Monika Rinck: Wirksame Fiktionen
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Jan Kuhlbrodt
Zu Monika Rinck: Wirksame Fiktionen
Brecht hat es in LA nicht gefallen,
Sprachprobleme hatte er, und es war ihm zu heiß, aber Eisler nahm dort, als er
ein Stipendium bekam, ein altes Projekt wieder auf, und schrieb in der Trockenheit
Kaliforniens ein Stück über den Regen. Vierzehn Arten den Regen zu
beschreiben, eine seiner schönsten Kompositionen, wie ich finde.
Etwas muss also dran sein an diesem
LA, irgendein Spirit, der die einen verzweifeln lässt, die anderen aber auf
künstlerische Höhen treibt. Diese Kinostadt und deshalb wohl auch aus deutscher
Sicht die Stadt der Emigranten. Mann und Feuchtwanger zum Beispiel, die den
aktuellen deutschen Stipendiaten ihre Villen hinterließen.
Monika Rinck entwirft jedenfalls in
der dortigen Villa Aurora eine Reihe von Vorlesungen, die sie am 30. und 31.
Januar in Göttingen gehalten hat, und die nun als Buch mit dem Titel Wirksame
Fiktionen vorliegen. „Über Lyrik zwischen Fiction und Non-Fiction“ heißt es
im Untertitel und öffnet somit eine Perspektive auf die Lyrik, die sie von
vornherein ihrer Behaglichkeit entreißt und ihr auch formal neue Themenfelder
eröffnet. Und das, glaube ich, ist das erst einmal Wesentliche dieser
Betrachtung. Lyrik, so scheint es, ist schon der Form nach „sachlich, im Sinne
des sogenannten Buches, des Sachbuches.“
Rinck trifft lesend in Kalifornien auch auf Kolleginnen, die in Büchern, in Texten ihre Momente ablegen. Sie schließt zum Beispiel in einer Textcollage an Christa Wolf eine eigene Meditation über den Autoverkehr an, und vielleicht liegt oder steht im Stau der Stadt auch gleich der Link zur Gegenwart. Und Wolfs Text ist einem Buch entnommen, das ihn mit Roman labelt, den Non-Fiction Gehalt also in die Fictionecke drängt. Dort aber will, so scheint es, der Text sich nicht einfinden. Der Kompromiss: Roman Essay. Und direkt von Wolf kommt Rinck auf Cotten, die in einem Gedicht eben jenen Autoverkehr besingt, der sie zum Kompromiss drängt.
Übrigens birgt der Essay, wie jeder
gute Essay über Lyrik, auch etwas wie eine versteckte Gedichtanthologie mit
Texten von Cotten, Erb, Brolaski und anderen. Brolaskis Text, Horse Visions,
zweisprachig im Buch, ist einer Anthologie entnommen, die New Poets from
Native Nations heißt. Großartig. Und es schließen sich kurze Reflexionen
über Tiernamen an.
Rinck zitiert an einer Stelle
Thomas Strässle, dass im Gegensatz zur fiktionalen Erzählung in der faktualen
Erzählung der Autor zugleich der Erzähler des Textes sei, und sie ergänzt:
Das gilt in vielen Fällen, lyrisches Ich hin oder her, auf eine vertrackte Weise auch für das Verfassen von Gedichten.
Gelesen, also nicht gehört,
verwandeln sich Rincks Vorlesungen in einen Essay, einen freien, einen
mäandernden Text, der sein Ziel, oder besser sein Thema zwar in Auge behält,
aber links und rechts seiner Wegstrecke Material aufnimmt, seinem Fluss
anverwandelt, aber schon auch einmal toten Armen überlässt. Aber das ist
Methode des flanierenden Essays, und seine kurzen Aufenthalte auf den Abwegen
machen letztlich nur deutlich, dass es ihm, mit dem worum es ihm geht, ernst
ist.
Auf dem Sprungturm steht indes die These: Gute Gedichte sind Non-Fiction. Sie gehören in das Sachbuchregal. Aber das erwähnte ich bereits. Eigentlich möchte ich die Grenzen nicht noch enger ziehen. Es gibt schon viel zu viele davon. Eher möchte ich versuchen, über diese Grenzen hinweg Dinge, Gedichte und Leute zusammenzubringen – und auch daran erinnern, wie tödlich die Grenzen sein können, die uns umgeben.
Hier, in diesem zitierten Satz,
wird enggeführt, was sich auf verschiedenste Weise im Essay oder in den
Vorlesungen ausdrückt, was sich aber auch in einer bitteren Realität zeigt.
Trumps Mauer an der Mexikanischen Grenze der USA wirft Schatten in den Text,
und gerade in Kombination mit den Gedanken Christa Wolfs die kurz nach dem
Berliner Mauerfall nach Kalifornien kam, noch mit den Reisedokumenten eines
Landes ausgestattet, das es gar nicht mehr gab. Aber, und das ist das
Grandiose, die Gedichte im Essay zeigen sich als Orte des Widerstands, als
sträube sich in ihnen etwas gegen die vertrackte Gegenwart.
Es geht um das Offenhalten der Räume. Dichtung, so verstanden, verweist auf informationell nicht auflösbare Relationen und öffnet sich auf die unbekannten Möglichkeiten der Zukunft, indem sie ein Bündnis mit der Offenheit der Realität eingeht.
Monika Rinck: Wirksame Fiktionen.
Göttingen (Wallstein Verlag) 2019. 102 Seiten. 18,00 Euro.