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Nína Björk Árnadóttir: Eine Krone aus einer Wolke - drei Gedichte

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Nína Björk Árnadóttir

Eine Krone aus einer Wolke (Drei Gedichte)

(Aus: Svartur hestur í myrkrinu / Ein schwarzes Pferd im Dunkeln, Mál og menning, Reykjavík 1982)

Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer


Eine Krone aus einer Wolke
                  Für Stefán Hörður*

1
Früher
lag ich in einem grünen Hain
und der Bach sang mir
lauter Wahrheit

früher lag ich in einem grünen Hain
und lächelte in die hellen Augen der Tage

jene Tage
jene Tage
ich habe mir aus einer Wolke
eine Krone gemacht


2
Und ich könnte
zu dir kommen
mit einer Krone aus einer Wolke
ich würde kommen

wir würden ein Stück
zusammen gehen

ich würde Strähnen aus meinem Haar reißen
eine Welt der Poesie zu spinnen
uns in eine Welt der Poesie zu spinnen
ins Licht


* Stefán Hörður Grímsson (1919 –2002), isländischer Dichter, der den „Atomdichtern“, einer losen Gruppierung von Lyrikerrn, die sich nach dem 2. Weltkrieg vehement für die Modernisierung der isländischen Poesie einsetzte, zugerechnet wird.



Ein schwarzes Pferd im Dunkeln

I
Im Dunkeln kommt es zu mir
sein Gesang ist die Trauer über die Vergesslichkeit eines Volks  
es hat vergessen
Wache bei der Freiheit zu stehen

früher war die Dunkelheit warm
sie war voller Milde

früher schlug die Nacht sanft die Saite an in meiner Brust
nun ist ihr Anschlag wie Angstgetöse
nun sind die Tränen des schwarzen Pferdes
Messerspitzen in der Nacht

II
Ich sah das schwarze Pferd  
auf dem Weg zur Heide
seine glühenden Augen
wollten des Volkes Waffe sein
aber niemand hat es geritten
und sein Hufschlag verhallte
als berühre nichts den Weg

ich ging los
ging lange  
machte mich auf zur Heide
stand neben ihm

und das schwarze Pferd sah mich an
und es sang:
ich kann in meinem Gang
nicht länger von der Freiheit singen
niemand reitet mich mehr
der Weg ist
nass von Gift  

ich umarmte seinen Hals
und streichelte über
die große gute Oberlippe

seine Tränen
flossen in meine Hände
heiß wie Blut
heiß wie
von der Liebe betrogenes Blut



In blauen so blauen Augen

Der Tag
sah aus wie ein Henker
die Luft roh und bitter
der Herzschlag furchterregend  
das Zittern – der Schweiß
die Angst – die Angst
und dann
wahnhaftes Sehen
des kommenden Abends
das glühende Feuer der Flüssigkeit
der Galgenfrist

plötzlich
die Rettung
in blauen so blauen Augen
auf so weichen so starken
Kinderlippen:
Weißt du:
wenn man viel Pils trinkt
wird man müde
und spricht Fremdsprachen


Nína Björk Árnadóttir (1941 – 2000) wurde im Norden Islands geboren und wuchs in Reykjavík auf. Sie absolvierte von 1961 bis 1964 eine Ausbildung an der Theater- und Schauspielschule der Reykjavík Theatre Company, setzte ihr Studium in den 1970er Jahren in Kopenhagen fort und arbeitete fortan als Schauspielerin, Autorin und Übersetzerin.
     Ihr erster Lyrikband Ung ljóð / Junge Gedichte (1965) erregte Aufmerksamkeit mit seinen minimalistischen und gedämpften Gedichten über die armen, verängstigten und ver-achteten Mitglieder unserer Gesellschaft. Ihre Gedichtsammlung Svartur hestur í myrkrinu / Ein schwarzes Pferd im Dunkeln (1982) spielt in einer psychiatrischen Anstalt, wo Gewalt, Wahnsinn und das Eingesperrtsein von Frauen vieldeutige poetische Bilder erzeugen. Zu den  bekanntesten lyrischen, modernistischen Dramen zum gleichen Thema zählen Fótatak / Schritte (1972), das von der Reykjavíker Theatergruppe aufgeführt wurde, und Lif til einhvers / Ein Leben für etwas, 1987 ausgestrahlt im isländischen Fernsehen. Darüber hinaus veröffentlichte sie mehrere weitere Gedicht- und Prosabände, zuletzt 1996 den Lyrikband Alla leið hingað / Den ganzen Weg hierher.
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