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Niels Hav: Drei Gedichte (aus dem Dänischen)

Gedichte > Lyrik heute

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Niels Hav

Drei Gedichte (aus dem Dänischen)


DIE FRAUEN IN KOPENHAGEN

Schon wieder habe ich mich verliebt,
fünf mal, in fünf verschiedene Frauen
im Bus Linie 40 von Njalsgade
nach Østerbro. Wie soll man so
sein Leben in den Griff bekommen?
Die eine trug Pelz, die andere rote
Gummistiefel. Die eine las das Ekstra-Blatt,
die andere Heidegger
      – und in den Strassen regnete es in Strömen.
Am Amager Boulevard stieg eine triefend nasse Prinzessin
ein, euphorisch und genervt, ihr verfiel ich rettungslos.
Am Polizeimarkt sprang sie hinaus
und wurde ersetzt von zwei Königinnen mit flammenden Kopftüchern
die sich bis zum kommunalen Hospital
schrill auf Pakistanisch unterhielten
      und der Bus kochte über vor Poesie.
Sie waren Schwestern und gleich schön, ich verlor mein Herz
an beide und plante sofort ein neues Leben in einem Dorf
in der Nähe von Rawalpindi, wo die Kinder
      im Duft des Hibiscus
aufwachsen würden, zum Klange herzzerreißender Klagelieder
ihrer verzweifelten Mütter in der Abenddämmerung
hinaus über die endlosen Steppen Pakistans.

Aber sie sahen mich nicht! Und die im Pelz weinte
in ihre Handschuhe,
      als sie in der Farimagsgade ausstieg.
Das Heidegger-Mädchen klappte plötzlich ihr Buch zu
und sah mich an mit einem höhnischen Lächeln
als hätte sie gerade Herrn Jedermann in eigenster lausiger
Person zu Gesicht bekommen.
Dann brach mein Herz zusammen
zum fünften mal, als sie aufstand und zusammen
mit all den anderen den Bus verließ.
      So brutal ist das Leben!  
Zwei Haltestellen fuhr ich weiter, bis ich es aufgab.
So geht es immer: Man steht allein am Trottoir
und zieht an seiner Zigarette, in gehobener Stimmung
und leicht unglücklich zugleich.

© Niels Hav - Übersetzt von Johannes Sohlman



DER  ZIGARRENSCHNEIDER

Zur Konfirmation schenkte mir mein Großvater
einen Zigarrenschneider von bester Qualität, rostfreier Stahl in Mahagoni.
Er hatte Großes mit mir vor.
Selbst war er Stadtrat gewesen und im Vorstand einer Bank,
war Vorsitzender der Kooperative und Nationalgardist
– immer froh über eine gute Zigarre. Im Zentrum hatte er sich ein Haus bauen lassen,
wo er in seinem Büro mit Fenster zur Straße saß,
die er nicht aus dem Blick ließ, während er seine Geschäfte erledigte
und seine Zigarren rauchte. Ob wichtig oder nicht, jeder wurde jovial empfangen
und bekam eine Zigarre aus dem Kästchen neben dem Telefon angeboten.
Für ihn war der Zigarrenschneider ein unverzichtbares Utensil.

Ich enttäuschte ihn, soviel steht fest. Ich wurde nie ein wichtiger Mann,
war prinzipiell zu unambitioniert mit meinem Tabak. Ich war nie im Vorstand
einer Bank – den Kopf voller wilder Pläne
verließ ich die Stadt und wurde einer von den intellektuellen Schwätzern
in Kopenhagen. Wörter sind leicht zu haben, aber wo führen sie hin?
Die einzig wahre Liebe und Anerkennung, auf die es ankommt,
kommt von denen daheim. Was aus gutem Grund immer unerfüllt bleibt.
Mein Großvater starb, ohne mich je irgendwas erreichen zu sehen.

Der Zigarrenschneider liegt immer noch hier rum. Mit ein wenig Übung
lässt er sich als Flaschenöffner benutzen. Das kann ich sehr gut.
Aber in stillen Momenten empfinde ich Scham.
Es bringt nichts zu sagen: „Lieber Großvater, die Welt hat sich verändert,
Tabakrauch ist nicht länger gelitten, selbst ein Chefbanker steht heute draußen
im Regen und raucht verstohlen wie auf dem Schulhof.“
Es bringt mich nicht weiter. So eine Ausrede ist nichts wert,
aber was hat das mit mir zu tun. Ich bin mein eigenes Scheitern.

Mein Großvater schaut skeptisch aus seinem Himmel auf mich herunter,
schneidet die Spitze einer Havanna ab, befeuchtet sie mit den Lippen
und entzündet sie an einem granitgefassten Tischfeuerzeug.
Großmütig begräbt er meine wirre Rede unter mächtigen Wolken
aus erstklassigem Rauch. Er sagt nichts,
aber ich weiß, was er denkt, und tief in meinem Innern
bleibt mir nur übrig ihm zuzustimmen.

© Niels Hav - Übersetzt von Ron Winkler



DIE TOTEN HABEN KEIN TELEFON

Briefe
die keiner schrieb
kommen nicht an.

Schnee fällt auf den Friedhof.
Draußen wartet ein Taxi
seit zehn Jahren.
Die Toten haben kein Telefon.

© Niels Hav - Übersetzt von Michael Augustin



Niels Hav wirkt als Lyriker und Schriftsteller in Kopenhagen. Seine Erzählungen und Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Portugiesisch, Niederländisch, Persisch, Arabisch und Türkisch. In Englisch sind die beiden Bücher „Moments of Happiness“ und „We Are Here“ erhältlich. In Dänisch, seiner Muttesprache, hat er sieben Lyriksammlungen und drei Bücher mit Kurzgeschichten veröffentlicht.

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