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Monika Rinck: Alle Türen

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Michael Braun

Im Wirbel der Drehtür

Monika Rinck öffnet „the doors of perception”


In seinem Gedicht „Der halbfertige Himmel“ hat der Dichter Tomas Tranströmer einmal einen magischen Augenblick der Übertretung einer Schwelle imaginiert: „Jeder Mensch eine halboffne Tür,/ die in ein Zimmer für alle führt.“ Das war 1962. Die Dichter der (Post)Moderne gehen in diesem Sinne durch Türen und Passagen hindurch, die sie in einen anderen Zustand und in ein befreites Territorium führen. Diese Übergangsbewegung hat die amerikanische Rockband The Doors, die ihrerseits ihren Namen von Aldous Huxleys „The Doors of Perception“ entlehnte, in wilden Melodien und Rhythmen popularisiert. Auf diese ungestillte Sehnsucht referierte auch der junge Rebell Rolf Dieter Brinkmann, der die große Übertretung der Schwelle in einer Liedzeile der Doors zusammenfasste: „Break on through to the other side“. Dem Grenzübertritt auf die „andere Seite“ und in den „anderen Zustand“ hatte Brinkmann zuvor, in seinem Debütbuch „Le Chant du Monde“ (1964), andere Tür-Gedichte entgegengestellt, die eine andere Perspektive auf die Schwelle einnehmen: „Besser als ein Gedicht/ ist eine Tür,/ die schließt.“

Diesen Elementarzuständen offener und halboffener, angelehnter und zuschlagender Türen hat sich auch Monika Rinck in sehr geistreichen und lustvoll ausschweifenden Essays und Gedichten gewidmet. In ihrem Essayband „Risiko und Idiotie“ (2014) verweist sie auf das Wort der großen Diva Greta Garbo, die über den Regisseur Ernst Lubitsch gesagt hat, er sei ein sehr guter Regisseur von Türen, durch die dann auch die Menschen treten. Und welche künstlerische Gattung agiert bevorzugt mit blitzschnell sich öffnenden und dann auch rasch wieder zuschlagenden Türen? Es sind die leichten Genres: die Burleske, das Lustspiel oder die komische Oper. Oder eben die Operette, deren heiteren Zustände der Ausgelassenheit und Rauschhaftigkeit von Monika Rinck in ihrem jüngsten Gedichtbuch „Alle Türen“ mit enthu-siastischen Liebeserklärungen bedacht werden.

Schon das von Andreas Töpfer gestaltete Covermotiv des neuen Bandes, das die Seiten eines aufgeschlagenen Buches als geheimnisvolle Pforten und Türen darstellt, ist ein herrlicher Türöffner. Die Elementarzustände der Bewusstseinserweiterung werden denn auch in einem Gedicht wie „Wie etwas erscheint“ im Verweis auf Huxleys „The Doors of Perception“ emphatisch aufgerufen: „Gewisse Anzeichen dafür, wie etwas erscheint. Es sieht aus wie Erregung./ Ich seh die Türen klappern. Der Tapir tanzt in einem Zeremonienhaus (aus Matsch).// Wenn ich eine Türe schließe, öffne ich den Raum des Imaginären.“
    In ihrem neuen Gedichtbuch öffnet Monika Rinck sehr viele Türen ins Imaginäre. Mit der ihr eigenen Gedankenschnelligkeit und „Seiltänzerkühnheit“ (von der sie in ihrem seit 1997 im Internet geführten „Begriffsstudio“ spricht) switcht sie sich durch die unterschiedlichsten Wissensbereiche und Assoziationsfelder. Es sind in ihren beiden jüngsten Werken – neben dem Gedichtband ist auch das opulente Lesebuch „Champagner für die Pferde“ (S. Fischer) erschienen – die künstlerischen Sphären der Operette, die Topoi der Psychoanalyse und der Seelenforschung und nicht zuletzt der Linguistik, in die sie eintaucht und als kunstvolle „Auswilderung des Ich“ zelebriert. In großer poetischer Beweglichkeit und Kombinationskunst führt sie ihre Exerzitien der Reflexionseleganz in den fünf Kapiteln ihres neuen Bands in formal höchst unterschiedlichen Gedichten vor. Ein Gedicht wie „Nach der Ouvertüre: Türen schlagen“ liest sich wie eine rasante Akkumulation historischer Operettenmotive, die in einer bizarr-heiteren Montage verknüpft werden. Jedes dieser Operetten-Gedichte ist auch als Reminiszenz an den Komponisten Jacques Offenbach zu lesen, dessen 200. Geburtstag 2019 gefeiert wird. Daneben stehen konzentrierte Miniaturen und Meditationen wie „Wo ist meine Seele“: „Ich liege auf dem Bett wie auf dem Wasser/ und das Wasser steigt es steigt./ Ich muss das nicht ich nennen./ Nicht das was hiertippt ich nennen./ Berichtet nur berichte nur und hab dafür/ eben dies. Aber es ist nicht das was ich meine./ Ich meine eher: Sie ist überall. Die Seele.“   

Der traditionellen poetischen Form zieht Rinck stets das Prinzip der ästhetischen Kollision vor. Das hat sie in „Champagner für die Pferde“ so beschrieben: „Poetisch sprechen, mit metaphorischen Kollisionen ungleicher Teile, analytisch, musikalisch, singend, interventionistisch ... mit nicht zu erwartenden Sprüngen, in steilen Bildern, in Katarakten, ... aufgeschäumt, verklausuliert, dann wieder von einschneidender Offensichtlichkeit.“
    So funktionieren auch ihre Gedichte als das große Nebeneinander kleiner Phantasmagorien, sinnlicher Momentaufnahmen, vokabulärer Zufallseinfälle und blitzartiger Impressionen. „Alle Türen auf, Putzi“! Die Entriegelung der geschlossenen Türen und Denksysteme ist auch in ihrem neuen Gedichtband die Domäne dieser Autorin. Monika Rincks poetische Unruhe ist Voraussetzung für unser intellektuelles Vergnügen: „Ich bringe Schönheit in die hirnverbrannte Welt!“


Monika Rinck: Alle Türen. Gedichte. Berlin (kookbooks Verlag) 104 Seiten. 19,90 Euro.
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