Nils Röller: Bittermeer - Mare amoroso
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Jan Kuhlbrodt
Zu Nils Röllers „Bittermeer“
Vor einigen Jahren war ich mit einem
Gedichtzyklus beschäftigt, der sich mehr oder weniger mit Friedrich dem Zweiten
von Hohenstaufen befasste. In etwa der gleichen Zeit stieß ich in Urs Engelers
Zeitschrift Mütze auf einige Texte Nils Röllers. Auch sie hatten den Staufer
zum Gegenstand. Das Interesse war also geweckt, und erstreckt sich bei Röller
weit über die tierische Begleitung im kaiserlichen Tross hinaus.
„Ich kann vom Kaiser erzählen, der sich von der Null berichten lässt bei einem Treffen mit Fibonacci.“
Es hat ja einiges auf sich mit dem
Herrscher, der mehr oder weniger vagabundierend durch seine Lande zog und für
eine Blüte von Wissenschaft und Kunst sorgte.
Unter dem Titel „Bittermeer“ ist nun
im Klever Verlag ein Buch Röllers erschienen, dessen genrespezifische
Einordnung nicht so einfach ist. Es changiert zwischen theoretischem Text und
Erzählung, wechselt die Perspektiven, den Ton. Vielleicht kann man es als Roman
einer Übersetzung bezeichnen, als Krimi einer Übertragung, denn im Zentrum
steht die Auseinandersetzung mit einem mittelalterlichen italienischen Text und
der Suche nach einer deutschen gegenwärtigen Entsprechung. Der Text wurde von einem
anonymen Autor (oder einer Autorin?) verfasst und heißt in der Übersetzung
„Meer der Liebe“.
„Übersetzung ist mehrfach kodiert. Die Grundbedeutung ist der Transfer von etwas zwischen zwei Seiten; z.B. von einem Ufer zu einem anderen oder von sprachlichen Zeichen einer Ursprungssprache in eine Zielsprache; dann aus der Zeitzone in eine andere; dann im Sinne einer Nutzung der Produktionsweise eines Textes für die Generierung eines anderen Textes.“

All diese Varianten spielt Röller
durch, macht auf Probleme der
Wortfindung im Kontext der Silbenarithmetik aufmerksam, geht also technischen
Problemen nach, aber zugleich gibt er die Bedingungen an, unter denen seine
Übersetzungen entstehen. Und das nicht nur in einem theoretischen Diskurs.
Selbst die Zimmerpflanzen und die sie bewohnenden Parasiten haben einen
Einfluss auf die textliche Gestalt der Übersetzung und ihres Romans.
Wo beginnt, wo endet ein Text?
„Die Ramme arbeitet, der Presslufthammer setzt nach brachial ruckenden und plötzlich donnernden Bewegungen ein, die entstehen, wenn ein Container mit Asphaltbruchstücken bewegt wird.“
Von John Cage heißt es, dass er im
Zentrum Manhattans immer bei offenen Fenster komponierte, und auch Röller
scheint bei maximaler Lautstärke zu übersetzen, unter dem Eindruck von
Bahnhofsgeräuschen. Das scheint die Garantie für Vergegenwärtigung zu sein. Der
Text wird in eine gegenwärtige Klang- und Krachwelt übertragen, aus der heraus
Kunst sich erst abhebt.
Nils Röller wurde in Wilhelmshaven
geboren (und natürlich taucht der preußische Kaiser im Text neben Friedrich
auch auf) und lehrt in Zürich Medien- und Kunsttheorie, aber natürlich lässt
sein Text den akademischen Rahmen weit hinter sich, wenngleich er auf seinen
Bildungsgehalt nicht verzichtet. Er liefert Prosa, für die bei manchem anderen
die Freiheit fehlt, und sie ist von Lyrik inauguriert. Gertrude Steins
"Erzählen"; ich finde es hier auf verschiedenste Weise wieder.
Vielsprachigkeit!
Nils Röller: Bittermeer - Mare amoroso. Wien (Klever Verlag) 2017. 168 Seiten. 20,00 Euro.