Nahid A. Mussavi: fremde und vertraute lieder
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Gerrit Wustmann
Ein stummes Untier im Haus deiner Augen
Die iranische Lyrikerin Nahid A. Mussavi legt ihr zweites Buch vor
„fremde und vertraute lieder“ heißt der zweite nun zweisprachig auf Deutsch und Persisch vorliegende Band von Nahid A. Mussavi. Erschienen ist er in der kleinen Edition Pajam des Bonner Goethe & Hafis Verlags, der sich regelmäßig verdient macht um die iranische Literatur. Mussavi, Jahrgang 1967, studierte in ihrer Heimatstadt Ahwaz Persische Literatur und schreibt Gedichte seit sie ein Teenager war. Nur veröffentlichen konnte sie in Iran nicht. Als sie ihre ersten Verse zu Papier brachte, tobte in den Achtzigern der Krieg gegen den Irak, später herrschte eine rigide Zensur über alle literarischen Publikationen. Erst im neuen Jahrtausend konnten Texte von ihr in iranischen Exilverlagen in Europa veröffentlicht werden. Ihr erstes Buch „parwaz“ („fliegen“) erschien 2011 auf Persisch bei Forough in Köln, 2013 folgte bei Goethe & Hafis „wiederum bleibt heute nacht ein vers unvollendet“.
Letzteres wurde, wie auch „fremde und vertraute lieder“ von Jutta Himmelreich ins Deutsche übertragen, der es gelungen ist, die klare Sprache des Originals ebenso zu transportieren wie Nahid A. Mussavis oft düstere Sprachspiele.
Mussavis Gedichte sind kurz und eingängig, oft nur wenige Verse lang, pointiert und klar, dabei getragen von einer betrübten und schweren Grundstimmung. Man ist bisweilen zu sagen geneigt, dass es sich bei einigen Texten um typische Exilliteratur handelt, die sich um das Erinnern an bessere Zeiten dreht, um die schwierige Selbstfindung in der neuen Heimat, um die Frage des Ankommens sowie um die zermürbenden Erinnerungen an ein Land, in dem die Autorin nicht mehr leben konnte. All das trifft zu. Doch viele Gedichte weisen darüber hinaus, bedienen sich einerseits bei der typisch persischen Melancholie, suchen andererseits, mit Hilfe der Sprache unaussprechliche Gefühle neu zu ordnen.
als ich eintrafwar es zu spät,zu spät.vor mirhatte ein stummes untierdas haus deiner augenbereits erreicht.

Was ist vertraut, was fremd? Und wie oft im Leben geschieht es, dass Vertrautes sich plötzlich als völlig fremd erweist, dass man einem Irrtum aufgesessen war? Freilich auch umgekehrt. Und wie findet man Vertrautes dort, wo man sich fremd fühlt? Warum fühlt sich die Erinnerung an die Vergangenheit so fremd an, obwohl sie vertraut sein sollte? Es sind bei weitem nicht nur Lieder, auf die der Titel des schmalen Buches anspielt. Es geht stets auch um Gegensätze, um Dinge, die einander ergänzen oder abwechseln, die nur scheinbar einen Widerspruch bergen. Mussavi demonstriert das an der Natur und verwebt sie mit Empfinden und Erinnern. Da kennen dann Lärm und Stille „das gesetz der arbeitsteilung / auswendig“, und eine Frau kehrt vom Friedhof zurück, „leicht und gefasst“, denn sie „hatte endlich / die last der heiterkeit / begraben“, und in der Einsamkeit, die in all diesen Gedichten wohnt, sind Hände „lautlos“. Es kann sein, dass
die eisigen blicke der gipfelstarr über den städtengerinnenund die stilleden lärm so niederringt,dass man hört,wie der schatten auf der wiesefalten wirft
Dabei ist nicht jeder Text so bildstark, und es gibt auch weniger konkrete Bezugspunkte für den Leser wie noch im vorherigen Band, wo oft deutliche Anklänge an historische Ereignisse zu finden waren oder auch die Bezüge zur klassischen persischen Literatur, etwa wenn Madjnun in einem Liebesgedicht auftaucht. Schockierend sind einige der Gedichte, die mit einer sehr lakonischen Sprache das Grauen von Krieg und Verfolgung darstellen, so wie dieses:
aufgereiht haben sie sie
viele, viele,die noch leben in sich spürtenneben die,dienicht wussten,wohin dieses lebenführt.aufgereiht haben sie sieunddann haben sieabgedrückt.
Nahid A. Mussavi: fremde und vertraute lieder. Persisch / deutsch. Übersetzt von Jutta Himmelreich. Bonn (Goethe & Hafis Verlag) 2017. 86 Seiten. 12,90 Euro.