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Miron Białoszewski: M'ironien

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Jan Kuhlbrodt

Miron Białoszewski: M'ironien. Polnisch / deutsch. Übersetzt von Dagmara Kraus. Strasbourg, Oegstgeest und Schupfart (rough books # 054) 2021. 238 Seiten. 18,00 Euro.

Das ist keine Rezension
oder
Lyrik als Lebenshilfe.


Das roughbook 054 präsentiert Gedichte von Miron Białoszewski. Es ist die bislang wohl umfangreichste Ausgabe mit seinen Texten, nachdem Reinecke & Voß vor einiger Zeit die Tür zur Rezeption seines Werkes aufgestoßen hatte. Übersetzt wurden die Texte von Dagmara Kraus und herausgegeben von Henk Proeme.
    Dagmara Kraus hatte auch bereits für Reinecke & Voss übersetzt und eine Ausgabe organisiert, in der verschiedene Autorinnen und Autoren sich übersetzerisch dem Werk des Polen genähert haben.

Was mir bei der Lektüre des Bandes M‘ironien, also bei jenen jüngst erschienenen, wiederum auffällt, ist die Erhabenheitsferne, die diese Gedichte ausmacht. Sie sind kein Blick auf den Olymp, um Erhabenheit zu besingen, aber eben auch keiner in die andere Richtung, um das menschliche Gewirr zu verklären, sondern sie präsentieren das, was in den Augen der Irdischen erhaben erscheinen will, als die Staffage eines Karussells auf dem Jahrmarkt. Insofern kann man das Gedicht „Das Madonnen-Karussell“ vielleicht als programmatisch betrachten. Zumindest in die eine Richtung. Die andere ist die, welche mich gerade heute dazu brachte, diese kurze Bemerkung zu diesem grandiosen Band zu verfassen.

Im Vorwort spricht der niederländische Slawist Henk Proeme davon, dass Białoszewskis Texte sich dadurch auszeichneten, dass sie immer wieder überraschend neue Themen aus der Alltagswelt in die Poesie eingebracht hätten. Dem kann ich nur beipflichten, und hier sehe ich auch eine Parallele zur deutschen Dichterin Elke Erb, deren Alltagsnähe mich von Anfang an beeindruckte. Und dabei verklären beide, sowohl Erb und Białoszewski nicht, sondern weiten auf eine geradezu unheimliche Weise den Blick. Es gibt in „Vexierbild“ von 1988 einen kurzen Text von Elke Erb über das Aufhängen von Gardinen, etwas das ich immer mit Verwunderung betrachtete und das mir hier plötzlich im Gedicht erschien.

Ich hatte mir heute das Buch von Białoszewski aus dem Regal gezogen, um meine Nervosität zu bekämpfen, die mich immer vor einem Zahnarztbesuch ereilt. In den letzten Wochen traten derartige Termine häufiger auf, denn die Cortison-Behandlungen der letzten Jahre haben nicht zuletzt in meinen Kauspalten tiefe Furchen hinterlassen, und mir wurden im letzten Monat ungefähr die Hälfte der Zähne gezogen, um sie durch Prothesen zu ersetzen. Und Verweise aus der Umgebung, dass bekannte Eishockeyspieler das schon mit 18 Jahren hinter sich gebracht hätten, beruhigten mich wenig.

Auf Seite 143 von M‘ironien beginnt ein Zyklus, der „Die Dritten“ heißt, und merkwürdigerweise lenkt dieser mich auf eine gute Art und Weise von dem ab, was mir bevorsteht. Na gut, die entsprechenden Zähne sind raus, und es geht noch um die Anpassung der Prothese. Aber die Vorstellung, dass ab morgen über Nacht ein Glas mit meinen Kauwerkzeugen neben dem Waschbecken stehen wird, macht mir schon ein wenig Kummer.
    Wenn ich aber folgendes Gedicht aus besagtem Zyklus lese, überkommt mich eine gewisse Entspannung.

Chor der Ratschläge

–        es hört auf wehzutun
–        finde dich ab
–        du gewöhnst dich dran
–        trag sie erstmal
–        lies damit
–        beiße

Natürlich ist das nur ein Aspekt dieser Dichtung. Auch werden Krankheit und Tod thematisiert, und vielleicht ist es jene Direktheit, die Białoszewskis Dichtung so erträglich macht und den Umgang mit dem Unausweichlichen erleichtert.

„Das Leben wie es sich abspielt, in Angriff zu nehmen. Zu entmythologisieren. Ent-metaphorisieren.“ schreibt er selbst.


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