Michelle Steinbeck: Eingesperrte Vögel singen mehr
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Timo Brandt
Postironiekonfetti,
gemacht aus Ansichtskarten, Notizen und Liebesbriefen
„ich habe geträumtdu hast eine geküsstund dann habe ich dich zerstückeltdas stimmt doch nichtsagst duda glaube ich es selber nicht mehraber es bleibt doch dieses bildwie ich deinen kopf an den haaren herumtrage“
Michelle Steinbeck, Autorin des sehr lesenswerten Romans „Mein
Vater war ein Mann am Land und im Wasser ein Walfisch“, hat mit „Eingesperrte
Vögel singen mehr“ ihren ersten Gedichtband vorgelegt. Das Cover lässt es schon
erahnen: hier findet sich manch Niedliches, das aber auf wild gebürstet wird,
manch Possierliches, das mitunter schlagartig zur Irritation neigt.
In vielen Gedichten begegnen wir einem Mix aus Kitschkoketterie
und Postironie, der nicht selten (im ersten der fünf Kapitel vor allem
romantische) Ambivalenzen untermalt und vertieft. Manchmal weiß man nicht, ob
das lyrische Ich schmachtet, kichert oder bloß grinst – zu unklar ist, ob die
Süffisanz das Wort führt oder doch die Melancholie oder doch die Sehnsucht.
„er bestellt ikeaeinbauschränkeich schreibe: mit jedem möbel das du kaufst, baust du unsere zukunft zuer hat es noch nicht gelesender mond steht über den ruinen“
Das ist natürlich auch die Stärke mancher Gedichte: sie stehen zwischen den konkreten Atmosphären, die sie anspielen und beschwören, es bleibt in ihnen immer genug Platz für hintersinnige Tendenzen – würde man mit einem Kitsch-vorwurf in sie hineinstürmen, fände man sich rasch umstellt von komischen Frequenzen und die Nabelschau könnte sich als Purzelbaum, als Salto entpuppen.
Am stärksten finde ich vor allem einige sehr kurze kursive Sentenzen, die unter einigen Gedichten (als wären sie Kommentare oder kleine Extras, meist haben sie aber nichts mit ihnen zu tun) abgedruckt sind. Ich hatte mehr als einmal den Eindruck, dass die ganzen lyrischen Texte nur spontanes Beiwerk, Angesammeltes und Mitverwertetes sind, dass aber in diesen kursiven, träumerischen Sätzen die eigentlichen Ambitionen des Bandes, gut verborgen, liegen und herauf-leuchten, hervorblitzen. Zwei Beispiele:
„heute habe ich es nicht weiter als bin zum kompost geschafftes war sehr warm und schön“„ich will so tief ausatmen wie die züge in der nacht vor dem schlafengehen“
In diesen kürzesten Texten fließen das Zärtliche und das
Komische zusammen, verwandeln sich in etwas Gemeinsames, ohne Brüche. Ich mag
die Komik und die Zärtlichkeit in Steinbecks Gedichten generell, aber in den
anderen sind sie oft voneinander getrennt, sprechen neben-einander, nacheinander,
nicht im selben Atemzug, in dieselbe Richtung.
Nun habe ich viel über Zärtlichkeit und Komik gesprochen,
Steinbecks Verse können aber auch rotzig sein, bissig, ein bisschen abgründig. Die
Konzeption des lyrischen Ichs ist generell relativ ungefiltert, uneinheitlich –
das kann man wohlwollend auslegen und sagen, dass die Gedichte Stimmungslagen
wiedergeben, Facetten offenbaren (so empfinde ich es); oder man legt es
missgünstig als Dilettantismus aus, was ich immer (ja, immer) als billige Geste
vom hohen Ross ansehe.
„ich ziehe orangen über den scanner und denkedass ich weg muss mich sammelnmich flicken in indischen wälderneine frau ruft mir hinterherkarte stecken gelassenkopfschüttelnzwei alte mit hund geben sich ernsthaft die handder schnüffelt am randstein und pinkelt“
Obwohl ich Steinbeck keinen Dilettantismus nachsagen will,
muss festhalten werden: zumindest bei den Gedichten in diesem Band zeigt sie
kein großes Interesse am Formenreichtum der Lyrik, ihre Gedichte haben sogar
fast etwas Formloses.
Gedichte, die länger als ein paar Zeilen sind, verlieren
sich schon mal in Belanglosigkeiten, zwar ohne langweilig zu werden (sie haben
immer einen Trumpf im Ärmel), aber es bleibt am Ende trotzdem wenig übrig,
wenig in Erinnerung (das gilt vor allem für die Reise- und Italiengedichte der
letzten zwei Kapitel).
Trotzdem bleibt mir der Band immer sympathisch, was vor
allem an Steinbecks spielerischer Art zu schreiben liegt, die mich während der
Lektüre bei Laune hält und immer wieder mit neuen Tonlagen überrascht, u.a.
bspw. auch mit kritischen, aber vollkommen unzynischen Gedichten.
„bin ich dein amantenein das bist du nichtkönnen frauen und männerdenn keine freunde seinhand an meiner hüftepack sie wieder einandreino andreinosonst so intelligentaber mit mirblöd wie alle andern“
Oder, um es anders zu sagen: es gibt da einen Sound, der die
Texte immer wieder anziehend, reizvoll macht. In diesem Buch liegen Schalk,
Inbrunst, Ironie, Schmerz, Schönes, Sehnsucht und Irrsinn herum, eher verstreut
als konzentriert, die Lektüre ist ein Auflesen, das durchsetzt ist von
Schmunzeln und Staunen.
Ich habe mich bei manchem Text gefragt, ob die Autorin ihrer
Lyrik nicht ein bisschen zu wenig zutraut, ob der fast schon notorische Zug zum
Unaufgeregten, zur Zweideutigkeit nicht das Potenzial mancher Gedichte
torpediert; ist das eigener Stil oder doch fehlender Mut?
Ich will das nicht abschließend beantworten. Aber gerade
weil mich manches in diesem Band berührt oder zum Lachen gebracht hat und
richtig cool ist, frage ich mich doch, warum so viele Gedichte sich ins
Lässige, ins Beiläufige zurückziehen, sich ein bisschen verwässern. Vielleicht
sind mir da aber auch Emotionen entgangen, das kann ich nicht ausschließen.
In jedem Fall: ich habe mich amüsiert, ich wurde berührt.
Das ist ja schon viel.
„ich habe in mir herumgeforscht und stiess auf gogols nase“
Michelle Steinbeck: Eingesperrte Vögel singen mehr. Dresden (Verlag
Voland & Quist) 2018. 96 S. 15,00 Euro.