Mütze #6
Jan Kuhlbrodt
Alle Kunst ist Übersetzung
Inzwischen ist die Mütze # 6 erschienen, und ich kann mir kaum vorstellen, dass es mal eine mützenlose Zeit gab. Ich gebe allerdings zu, dass ich zunächst eher skeptisch war, als ich die erste Ausgabe in der Hand hielt, galt mir doch damals Engelers Zwischen den Zeilen neben dem Schreibheft als Gipfel der deutschsprachigen Literaturzeitschriften, und ich war sehr, sehr traurig als Engeler ZdZ einstellte: konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es ein ebenbürtiges Produkt geben könne.
Nun liegt bereits die sechste Mütze vor und meine Skepsis ist verflogen. Man kann sagen, dass der Engelersche Kosmos sich erneuert hat und damit auch neue Verfahren der Distribution von Schönheit und Denken testet. Denn neben der Mütze finden wir ja auch die roughbooks, die mich immer wieder zu Beifallsstürmen verleiten. Einen Teil seiner Besatzung hat Engeler mitgenommen, so dass man durchaus von einer Einheit aus Innovation und Tradition sprechen kann.
In der Mütze #6 sind denn auch Autoren und Autorinnen versammelt, die schon lang zu meinen Favoriten gehören und auf die ich ohne Engeler vielleicht niemals gestoßen wäre.
Allen voran ist Rosemarie Waldrop zu nennen. Bei Engeler ist seinerzeit ihr Buch Ein Schlüssel zur Sprache Amerikas erschienen, das für mich zum Besten gehört, was ich jemals gelesen habe. Waldrop eröffnet darin ein sprachliches und gedankliches Universum, das sowohl den Verlust in der Geschichte als auch die Möglichkeit des Rückgewinns aufzeigt. Darin macht sie sowohl die Begegnung und Wiederbegegnung mit Texten der amerikanischen Ureinwohner möglich, ohne sie mit einer westlichen Denkweise zu überzuckern und zu zerstören. Hier wird vielleicht das sichtbar, was Benjamin in seinem Essay über das Übersetzen mit der Kommunikation zwischen den Sprachen meint. In der aktuellen Mütze ist Waldrop nun als Essayistin zu entdecken. Und auch in ihrem Essay Reicher Mangel: Edmond Jabès geht es um so etwas wie Kommunikation zwischen den Sprachen vor dem Hintergrund der dramatischen und unheilvollen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Es scheint so, dass Gedanken über die Sprache immer auch einen Blick auf Zerstörung von Sprache einbeziehen müssen, und zuweilen die Unmöglichkeit, in der Sprache des anderen zu sprechen. Berichtet wird in dem Essay unter anderem über Begegnungen von Jabès mit Celan, in denen Celan angesichts eines Jabèstextes immer wieder betont: Nein. Ich werde Sie nicht übersetzen. Das Verhältnis der beiden jedoch wird als inniges dargestellt. Interessant ist auch die beschriebene Situation, in der Celan seine Gedichte im Original vorträgt und Jabès, der des Deutschen nicht mächtig ist, gleichzeitig die französischen Übersetzungen liest.
Eine weitere Ebene des Essays sind Gedanken über Gott. Jabès ist Atheist, aber Gott bleibt Thema:
„Er ist eine Metapher für Nichts, das Unendliche, für Schweigen, Tod, für alles was uns in Frage stellt. Er ist das ultimativ Andere.“, zitiert Waldrop. Die Essayistin Rosmarie Waldrop ist hierzulande noch dringend zu entdecken.
Eingeführt ist im Sprachraum die Lyrikerin Elke Erb, sie übersetzte gemeinsam mit Marianne Frisch übrigens Ein Schlüssel zur Sprache Amerikas. Von ihr befinden sich einige neue Gedichte im Heft. Die Texte Erbs überraschen mich doch immer wieder durch ihre Wachheit und Frische. Aber in den hier abgedruckten Arbeiten setzt sie im Grund noch einen drauf, denn es sind auch Selbstbegegnungen. Die Gedichte Elke Erbs sind mit Kommentaren der Dichterin selbst versehen, aber wenn man befürchtet, sie würden zu eitler Selbstreferenz führen, ist man auf dem Holzweg. Erb begegnet sich mit einem gewissen Erstaunen und gewährt zugleich Einblick in ihre Arbeits- und Denkweise. Besonders angetan hat es mir ein Text, der mit folgendem Vers beginnt:
Muß Koffer packen. Stehe deshalb gekränkt.
Darüber hinaus finden sich Arbeiten von Hans Thill. Übersetzungen auf eine ganz andere Weise, denn sie gehen auf ein Gedicht von Hans Fleming zurück: Grabschrifft eines jungen Bähren / der gehetzet worden war. Thill setzt das sprachliche Material des Urtextes in eine turbulente Bewegung. Flemings Verse werden dabei zu Titel und Ausgangspunkt Thillscher Schöpfungen.
Ward in der Stadt verkauft, daselbsten mich zu üben /
(So lautet Flemings Vers, dem sich dann folgendes Thillsches Gedicht anschließt.)
Die Stadt bezahlt den üblen Trainer
mit Zoten. Der Studien-
rath hat Blut an den Händen
und trüben Atem, weil er saufft,
zu sanft zu sich, zu allen
andern hart, wird er von
Strass zu Strass
getrieben
Ulf Stolterfoht steuert ein Epos bei, spürt die mythischen Bedingungen gegenwärtiger Städte nach und ihrer Umgebung, er erweist sich mal wieder als Meister der größeren Form und einer aberwitzigen Historizität. Das epische Netz des Textes verhakt sich in Brandenburg und im mittleren Westen, und der Pietismus wird zur weltumspannenden Bewegung, ohne eine Herkunft um Trier zu verschweigen. Mir, dem Leser schenkt Stolterfohts Text eine große Freude:
töchter von beulah! die ihr den dichtern lieder schenkt, auch mein Dank sei ihnen gewiss.
Und von der großartigen amerikanischen Dichterin H.D. finden sich Texte im Heft, nebst der Übersetzung von Günter Plessow.
Mütze #6. Hrsg. von Urs Engeler. Solothurn 2014. 52 Seiten. Einzelheft 6,00 Euro.