
Es gibt eine eigentümliche Zuversicht in diesen
Gedichten, und das ist, dass mit den multiplen Wirklichkeiten, die der Mensch
in sich vereint, nicht nur Sprachen ineinanderfließen („in dubio pro dubio/ auf
das idealizzare, eine exclamation“), sondern schließlich auch Raum und Zeit. In
einem gemeinsamen Gedicht mit Daniel Bayerstorfer „Début
du siècle“ zum Bild „Bleu II“ von Joan Mirò „Bleu II“, das Nora Zapf
geschrieben hat und das mit dem Signaturen-Preis 2015 ausgezeichnet wurde,
führt die Spur „in unzugängliches Gebiet“. „warte kurz, muss erst den Stift auf
die Landkarte legen und ihn darin finden, in diesem unzugänglichen Gebiet. Die
Flugzeuge?“ Inspiriert von dem Bild des spanischen Malers Mirò, das ins Blaue,
in Fluglufträume geht, beschreibt das Gedicht Fliegen und Scheitern. Im Blau
verloren zu gehen, bedeutet nicht, bloß zu flüchten. Es bedeutet „zweisprachig“
zu werden, „schwerelos“. „überall zweisprachig ragende Bäume, ich hüpfte
schwerelos über die Panade aus gefallenen Blättern, polyglotte Regenrinnen in
Hirn & Rinde und Argumente gegen das Grün als Spediteure der Vernunft und
ihre Moleküle auf psychologischer Safari.“
Es ist eine psychologische Safari, auf die wir in
den Gedichten von Nora Zapf mitgenommen werden. Sie ist spannend und entführt
uns an die Grenzen der Psychologie, da wo die Psyche traumverschlungen vom
Mythos heimgesucht wird. Die Gedichte loten, wie alle Gedichte, die
Unergründlichkeit des Ichs aus.
Dabei heben sie sich gern selbst einmal auf, im
kreativen Sprachwirrwarr, wo wir die Urtätigkeit der Sprache aus der Nähe
beobachten können. Oder im Fliegen. Denn geflogen wird viel in den Gedichten
von Nora Zapf, die fliegenden Katzen im „manifest der fliegenden katzen“ sind
„wesen in der luft“, die Chimäre, die Jedis, „wir vom baum gefallen/ wollten jedi
sein:/ d. h. unsterblich, fliegen...“ (aus: die astronomische dämmerung des
jedi), die dämmernde schlange Sobek-Re – eigentlich fliegen alle: „es folgen
mäuse sterne, beine – alle haben flügel, um/ uns mit schnäbeln, die singen und
saugen, flie wie der wind geht, flu wo/ die birnen zischen, flox wenn die
spinnen flüstern, bis sich auch das haus flügel aus dem keller nimmt/ anheftet“
(aus: im flederhaus, immer noch mitternacht). Das Fliegen, das ist nicht nur
der alte Traum des Menschen, halbgöttlich zu werden, es ist für die Dichterin
auch der Moment, wo die Sprache trächtig wird, Flügel annimmt, singt und an uns
saugt. Auch wenn mitunter ganz
befremdliche Dinge in diesen Zonen passieren, verliert in den Gedichten Nora
Zapfs „die welt ihre milchzähne“ (aus: homogloben, tagsüber).