Monika Vasik: hochgestimmt
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Timo Brandt
Monika Vasik: hochgestimmt. Gedichte. Nettetal (Elif Verlag) 2019. 80 Seiten. 15,00 Euro.
Wie Stimmen sich
anfüh/llen
„den furor von möglichkeiten im klang desjetzt als samen in unser sein entfaltetdies echo menschlichen ausgesetztseinsdas deiner stimme nie verloren gehtund sich in unsere kehlen fortpflanzt“(Mercedes Sosa)
In einem meiner eigenen Gedichte, in dem es um die Musik von
Lou Reed geht, gibt es die Zeile: „Wer schreibt schon Gedichte / die Welt liebt
Musik. / In ihr liegt etwas, / das wir nicht ignorieren können.“ Natürlich
liegt eine Menge Koketterie in dieser Wendung, immerhin steht sie am Ende eines
Gedichts. Doch bin ich, derweil mein Schreiben und mein lyrisches Denken von
Singer-Songwriter*innen mitbeeinflusst wurde und wird, die meiste Zeit
tatsächlich davon überzeugt gewesen, dass Musik (meist in einer Kombination aus
Text und Klang, oder auch nur als Klang) dem Gedicht an Intensität und
Nahbarkeit oftmals überlegen ist (mit einem Vorsprung, den das Gedicht mit
einem guten Vortrag durchaus wieder wettmachen kann).
In einem Punkt sind sich Gedicht und Musik allerdings in
jedem Fall ebenwürdig: sie zu beschreiben, ihre Wirkung, ihr Wesen, ist schwer.
Kann man nachvollziehbar beschreiben, wie sich eine Stimme anfühlt, was sich in
ihr versammelt, aus ihr spricht? Monika Vasiks neuer Gedichtband „hochgestimmt“
wagt sich auf dieses Terrain und kehrt, dies sei vorweggenommen, mit erfreulich
vielen gelungenen Wiedergaben, Annäherungen und Abbildern zurück.
„dein zelebrieren von melodienwirklichkeitswitternd unsre hellhörigkeitdie aneinander geöffneten töneerfunkeln gläserne weltenräumeschimmernd getragen von klavierklängen“(Diana Krall)„kaustworte zu bildern stöhnst sie halb atemlosgegen den strom wechselnder modenoder raunst flüsterst und röhrst[…] spuckst von bühnendeine raue textur aus gesang“(Patti Smith)
67 Stimmen hat Vasik versammelt und jeweils in einem Gedicht
Gestalt verliehen – was für Erfahrungswelten sich in Stimmen verdichten und
ausbreiten, das versuchen diese Gedichte zu zeigen, erleb- und erfahrbar zu
machen, als Umriss in unsere Wahrnehmung zu speisen, als Klangidee in unsere
Hörweite zu stellen. Die Stimmen stammen aus nahezu allen musikalischen Genres
(von Ethnomusik bis Oper und Klassik, dazwischen Soul, Jazz, Pop, Rock,
Country, Blues, etc.) und es sind erfreulich viele Stimmen vom afrikanischen
und südamerikanischen Kontinent vorhanden. Auch alle Altersklassen sind
vertreten, Prominenz ebenso wie Geheimtipps.
Bei der Ausgestaltung geht Vasik durchaus unterschiedlich
vor – mal baut sie die Gestalt der Stimme und ihrer Trägerin auf einem sehr
klaren Bezug auf, mal wirft sie sich in das Klangmeer der Sängerin und
versucht, adjektivisch und umschreibend, dessen Motive oder auch nur dessen
Wucht zu erfassen, zu fassen zu kriegen. Die Lebensgeschichte fließt mal mehr, mal
weniger ein, politische Positionen und sonstige persönlichen Aspekte werden
mitunter deutlich in den Raum gestellt, spielen aber manchmal auch keine tragende
Rolle.
„unterwegs im klingenden käfigdas innige äußerst verdunkeltschlief ihr ein lied zwischen allen dingen[…]how joyful her soulertränkt schmerz einsamkeit lustoder ist pop der spagat von begabtzu zerbrechlich“(Amy Winehouse)
„ach singenlindert nie die wirklichkeitaber du weißt wie sich einsamkeit anhörtals wäre sie magie derart eigenwillig deinephrasierung deine dringlichkeit jeden abendstimmst du dir mitten in der brandungdie liebe“(Édith Piaf)
Manchmal gleicht das Gedicht einem Anrufen der Stimmen und
ihrer Trägerinnen, dann wieder mehr einem Umweben, Umgarnen und manchmal klingen
sie auch ein bisschen zu sehr nach klaren Zuschreibungen. Bei einigen Gedichten
erwies es sich als hilfreich, sich die Stimmen nach der Lektüre direkt
anzuhören, denn das nahm den Gedichten viel von ihrer zunächst hochgestochen
wirkenden Dramatik und machte ihre Zuschreibungen greifbar, fasslich, um nicht
zu sagen: stimmig.
Im Vokabular von Vasiks Gedichten gibt es natürlich einige
Wiederholungen, darunter einige Begriffe, die dem bekannten Repertoire für
Stimmen und musikalische Darbietungen entstammen, die aber auch manchmal mit
der Herkunft der Sängerinnen zusammenhängen. Das einzige Wort in diesem
Vokabular, das, so finde ich, ein wenig überstrapaziert wird, ist das Wort
Wurzel, nebst dazugehörigem Adjektiv und Verb. Es ist daher auch bei Vasik eher
Koketterie, wenn sie in einem Gedicht
schreibt:
„wie linkisch hingegen heben kaum ab unsrestimmen aus den engen des vokabulars der bewunderung“
Denn linkisch sind ihre Gedichte ganz und gar nicht und ihr
Vokabular der Bewunderung ist agil und variantenreich; dazu kommen immer wieder
gelungenen Binnenreime, Tempowechsel. Die Gedichte lassen sich nämlich Zeit,
wenn es sein muss, nehmen sehr unterschiedlich Fahrt auf, spitzen sich manchmal
sehr plötzlich zu oder öffnen sich, mit einer Wendung, in eine unvorhergesehene
Richtung.
„dein ziel ist diesen intensiven momentbeim singen zu spürenund beim komponierenwider kommerz wider tausendmal erprobte harmoniestrukturen“(Laura Mvula)
„wenn töne auf einmal nottunum das leid des eigenen körpersfür ein zwei stunden den schmerzbeiseite zu schiebendu machst sie zu leisen besendie dich von schwere leerräumen“(Melody Joy Gardot)
Alles in allem ist „hochgestimmt“ ein Buch, vor dem ich in
vollster Überzeugung den Hut lüften will. Wie schön ist es doch, wenn ein
Lyrikband nicht nur gut geschrieben ist, sondern auch noch ein spannendes Sujet
hat, Welten und Themen erschließt.
Was immer wieder in den Gedichten mitschwingt, worauf sie
oft zu sprechen kommen, ist die heilsame Kraft der Musik (für die Macher*innen
wie auch die Zuhörer*innen), ihr befreiendes und kommunikatives Wesen. Der
Musiker Billy Joel hat es einmal schön gesagt:
“I think music in itself is healing. It's an explosive expression of humanity. It's something we are all touched by. No matter what culture we're from, everyone loves music.”
Vasiks Buch erzählt viele Geschichten von Sängerinnen, die
mit der Musik leb(t)en, für die sie Befreiung und Bewältigung war/ist; in ihren
Annäherungen an die Stimmen schwingen die Geschichten von vielen
unterschiedlichen Emanzipationen mit. Das ist, last but not least, ebenfalls
ein gelungener Aspekt, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Ich habe jetzt
aber erstmal eine ziemlich lange Playlist abzuarbeiten.