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Michel de Montaigne: Das Gefühl für das Gute und Böse hängt großenteils von der Meinung ab, die wir davon hegen

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Michel de Montaigne:

Das Gefühl für das Gute und Böse hängt großenteils von der Meinung ab, die wir davon hegen



Die Menschen (sagt eine alte griechische Sentenz) werden von den Meinungen gequält, die sie von den Dingen hegen, und nicht von den Dingen selbst. Man hätte schon einen großen Schritt zur Erleichterung des menschlichen Elendes gewonnen, wenn man diesem wahren Gedanken durchgängig und allenthalben Eingang verschaffen könnte. Denn wenn das Übel keinen andern Eingang bei uns findet als durch unser Urteil, so scheint es in unsrer Macht zu stehen, es zu verachten oder zum besten zu kehren. Wenn die Sachen sich nach unserm Gutachten fügen, warum lenken und beherrschen wir sie nicht zu unserm Vorteile? Wenn das, was wir Übel und Pein nennen, an sich selbst weder Pein noch Übel ist, sondern nur insofern ihm unsre Phantasie diese Eigenschaft gibt, so steht es bei uns, es zu verwandeln? Und da wir die Wahl haben und da nichts uns zwingt, so sind wir ganz sonderbare Toren, uns steif und fest auf der Seite zu halten, die uns den meisten Verdruß macht, und den Krankheiten, der Armut und der Verachtung einen so bittern, widrigen Geschmack zu geben, wenn wir solchen einen guten geben können? Und wenn das Glück nichts weiter hergibt als die Materie, so ist es unsre Sache, ihr die Form zu geben.

Aber, laß sehen, ob der Satz Stich hält, daß das, was wir Übel nennen, an sich kein Übel ist, oder (welches auf eins hinausläuft) ob wenigstens so wie es ist, bei uns selbst es stehe, ihm einen andern Geschmack, eine andre Gestalt zu geben? Wenn das ursprüngliche Wesen der Dinge, die wir scheuen, die eigentümliche Macht hätte, sich uns nach eigner Willkür zu unterwerfen, so würde es diese Willkür über alle Menschen auf einerlei Art behaupten. Denn alle Menschen sind von einerlei Gattung und sind, das Mehr oder Wenigere vorausgesetzt, mit einerlei Werkzeugen und Organen zum Wahrnehmen und Schließen versehen. Nun aber zeigt die Verschiedenheit der Meinungen ganz deutlich, daß sie nur auf Bedingung bei uns einziehen: Der eine nimmt sie vielleicht bei sich auf für das, was sie wirklich sind; aber tausend andre geben ihnen bei sich eine neue und ganz verkehrte Beschaffenheit.

Wir halten den Tod, die Armut und körperliche Schmerzen für unsre hauptsächlichsten Feinde. Wer weiß aber nicht, daß dieser Tod, den einige das Schrecklichste aller Schrecknisse nennen, von andern der einzige Hafen gegen die Stürme dieses Lebens, das höchste Gut der Natur, die einzige Stütze unsrer Freiheit, das allgemeine und schnelle Heilmittel gegen alle Übel genannt wird? Und daß, so wie etliche mit Zittern und Zagen an ihn denken, andre ihn leichter ertragen als das Leben? Jener beklagt sich über seine Leichtigkeit:

Mors utinam pavidos vita subducere nolles,
Sed virtus te sola daret!
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Doch nichts mehr von so tapfern Gemütern! Theodorus antwortete dem Lysimachus, der ihn zu töten drohte: Du wirst eine mächtige Tat verüben, wenn du's an Gewalt einer Bremse gleichtust. Unter den Philosophen haben die meisten ihren Tod mit Fleiß beschleunigt oder sind ihm mit allem Bedacht zuvorgekommen. Wie viele gemeine Menschen sieht man zum Tode führen, und nicht etwa bloß zu einem einfachen Tode, sondern begleitet von Schimpf und Schande und zuweilen von den herbsten Qualen, die mit einer solchen Standhaftigkeit erscheinen, der eine aus Hartnäckigkeit, der andre aus natürlicher Einfalt, daß man keine Veränderung in ihrer gewöhnlichen Fassung wahrnehmen kann. Sie beschicken ihr Haus, soweit sie dürfen, empfehlen sich ihren Freunden, singen, halten Reden ans Volk und machen gar noch zuweilen Spaß und Scherz zum Lachen. Sie trinken auf das Wohl ihrer Bekannten, so gut wie Sokrates.

Einer, den man zum Galgen führte, sagte, man möchte sich ja hüten, durch eine gewisse Gasse zu gehen; er liefe sonst Gefahr, daß ihn ein Kaufmann anpackte, bei dem er noch von alters her an der Kreide stünde. Einer sagte zum Scharfrichter, er solle ihm nicht an den Hals greifen, er möchte sonst vor Lachen aufspringen, weil er sehr kitzlich sei. Jener antwortete seinem Beichtvater, der ihm die Verheißung gab, daß er heute noch mit unserm Erlöser zu Tische sitzen würde: Gehn Sie nur hin und nehmen meinen Platz; denn ich habe Fasttag. Jener andre, dem, als er zu trinken begehrt hatte, der Henker es durch Vortrinken zubrachte, wollte ihm nicht nachtrinken, denn, sagte er, der könnte mir eine böse Krankheit mitteilen. Alle Welt muß von Picard erzählen gehört haben, dem man, als er bereits auf der Leiter stand, Gnade versprach (wie unsre Justiz wohl zuweilen gestattet), wenn er ein gewisses Mensch, das man ihm zeigte, heiraten wollte. Er betrachtete solches ein Weilchen, merkte, daß das Mädchen hinkte und rief: Schnüre zu! Schnüre zu! Das Ding geht schief! So erzählt man etwas Ähnliches, das sich in Dänemark zugetragen haben soll. Einem Menschen nämlich, der verurteilt war, den Kopf zu verlieren, bot man auf dem Blutgerüst unter ebensolcher Bedingung Gnade an, die er aber ausschlug, weil das Mädchen, das man ihm geben wollte, hohle Wangen und eine Spitznase hätte. Ein Bedienter zu Toulouse, der Ketzerei wegen eingezogen wurde, wußte keinen andern Grund seines Glaubens anzugeben, als weil es der Glaube seines Herrn wäre; dies war ein junger Student, der mit ihm im Gefängnis saß, und blieb der Bediente dabei, lieber zu sterben als sich überzeugen zu lassen, daß sein Herr irren könnte. Wir lesen von den Bürgern der Stadt Arras, daß, als der König Ludwig der Elfte solche einnahm, sich eine ansehnliche Zahl von ihnen lieber hängen ließ als rufen wollte: Es lebe der König!

Und unter den kriechenden Seelen der Hofnarren haben sich einige gefunden, die ihr Possenreißen selbst im Tode nicht haben lassen wollen. Einer von ihnen schrie, als ihn der Henker von der Leiter stieß: Aufgeschaut! Ein Wort, das er bei seinen Späßchen immer brauchte. Und ein andrer, den man, in dem Augenblicke, da er den Geist aufgeben wollte, längs dem Kamine auf einen Strohsack gelegt hatte, antwortete dem Arzt, der ihn fragte, wo er denn eigentlich die Krankheit hätte: zwischen der Bank und dem Kamin. Und als der Priester, der ihm die Letzte Ölung geben wollte, seine Füße suchte, die er wegen der Schmerzen an sich gezogen hatte: Sie werden sie wohl, sagte er, am Ende meiner Beine finden. Denjenigen, der ihn ermahnte, er solle sich Gott empfehlen, fragte er: Wer reist hin? Und als ihm dieser antwortete: Das wirst du bald selbst sein, wenn's ihm gefällt, so versetzt' er: Sollt' ich morgen abend wohl angelangt sein? Empfiehl dich ihm nur, verfolgte der andre, du wirst bald dort sein. Nun, fuhr der erste fort, so ist's wohl besser, daß ich ihm meine Empfehlungsschreiben selbst überbringe!

Im Königreich Narsingen werden noch jetzt die Weiber der Priester mit den Leichen ihrer Ehemänner lebendig begraben. Alle übrigen Eheweiber werden beim Leichenbegängnis der ihrigen lebendig verbrannt und sind dabei nicht nur standhaft, sondern sogar fröhlich und munter. Beim Tode eines Königs stellen sich nicht nur seine Gemahlinnen, Kebsweiber, Günstlinge und alle Minister und Bediente aus dem Volke sehr munter beim Feuer ein, wo sein Leichnam verbrannt wird, sondern suchen auch die größte Ehre darin, wenn sie gewürdigt werden, ihrem Herrn Gesellschaft zu leisten.

Während unsers letzten Krieges im Mailändischen, worin das Volk über die abwechselnden Vorteile und Nachteile unwillig ward, faßte es eine solche Bereitwilligkeit zum Tode, daß ich meinen Vater sagen gehört habe, wie er es erlebt habe, daß sich wohl fünfundzwanzig Hausherrn in einer Woche das Leben verkürzt hätten: ein Ereignis, das demjenigen nahe kommt, was sich bei den Xanthiern zutrug, welche sich, als Brutus sie belagerte, solchergestalt, Männer, Weiber und Kinder, der Wut zu sterben überließen, daß man weniger tut, um dem Tode zu entfliehen, als diese taten, um dem Leben zu entgehen; so daß auch Brutus kaum eine kleine Anzahl von ihnen zu retten vermochte.

Jede Meinung ist stark genug, um sich der Menschen auf Kosten ihres Lebens zu bemeistern; der erste Artikel des kühnen Eides, den die Griechen im Medischen Kriege schwuren und hielten, lautete: Jedermann wolle lieber das Leben mit dem Tode als die persischen Gesetze mit den seinigen vertauschen. Wie viele Menschen sieht man nicht in den Kriegen der Türken mit den Griechen, die lieber den Tod, und zwar einen sehr bittern Tod erleiden, als ihrer Beschneidung entsagen und sich taufen lassen wollen. Beispiele, deren keine Religion unfähig befunden wird.

Als die kastilischen Könige die Juden aus ihrem Reiche und Lande verbannt hatten, verkaufte ihnen der König Johann von Portugal kopfweise um acht Taler die Freiheit, sich in seinem Reiche für eine gewisse Zeit mit Sicherheit aufhalten zu dürfen, mit der Bedingung, daß sie nach deren Verlauf es räumen sollten; und versprach ihnen alsdann Schiffe herzugeben, die sie nach Afrika überfahren sollten. Als der Tag erschienen und es verkündigt worden war, daß diejenigen, welche der Bedingung nicht gehorchten, als Sklaven im Lande bleiben würden, gab man eine ganz unhinlängliche Anzahl Fahrzeuge, und diejenigen, die sich darauf einschifften, wurden durch die Schiffsleute so hart und bübisch behandelt und unter andern Tücken, die sie ihnen erwiesen, so lange auf dem Meere herumgeschleppt, bis sie ihren Mundvorrat völlig aufgezehrt hatten und gezwungen waren, von ihnen so teuer und so lange zu kaufen, ehe sie an Land gesetzt wurden, bis sie nichts mehr zu verkaufen hatten als ihre bloßen Hemden. Als die Zeitung von dieser Unmenschlichkeit zu denjenigen gelangte, welche im Lande geblieben waren, entschloß sich der größte Teil davon zur Sklaverei; einige taten so, als ob sie die Religion verändern wollten. Emanuel, Nachfolger des Königs Johann, setzte sie anfangs in Freiheit, und als er hernach seine Meinung änderte, befahl er ihnen, das Land zu verlassen, und wies ihnen drei Häfen an, wo sie sich einschiffen sollten. Er hoffte, sagt der Bischof Osorius (ein nicht unbedeutender lateinischer Geschichtsschreiber für unsre Zeiten), da das Geschenk der Freiheit nicht gewirkt hätte, sie zum Christentum zu bekehren, so würde die Schwierigkeit, sich den Diebereien der Schiffsleute auszusetzen und ein Reich zu verlassen, worin sie große Reichtümer besäßen, um nach einem fremden Lande überzusetzen, das sie nicht kannten, sie dazu vermögen. Da sich aber der König in seiner Hoffnung betrogen und die Juden völlig entschlossen sah, die Fahrt zu unternehmen, so sperrte er zwei von den Häfen, die er ihnen versprochen hatte, damit das Zaudern und andre Unbequemlichkeiten doch einige bewegen möchte, sich zum Ziele zu legen, oder er wenigstens Mittel hätte, sie alle an einem Orte zu häufen, um ein Vorhaben auszuführen, das er über sie beschlossen hatte. Dieses bestand darin: Er befahl, daß man alle Kinder unter vierzehn Jahren aus den Händen der Eltern und aus ihrer Aufsicht nehmen, von ihrem Umgang entfernen und an Orte bringen sollte, wo sie in unserer Religion unterrichtet würden.

Er sagt, dieser Befehl habe ein entsetzliches Schauspiel verursacht. Die natürliche Verbindung zwischen Eltern und Kindern, und noch mehr, der Eifer, womit sie ihrer alten Religion anhingen, empörte sich gegen diese gewalttätige Verordnung. Es war dabei nichts Seltenes, Väter und Mütter zu sehen, die sich selbst entleibten; und als noch traurigere Beispiele sah man, daß einige aus Liebe und Mitleiden ihre jungen Kinder in tiefe Brunnen warfen und so das Gesetz umgingen. Übrigens begaben sie sich, da der Termin abgelaufen war und sie keine Mittel zur Abfahrt hatten finden können, wieder in die Sklaverei. Einige davon wurden Christen, zu denen oder ihrer Nachkommenschaft christlichem Glauben die Portugiesen jetzt noch, hundert Jahre nachher, nur sehr wenig Vertrauen haben; obgleich Gewohnheit und Länge der Zeit weit stärker zu dergleichen Veränderungen wirken als jeder andre Zwang.

In der Stadt Castelnaudari ließen sich auf einmal fünfzig ketzerische Albigenser mit entschlossenem Mute lieber lebendig auf einem Scheiterhaufen verbrennen, als daß sie ihrer Meinung entsagen wollten. Quoties non modo ductores nostri, sagt Cicero, sed universi etiam exercitus, ad non dubiam mortem concurrerunt!
²

Ich habe einen meiner innigsten Freunde dem Tode mit Eifer nachjagen sehen, und zwar mit wahrer Vorliebe, die durch allerlei Arten von Überzeugung dergestalt in seinem Herzen eingewurzelt war, daß ich ihm solche nicht auszureden vermochte, und die erste Gelegenheit, die sich ihm in einigem Glänze von Ehre darbot, erhaschte er, ohne allen scheinbaren Anlaß, und machte seinem Leben auf eine sehr schmerzhafte Art ein Ende. Wir haben zu unsrer Zeit viele Beispiele, sogar von Kindern, welche aus Furcht vor geringen Übeln sich das Leben genommen haben. Über diesen Gegenstand sagt einer unter den Alten: Was müßten wir nicht alles fürchten, wenn wir sogar dasjenige fürchteten, was selbst die Feigheit als eine Zuflucht gewählt hat! Wenn ich hier ein Register von solchen Menschen aufführen wollte, die unter allen Geschlechtern und Ständen, von allen Sekten, in glücklicheren Jahrhunderten den Tod entweder gelassen erwartet oder freiwillig gesucht haben; gesucht, nicht bloß um den Übeln dieses Lebens zu entgehen, sondern einige sogar bloß um der Sattheit vom Leben ein Ende zu machen und andre wegen der Hoffnung, sich in einer andern Lage besser zu befinden: so würde ich kein Ende zu finden wissen. Denn die Anzahl derselben ist so groß, daß ich wirklich weniger Mühe hätte, diejenigen aufzuzählen, die ihn gefürchtet haben. Nur dies noch: Pyrrho, der Philosoph, befand sich eines Tages auf einem Schiff in heftigem Sturm, und zeigte denjenigen, die er um sich her am ängstlichsten sah, um sie aufzurichten, ein Beispiel an einem Schweine, welches mit auf dem Schiffe war und sich aus dem Ungewitter gar nichts machte.

Wollten wir uns wohl getrauen zu sagen, daß der Vorzug der Vernunft, worauf wir uns so viel zugute tun und vermöge dessen wir uns für Herren und Beherrscher der übrigen Schöpfung halten, uns zu unsrer Qual gegeben sei? Was soll uns die Kenntnis der Dinge, wenn wir dadurch nur feiger werden? Wenn wir dadurch die Ruhe und Gelassenheit verlieren, worin wir uns ohne sie befinden würden? Und wenn solche uns in eine kläglichere Fassung setzt als Pyrrhos' Schwein? Wollen wir die Verstandeskräfte, die uns zu unserer größten Wohlfahrt gegeben sind, zu unserm Verderben anwenden, indem wir uns gegen die Natur und die allgemeine Ordnung der Dinge auflehnen, welche will, daß jedermann seine Kräfte und Werkzeuge zu seinem Vorteile benutze? Gut, sagt man; mag eure Regel auf den Tod anwendbar sein! Was könnt ihr aber von der Armut sagen? Und was vom körperlichen Schmerz, welche Aristipp, Hieronymus  und die meisten alten Weisen für das ärgste Übel gehalten haben? Und wie es diejenigen mit der Tat bekannten, die es mit Worten leugneten? – Posidonius lag sehr schwer an einer hitzigen und schmerzhaften Krankheit danieder; Pompejus besuchte ihn und entschuldigte sich, daß er zu einer so ungelegenen Stunde käme, ihn philosophieren zu hören. »Verhüten es die Götter«, antwortete ihm Posidonius, »daß der Schmerz so sehr mein Herr werde, mich zu verhindern, Betrachtungen über ihn anzustellen!« und begann alsobald von Verachtung der Schmerzen zu sprechen. Indessen kehrten sich die Schmerzen nicht daran und setzten ihm unaufhörlich zu; worüber er ausrief: »Macht, Schmerzen, was ihr wollt; ihr sollt mich doch nicht dahin bringen, zu sagen, daß ihr Übel seid!« Dies Geschichtchen, das mit solchem Triumphe erzählt wird, was beweist es für die Verachtung der Schmerzen? Es bestreitet bloß Worte. Und dennoch, warum unterbricht er sich in seiner Rede, wenn sie ihm nicht sehr wehe taten? Warum meint er ein so großes Ding zu tun, wenn er solche nicht Übel nennen will? Hier besteht doch nicht alles in der Einbildung. Wenn wir über die andern Dinge nur wähnen, so ist hier Gewißheit, die für sich spricht; unsre Sinne selbst sind Richter:

Qui nisi sunt veri, ratio quoque falsa sit omnis. ³



Können wir unsrer Haut weismachen, daß sie beim Spießrutenlaufen gekitzelt werde? Unserm Gaumen, Aloetrank sei Burgunderwein? Pyrrhos' Schwein ist hier auf unsrer Seite. Es ist freilich ohne Furcht vorm Tode, aber wenn man es schlägt, schreit es und tobt. Wollen wir dem allgemeinen Gesetze der Natur Gewalt tun, nach welchem alles, was da lebt auf Erden, unter dem Leiden von Schmerzen zittert? Selbst die Bäume scheinen unter den Beschädigungen zu ächzen. Den Tod fühlt man nur durch Nachdenken, weil er eigentlich nur die vorübergehende Bewegung eines Augenblicks ist.

Aut fuit, aut veniet; nihil est praesentis in illa.
Morsque minus poenas quam mora mortis habet.



Tausend Tiere, tausend Menschen sterben, bevor sie vom Tode bedroht worden. Auch ist das, was wir beim Tode hauptsächlich zu fürchten haben, der Schmerz, sein gewöhnlicher Vorbote. Indessen, wenn ein heiliger Kirchenvater Glauben verdient, so heißt es:

Malam mortem non facit, nisi quod sequitur mortem.



Und ich möchte noch mit größerer Wahrscheinlichkeit sagen: Weder das, was vorm Tode hergeht, noch das, was auf ihn folgt, sind Zubehörden des Todes. Wir entschuldigen uns mit Unrecht. Und die Erfahrung hat mich überzeugt, daß es vielmehr das Peinliche in der Vorstellung vom Tode ist, was uns die Schmerzen peinlich macht; und daß sie uns deswegen doppelt martern, weil sie uns mit dem Tode dräuen. Da uns nun aber die Vernunft wegen unsrer Feigheit anklagt, daß wir eine so plötzlich kommende und vorübergehende, so unvermeidliche, so wenig schmerzhafte Sache fürchten, so greifen wir zu dem mehr scheinbaren Vorwande. Alle andren Schmerzen, welche keine andre Gefahr bei sich führen als die Schmerzen selbst, von denen sagen wir: sie sind nicht gefährlich. Zum Beispiel Zahnschmerzen oder Gichtschmerzen, so sehr sie auch martern; solange sie nicht wegen zu besorgendem Tode unter die Krankheiten gezählt werden.

Nun, wohlan! Wir wollen annehmen, daß wir am Tode hauptsächlich die Schmerzen in Betracht ziehen! So wie auch, daß die Armut nichts weiter Fürchterliches habe, als daß sie vermittelst des Hungers, des Durstes, der Kälte, der Hitze, des Nachtwachens, die sie uns bringt, in seinen Rachen werfe. Also wollen wir es hier bloß mit den Schmerzen zu tun haben! Ich räume ihnen ein, und zwar sehr gern, daß sie das Schlimmste sind, was uns befallen kann; denn ich bin der Mann, der ihnen so feind ist als jemand auf der Welt und sie um so mehr aufs möglichste vermeide, weil ich bisher, gottlob, keine große Gemeinschaft mit ihnen gehabt habe; aber dennoch sag' ich: Es steht bei uns, wo nicht sie zu vertilgen, wenigstens durch Geduld sie zu vermindern; und wenn auch der Körper darunter niederläge, doch die Seele und die Vernunft in ruhiger Fassung zu erhalten. Wenn dem nicht so wäre, was für Wert hätte dann Tugend, Tapferkeit, Stärke, Größe der Seele und männliche Entschlossenheit? Wo wäre der Schauplatz, sich zu zeigen, wenn sie keine Schmerzen mehr zu bekämpfen hätten? Avida est periculi virtus
, sagt Seneca. Wenn wir nicht mehr auf harter Erde zu schlafen, in voller Waffenrüstung die Mittagshitze zu ertragen, zu Pferde- und Eselsfleische unsre Zuflucht in Hungersnot zu nehmen haben, wenn wir nicht mehr in der Not wären, uns in Stücke zerhauen, Kugeln aus den Knochen und Splitter aus den Wunden ziehen, und diese selbst mit der Sonde durchwühlen und beizen und zusammennähen zu lassen, woher wollen wir dann den Vorzug erwerben, den wir über den gemeinen Haufen haben wollen? Es ist bei weitem nicht die Flucht vorm Übel und den Schmerzen, sagen die Weisen, oder ähnliche gute Taten, sondern die sind die wünschenswürdigsten, wobei die größte Gefahr und Mühe ist. Non enim hilaritate nec lascivia nec risu aut ioco comite levitatis, sed saepe etiam tristes firmitate et constantia sunt beati. Und aus diesem Grunde war es unsern Vätern unmöglich, sich überreden zu lassen, daß die Eroberungen durch Macht und Gewalt bei den Gefahren des Krieges nicht ehrenvoller wären als solche, die man bei aller Sicherheit durch listige Anschläge gewönne.

Laetius est, quoties magno sibi constat honestum.



Auch das muß uns um so mehr trösten, daß nach dem Gange der Natur ein Schmerz, der heftig ist, nicht lange anhält, und wenn er lange dauert, leicht ist.

Si gravis, brevis; si longus, levis.



Du wirst sie nicht lange fühlen, wenn du sie zu heftig fühlst, sie werden ihnen selbst oder dir ein Ende machen. Und beides läuft auf eins hinaus. Entweder du besiegst die Schmerzen, oder sie besiegen dich. Memineris maximos morte finiri; parvos multa habere intervalla requietis; mediocrium nos esse dominos: ut si tolerabiles sint, feramus; sin minus e vita, quum ea non placeat, tanquam e theatro exeamus.
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Das, was uns die Schmerzen so unerträglich macht, ist, wir sind nicht gewöhnt, unsre vornehmste Zufriedenheit in der Seele zu suchen; uns nicht genug auf diese zu stützen, welche die einzige und höchste Gewalt über unsern Zustand hat. Der Körper hat, das Weniger oder Mehr vorausgesetzt, nur einen Gang und nur eine Falte. Die Seele weiß sich in alle Lagen zu fügen und hat das Vermögen, allen Empfindungen des Körpers und jeden andern Zufälligkeiten Beziehung auf sich und ihre jedesmalige Fassung zu geben, welche die auch sein möge. Indessen muß man sie studieren und untersuchen und ihre so mächtigen Triebfedern in Wirksamkeit setzen. Gegen ihre Neigung und Wahl richten weder Gründe noch Machtsprüche, noch Zwang etwas aus. Bei so viel tausend Hilfsmitteln, die ihr zu Gebote stehen, laßt uns ihr eins geben, das für unsre Ruhe und Erhaltung tauglich ist: und wir werden vermöge desselben nicht bloß vor allen Beleidigungen gedeckt sein, sondern sogar, wenn es ihr so gut deucht, durch die Übel und Beleidigungen, die uns treffen, begünstigt und geschmeichelt werden. Sie macht sich alles ohne Unterschied zum Vorteile. Irrtümer und Träume leisten ihr nützliche Dienste, wie andre rechtfertige Materien uns zu beruhigen und zu befriedigen. Es ist leicht zu ersehen, daß das, was uns Leiden und Freuden so innig und tief fühlen läßt, nichts anders sei als der Stachel unseres Verstandes.

Die Tiere, deren Verstand im Beschlage liegt, lassen dem Körper seine Empfindungen frei und ungezwungen, und diese sind folglich, ungefähr, für jede Gattung gleichförmig: so, wie sie es durch ähnliche Anwendung ihrer Bewegungen an den Tag legen. Wenn wir unsern Gliedmaßen die Befugnisse nicht verweigerten, die ihnen hierin gebühren, so würden wir, wie zu glauben ist, besser daran sein, da die Natur ihnen eine richtige und gleichschwebende Temperatur gegen Wollust und Schmerz gegeben hat, welche nicht fehlen kann, richtig zu sein, da sie durchgängig und allenthalben gleich abgewogen ist. Nachdem wir uns aber von ihren Regeln losgemacht haben, um uns der ungezähmtesten Freiheit unsrer Phantasie zu überlassen, so laß uns wenigstens das Unsrige tun, diese Phantasie auf die angenehmste Seite zu lenken. Plato fürchtet unsre zu große Empfindlichkeit gegen Schmerz und Wollust deswegen, weil solche die Seele zu fest an den Körper bindet und knüpfet. Ich im Gegenteile, weil diese Empfindlichkeit die Seele zu sehr vom Körper entbindet und ihr gemeinschaftliches Band zu locker macht. Gerade so, wie der Feind durch unsre Flucht nur noch hitziger wird, uns zu verfolgen, so wird der Schmerz noch eingebildeter, wenn er merkt, daß wir vor ihm zittern. Er wird es dem weit wohlfeiler geben, der ihm die Spitze bietet. Man muß sich ihm widersetzen und festen Fuß halten. Wanken wir aber und weichen zurück, so rufen wir ihn herbei und ziehn uns das Verderben, das uns dreute, über den Hals. So wie ein Haufen Krieger dem Angriffe um so fester widersteht, als er seine Glieder geschlossener hält, so ist es auch mit der Seele. Aber ich muß Beispiele anführen (sie sind die beste Nahrung für Leute von schlaffen Waden, wie ich bin), aus welchen erhellen wird, daß es mit dem Schmerz gehe wie mit den Edelsteinen, welche eine höhere oder blassere Farbe annehmen nach der untergelegten Folie; und daß er bei uns nicht mehr Raum einnehme, als wir ihm zugestehen. Tantum doluerunt, quantum doloribus se inseruerunt.
¹¹ Wir fühlen mehr von einem Schnitte eines Schermessers durch den Wundarzt als von zehn Säbelhieben in der Hitze eines Treffens.

Die Schmerzen des Kindergebärens, welche von den Ärzten und von Gott selbst für groß geachtet und welche bei uns mit so vielen Umständen gefeiert werden, kommen bei verschiedenen ganzen Nationen in gar keine Betrachtung. Ich spreche nicht von den lakedämonischen Weibern: nur von den Weibern unsrer Schweizer Regimenter. Was für eine Veränderung wird man an ihnen gewahr? Keine andre, als daß sie sich heute, auf dem Marsche hinter ihren Männern her, ein Kind am Halse, schleppen, das sie gestern noch unter ihrem Herzen trugen. Und jene unter uns zusammengelaufenen und braungeschminkten Zigeunerinnen gehen selbst mit ihren neugebornen Kindern hin zum nächsten Bache, um sie zu baden und sich selbst darin zu reinigen. Der vielen Weibsbilder zu geschweigen, welche ihre Kinder ebenso heimlich gebären als zeugen, erwähne ich hier nur der schönen und edlen Gemahlin des Sabinus, eines römischen Patriziers, welche aus Gefälligkeit gegen fremde Rücksichten, allein, ohne Beistand, ohne Ächzen und Schreien die Geburtsschmerzen von Zwillingen aushielt. Ein noch junger Bube in Sparta, der einen Fuchs gestohlen (die Spartaner fürchteten mehr die Schande der Dummheit bei einem Diebstahle, als wir die Strafe unsrer Bosheit fürchten) und unter seinem Mantel versteckt hatte, wollte lieber erdulden, daß er ihm den Bauch zerbisse, als daß er den Diebstahl eingestanden hätte. Und ein andrer, der bei einem Opfer räucherte, ließ sich von einer glühenden Kohle, die ihm in den Ärmel gefallen war, bis auf den Knochen brennen, um nicht die heiligen Gebräuche zu stören. Und man weiß von einer großen Anzahl, die zum bloßen Versuch der Tugend, nach den ihnen beigebrachten Begriffen, in einem Alter von sieben Jahren sich haben bis auf den Tod geißeln lassen, ohne nur eine Miene zu verziehen. Und Cicero hat ihrer gesehen, die sich in Haufen geteilt, mit Fäusten, Füßen und Zähnen bis zum Ohnmächtigwerden gebalgt und gerauft haben und nicht haben gestehen wollen, daß sie überwunden wären. Nunquam naturam mos vinceret, est enim ea semper invicta: sed nos umbris, deliciis, otio, languore, desidia, animum infecimus; opinionibus maloque more delinitum mollivimus.
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Jedermann weiß die Geschichte des Scävola, der sich ins feindliche Lager geschlichen hatte, um den ersten Befehlshaber desselben zu töten, und da ihm sein Anschlag mißlungen, seine Absicht durch eine höchst sonderbare Erfindung erreichen und sein Vaterland vom Verdacht retten wollte. Er bekannte nämlich vor Porsenna, dem König, den er hatte morden wollen, nicht nur seinen Anschlag, sondern fügte noch hinzu, in seinem Lager wären noch eine unendliche Anzahl Römer, die sich mit ihm zu diesem Anschlag verschworen hätten, und um zu zeigen, was für ein Schlag Männer sie wären, ließ er ein Gefäß mit glühenden Kohlen bringen, hielt seinen Arm hinein und ließ solchen so lange rösten und braten, bis der Feind selbst drob ein Entsetzen fühlte und die Kohlen wegnehmen ließ. Mehr noch! Jener fuhr fort, in seinem Buche zu lesen, als man ihm im Fleische schnitt; und er, der nicht aufhörte, hartnäckigerweise über die Martern zu lachen und zu spotten, die man ihm antat, dergestalt, daß die erboste Grausamkeit der Henker und alle ihre Erfindungen, womit sie Foltern auf Foltern häuften, an ihm zuschanden wurden und ihm gewonnen geben mußten. Ja, aber das war ein Philosoph! Ei was! Ein Gladiator Cäsars hielt unter fortwährendem Lachen aus, daß man seine Wunden mit Sonden durchwühlte und genau untersuchte. Quis mediocris gladiator ingemuit? Quis vultum mutavit unquam? Quis non modo stetit, verum etiam decubuit turpiter? Quis, quum decubuisset, ferrum recipere jussus, collum detraxit?
¹³ Laß uns die Weiber gleichfalls aufführen.

Wer hat in Paris nicht von der Dame gehört, welche sich die Haut abziehen ließ, bloß um eine neue Haut und eine frischere Gesichtsfarbe zu bekommen. Es hat ihrer gegeben und gibt ihrer noch, die sich ihre gesunden Zähne ausreißen lassen, um eine vollere und angenehmere Aussprache zu gewinnen oder um eine besser stehende Reihe Zähne zu bekommen. Wie viele Beispiele von Verachtung der Schmerzen haben wir nicht in dieser Gattung? Was vermögen sie nicht! Was fürchten sie, wenn es nur einigermaßen darauf ankommt, ihre Schönheit zu vermehren!

Vellere queis cura est albos a stirpe capillos,
Et faciem dempta pelle referre novam.
¹⁴



Ich habe welche gesehen, die Sand und Asche verschluckten und sehr sorgfältig darauf arbeiteten, sich den Magen zu verderben, um eine blasse Gesichtsfarbe zu haben. Um einen recht schmalen Körper zu haben, welche Pein ertragen sie nicht in ihren Schnürleibern und Gurten von Fischbein mit großen Kutschen auf den Hüften, die ins Fleisch schneiden und ihnen zuweilen gar den Tod zuziehen.

Es ist heutzutage bei vielen Nationen noch Sitte, sich mit Bedacht zu verwunden, um ihrem Worte Glauben zu verschaffen; und unser König erzählt davon merkwürdige Beispiele, die er in Polen gesehen hat und mit ihm selbst geschehen sind. Außer denen aber, die meines Wissens von einigen in Frankreich nachgeahmt sind: Als ich von dem berühmten Landtage zu Blois heimkehrte, hatte ich kurz vorher in der Pikardie ein Mädchen gesehen, welche, um die Aufrichtigkeit ihres Versprechens wie auch ihre Treue zu bestätigen, sich mit einer Haarnadel, die sie in der Flechte trug, vier bis fünf Stiche in den Arm gab, daß ihr die Haut barst und sich damit einen tüchtigen Aderlaß ersparte.

Die Türken geben sich für ihre Damen große Schmarren übers Gesicht, und damit die Narben nicht ausgehen sollen, fahren sie alsobald mit Feuer über die Wunden her und halten es darüber eine unglaublich lange Zeit, um das Blut zu stillen und die Narbe zu bilden. Leute, die es mit ihren Augen gesehen, haben es geschrieben und haben mir's zugeschworen. Aber für zehn Asper kann man alle Tage jemand haben, der sich dafür einen tüchtigen Schnitt in die Arme oder Lenden tut. Es ist mir lieb, daß wir die Zeugen gleich bei der Hand haben, wo wir ihrer am nötigsten bedürfen. Denn die Christenheit läßt uns daran gar keinen Mangel leiden, und hat es, nach dem Beispiel unseres heiligen Vorgängers, Leute bei Haufen gegeben, die aus Frömmigkeit haben das Kreuz tragen wollen. Wir wissen von glaubwürdigen Zeugen, daß unser König Ludwig der Heilige so lange ein Hemd von Haaren auf seinem bloßen Leibe trug, bis ihn im Alter der Beichtvater davon dispensierte, und daß er sich alle Freitage von seinem Priester mit fünf kleinen eisernen Ketten die Schultern geißeln ließ, welche man des Endes in seinem Bettsacke beständig mitführte.

Wilhelm, unser letzter Herzog von Guyenne, Vater der Alienor, der dies Herzogtum an die Häuser England und Frankreich übertrug, trug die letzten zehn oder zwölf Jahre seines Lebens beständig einen Küraß unter einem Mönchskleid, zur Bußübung. Foulques, Graf von Anjou, tat die weite Reise bis Jerusalem, um sich dort von zweien seiner Bedienten am Grabe unseres Heilandes geißeln zu lassen, wobei er einen Strick um den Hals hatte. Aber sieht man nicht noch alle Karfreitage an verschiedenen Orten eine große Anzahl Weiber und Männer sich so wacker geißeln, daß zuweilen danach das Fleisch von den Knochen hängt? Dies hab' ich oft mit angesehen, und es war kein Augenverblenden. Man hat mir wohl gesagt, daß welche darunter gewesen (denn sie gehen verlarvt), welche es für Geld unternahmen, andre bei reiner Religion zu erhalten, durch Schmerzen oder Martern, die um so größer sein müssen, weil der Sporn der Religion mächtiger ist als der Stachel des Geizes.

Q. Maximus begrub seinen Sohn, als er schon Konsul war, M. Cato den seinigen, da er zum Prätor bestimmt worden, und L. Paulus seine beiden Söhne, kurz hintereinander, mit gesetztem Gesicht und ohne ein Zeichen von Trauer sehen zu lassen. Ich sagte in meinen Jugendtagen von jemand im Spaß, er habe der Gerechtigkeit des Himmels Brillen verkauft. Denn, da er an einem Tage drei erwachsene Söhne durch gewaltsamen Tod verlor, welches man doch wohl für eine derbe Zuchtrute halten sollte, fehlte sehr wenig, daß er es nicht mit Freuden für eine große Gnade genommen hätte. Ich bin nun freilich nicht von so un- oder übermenschlicher Gemütsart; gleichwohl habe ich ein paar Kinder, die noch in den Händen der Amme waren, verloren, in der Tat nicht ohne Betrübnis, aber doch ohne Murren. Auch gibt es wohl nicht viele Zufälle, die dem Menschen stärker an die Seele greifen. Ich sehe andre gewöhnliche Ursachen der Betrübnis genug, die ich kaum fühlen würde, wenn sie mir überkämen; und habe wirklich welche verachtet, die mir zugestoßen sind, denen die Menschen eine so schreckliche Gestalt geben, daß ich mich dessen gegen den gemeinen Mann zu gestehen, ohne rot zu werden, nicht wagen möchte. Ex quo intellegitur, non in natura, sed in opinione esse aegritudinem.
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Wer in der Welt wird wohl jemals mit solcher Begierde nach Sicherheit und Ruhe trachten, als Alexander und Cäsar der Unruhe und den Gefahren nachjagten? Teres, der Vater des Sitalces, pflegte zu sagen, wenn er keinen Krieg führe, so käm' es ihm vor, als ob zwischen ihm und seinem Stallknecht kein Unterschied sei. Cato, der Konsul, hatte, um sich einiger Städte in Spanien zu versichern, den Einwohnern bloß untersagt, Waffen zu führen, und darüber tötete sich eine große Anzahl. Ferox gens, nullam vitam rati sine armis esse.
¹⁶ Von wie vielen wissen wir nicht, daß sie den Annehmlichkeiten eines ruhigen Lebens in ihren Häusern, unter Freunden und Bekannten, entsagt und sich in schaudervolle, menschenleere Wüsteneien begaben, wo sie sich für die Menschen unnütz, verächtlich und verwerflich gemacht haben und dennoch darin bis zur Affektation glücklich befunden haben?

Der Kardinal Borromäus, welcher neulich zu Mailand verstorben ist, führte, umringt von dem Wohlleben, wozu ihn seine hohe Geburt, seine Reichtümer und die italienische Sitte bei seiner Jugend einluden, eine so strenge Lebensart, daß derselbige Habit, den er im Sommer trug, ihm auch im Winter diente. Sein Bett war von bloßem Stroh gemacht, und die Stunden, die ihm von seinen Amtsverrichtungen übrigblieben, widmete er beständig dem Studieren. Er lag bei seinem Buch auf den Knien und hatte zu seiner Seite ein wenig Brot und Wasser stehen: dies war der ganze Vorrat zu seinen Mahlzeiten, und die einzige Zeit, die er darauf verwendete.

Ich kenne Leute, die ganz wissentlich Vorteil von ihrer Hahnreischaft gezogen haben, deren bloßer Name so vielen Menschen Angst und Schrecken macht! Wenn der Sinn des Gesichts auch nicht der notwendigste unter den übrigen wäre, so ist er doch einer der angenehmsten. Die angenehmsten und nützlichsten unter unseren Gliedmaßen scheinen aber diejenigen zu sein, die zu unsrer Fortpflanzung dienen. Gleichwohl hat es Menschen genug gegeben, die dawider einen tödlichen Haß hegten, und zwar bloß deswegen, weil sie zu liebenswürdig wären, und haben sie verworfen, wegen ihrer Kostbarkeit. Ebenso dachte der von den Augen, der sich sie ausriß. Der größte und gesundeste Teil der Menschen hält viele Kinder haben für ein großes Glück. Ich und einige andre halten es für ein ebenso großes Glück, keine zu haben. Und als man den Thales fragte, warum er sich nicht verheirate, antwortete er, es wäre seine Sache nicht, Nachkommenschaft zu hinterlassen.

Daß unsere Meinung den Wert der Dinge bestimme, erhellt schon daraus, daß es eine große Anzahl gibt, die wir nicht einmal darauf ansehen, ob sie einen Wert für uns haben möchten, und weder auf ihre Eigenschaften noch auf ihren Nutzen achten, sondern nur auf den hohen Preis, wofür sie zu haben sind: gerade, als ob das einen Teil ihres Wesens ausmache, und schätzen ihren Wert nicht nach dem, was sie in sich haben, sondern nach dem, wofür wir sie haben. Weshalb ich dann des Dafürhaltens bin, daß wir gar sparsame Haushälter mit unseren Auslagen sind; je wichtiger sie sind, je dienlicher, gerade weil sie wichtig sind. Unsere Meinung läßt solche niemals auf Rechnung der Unkosten bringen. Nach dem Kaufspreise hat der Diamant seinen Wert; nach dem Kampfe die Tugend, nach der Buße die Andacht und nach der Bitterkeit die Arznei.

Jener, um zur Armut zu gelangen, warf seine Taler in eben dasselbe Meer, welches andre in allen Tiefen durchsuchen, um Reichtümer zu fischen. Epikur sagt: Reich sein erleichtert keine Geschäfte, es ändert sie nur. So viel ist wahr: Mangel macht keinen Geizigen, sondern der Überfluß. Über diese Sache will ich meine eigene Erfahrung mitteilen. Ich habe in dreierlei verschiedenen Umständen gelebt, nachdem ich aufgehört hatte, ein Kind zu sein. Die erste Zeit, die ungefähr zwanzig Jahre gedauert haben mag, brachte ich hin, ohne etwas anders zu haben, als was vom Zufall und von dem guten Willen andrer abhing, und ohne im geringsten etwas Sicheres und Ausgemachtes, worauf ich rechnen können. Dem ungeachtet gingen meine Ausgaben ihren lustigen Gang fort und machten mir um so weniger Sorgen, weil sie ganz auf der Verwegenheit des Glücks beruhten. Ich war niemals besser daran. Nie fand ich den Beutel meiner Freunde vor mir verschlossen. Ich wußte von keiner andern Not, als die ich mir selbst machte; die Not, auf den Tag mit der Zahlung einzuhalten, den ich mir gesetzt hatte, welchen sie mir tausendmal weiter hinausgesetzt haben, weil sie die Mühe sahen, die ich mir gab, Termin zu halten; so daß mich meine Ehrlichkeit sparsam, aber nicht knickerig machte.

Ich fühle von Natur eine große Wollust im Bezahlen, gleichsam als ob ich eine drückende Last von meinen Schultern und das Zeichen dieser Dienstbarkeit abwürfe; ebenso wie mir wohl ums Herz wird, wenn ich eine gerechte Handlung ausrichte und jemandem einen Gefallen tue. Die Zahlungen nehme ich jedoch aus, wobei es zu feilschen und abzudingen gibt; denn, wenn ich niemand zu finden weiß, dem ich solche auftragen kann, so schiebe ich sie schändlicher- und unbilligerweise so lange auf, als ich nur kann, aus Furcht vor dem. Gezanke, womit meine Laune und mein Ton der Sprache sich gar nicht vertragen. Ich hasse nichts so arg als dies Dingen; es ist ein bloßes Gewerbe der Prellerei und der Unverschämtheit. Nach einer Stunde Ablassens und Zulegens vergißt der eine und der andre sein Wort und seinen Schwur um fünf Dreier mehr oder weniger. Und wenn ich mit Schaden borgte (denn wenn ich nicht das Herz hatte, jemand mündlich anzusprechen, so setzte ich das Gesuch zu Papier, welches nicht eben großen Eindruck zu machen pflegt und das Verweigern sehr erleichtert), nun so legte ich die Führung meines Handels viel unbesorgter und freier in die Hände eines andern, als ich's nachher in meine eigne Klugheit und Vorsichtigkeit getan habe. Die meisten Haushälter halten es für etwas sehr Schlimmes, so aufs ungewisse zu leben, und bedenken erstlich nicht, daß der größte Haufen der Menschen auf keine andere Art lebt. Wie viele ehrliche Männer haben nicht ihr gewisses Einkommen an den Nagel gehängt und tun es noch täglich, um den Wind der Gunst des Königs oder des Glücks zu suchen? Cäsar steckte sich in Schulden von einer Million Goldes mehr, als sein Vermögen betrug, um Cäsar zu werden. Und wie viele Kaufleute beginnen nicht ihr Gewerbe mit dem Verkauf ihres Meierhofes, um das Geld nach Indien zu schicken!

Tot per impotentia freta! ¹⁷



Bei einer so großen Dürre an Frömmigkeit haben wir tausend und aber tausend Klöster, die ganz gemächlich daran sind, ob sie gleich täglich von der Freigebigkeit des Himmels erwarten, daß er sie speisen werde. Zweitens, so erwägen sie nicht, daß das gewisse Einkommen, worauf sie sich verlassen, nicht viel weniger ungewiß ist als die Ungewißheit selbst.

Bei mehr als zweitausend Talern Einkommen sehe ich den Mangel ebenso nahe, als ob er mir schon auf den Versen wäre. Denn überdem, daß das Schicksal Mittel hat, der Armut hundert Öffnungen durch den Reichtum zu machen, indem oft zwischen dem höchsten und niedrigsten Glücksstand kein Finger breit Raum ist:

Fortuna vitrea est: tum, quum splendet, frangitur. ¹⁸



Das Schicksal kann alle unsre Graben und Wälle, wohinter wir uns schützen wollen, gar leicht zerstören; ich finde, daß der Mangel, aus verschiedenen Ursachen, sich ebenso gewöhnlich bei solchen Personen einstellt, welche Vermögen haben, als bei denen, welche keins haben; und daß er allenfalls noch weniger drückend ist, wo er allein hauset, als wo er sich in Gesellschaft des Reichtums antreffen läßt. Reichtum besteht mehr in der Ordnung als in der Einnahme: Faber est suae quisque fortunae.
¹⁹ Und scheint mir ein Reicher, der zurückkommt, in Mangel und Geldverlegenheit gerät, viel elender daran zu sein als einer, der geradezu arm ist. In divitiis inopes, quod genus egestatis gravissimum est. ²⁰ Die größten und reichsten Prinzen werden gewöhnlich von Mangel und Armut in die äußerste Not versetzt. Denn kann eine Not größer sein als die, vermöge welcher man ein Tyrann wird und ein ungerechter Räuber der Güter der Untertanen?

Meine zweite häusliche Epoche war, da ich Geld hatte. Nachdem ich dazu gelangt war, sparte ich sehr bald für meine Umstände einen ansehnlichen Notpfennig zusammen. Denn ich meinte, man habe noch wenig, solange man nicht mehr habe, als die laufenden Ausgaben erfordern, noch daß auf solche Einnahmen zu rechnen stünde, die erst künftig fallen, so ausgemacht sie übrigens auch sein möchten. Denn, sagte ich, wie nun, wenn mir dieser oder jener Zufall überkäme? Und zufolge dieser eiteln und törichten Einbildungen tat ich dann sehr klügliche Vorkehrungen, durch mein unnützes Zurücklegen, gegen alle Zufälle; und konnte auch wohl jemandem, der mir zu Gemüt führen wollte, daß die Möglichkeit der Zufälle ins Unendliche ginge, antworten: wenn's dann auch nicht gegen alle zureichte, so würde es doch gegen einige und manche dienen. Dies Sparen ging nun nicht ohne viele Sorgen ab. Ich machte daraus ein Geheimnis, und so dreist ich oft bin, ein langes und breites von mir selbst zu schwätzen, so sprach ich doch von meinem Geld nicht anders als im Traum; wie diejenigen tun, welche sich arm träumen, wenn sie reich, und reich, wenn sie arm sind und ihr Gewissen von der Aufrichtigkeit freisprechen sich merken zu lassen, was sie eigentlich haben. Schändliche und lächerliche Vorsichtigkeit! Tat ich eine Reise, so meinte ich niemals Geld genug bei mir zu haben; und mit je mehr Geld ich mich beladen hatte, um so mehr hatte ich meine Furcht vermehrt: bald traute ich der Sicherheit der Heerstraßen nicht; bald nicht der Treue der Leute, welche mein Gepäck führten; und niemals war ich über meine Sachen ruhig (und ich kenne andre, denen es nicht besser geht), als wenn ich sie unter meinen eignen Augen hatte! Ließ ich meine Schatulle daheim, was setzte es da nicht für Argwohn und quälendes Mißtrauen, welches ich, was noch das ärgste war, mir nicht einmal merken lassen durfte! Nach dieser Seite hingen stets meine Gedanken. Alles genau berechnet, kostet es immer mehr Müh und Sorge, Geld zu bewahren als zu erwerben. Wenn ich eben nicht alles das tat, was ich hier sage, so kostete mich's doch Mühe, es zu unterlassen. Bequemlichkeiten schaffte ich mir davon wenig oder gar keine. Ich konnte nun meine Ausgaben ganz wohl bestreiten, aber sie gingen mir nicht williger aus der Hand. Denn wie Bion sagte, der Dickhaarige nimmt es ebenso übel, als der eine Glatze hat, wenn man ihm Haare ausrauft. Und hat man sich einmal dazu gewöhnt und seinen Sinn auf einen Geldhaufen gesetzt, so steht er nicht mehr zu unserm Dienst; man getraut sich nicht, ihn anzurühren. Es ist ein Gebäude, welches nach unserer Meinung zusammenstürzen würde, wenn man nur einen Finger daran legte. Die Not müßte einem an der Kehle packen, um ihn anzubrechen, und vorher versetzte ich meine Kleider und andre Sachen und verkaufte mein Reitpferd und ließ mir's weit weniger zu Herzen gehen als damals, wenn ich einen kleinen Griff in diesen Lieblingsbeutel tat, den ich beiseite gelegt hatte. Das Gefährlichste dabei aber war, daß man dieser Sucht schwerlich Grenzen setzen (sie sind immer bei Sachen, die man für gut hält, sehr schwer zu finden!) oder den rechten Punkt im Sparen treffen kann. Man geht stets darauf aus, den Haufen zu vergrößern, man trägt ein Sümmchen nach dem andern hinzu und versagt sich darüber wohl gar, niederträchtigerweise, den Genuß seines eignen Vermögens, oder man setzt diesen Genuß darin, ihn zu bewachen, nicht zu benutzen. Nach dieser Art des Genusses zu urteilen, sind die Menschen, welche amtshalber die Wälle und die Pforten einer begüterten Stadt bewachen, die reichsten von der Welt.

Jedermann, der viel bar Geld besitzt, ist nach meiner Meinung geizig. Plato ordnet die leiblichen oder menschlichen Güter folgender Gestalt: die Gesundheit, die Schönheit, die Leibesstärke, den Reichtum; und der Reichtum, sagt er, ist gar nicht blind, sondern sehr hellsehend, wenn er von der Klugheit erleuchtet wird. Dionysius der Jüngere, hatte einen guten Einfall. Man gab ihm Nachricht, daß ein Bürger seiner Stadt Syrakus einen Schatz in die Erde vergraben habe. Er ließ ihm befehlen, ihm diesen Schatz zu bringen; dies tat der Mann, behielt aber einen Teil davon heimlich für sich, womit er nach einer andern Stadt ging, woselbst er, da ihm die Lust am Sammeln vergangen war, ein gemächlicher Leben führte. Als Dionysius davon hörte, ließ er ihm das übrige seines Schatzes wieder zustellen und sagen: Weil er damit umgehen gelernt hätte, so gäbe er ihm solchen gern wieder.

In diesen Umständen war ich einige Jahre. Ich weiß nicht, welcher gute Geist mich herausriß und mir den ganzen Spartopf, wie Dionysius dem Bürger von Syrakus, zum freien Gebrauch übergab. Das Vergnügen einer gewissen Reise, die mit großen Kosten verbunden war, hatte mich diese einfältige Grille unter die Füße treten lassen, wodurch ich in eine dritte Art von Lebensweise verfallen bin (ich spreche nach meinem Gefühl), die gewiß viel angenehmer und viel ordentlicher ist. Sie besteht darin, daß ich meine Ausgaben mit meiner Einnahme gleich laufen lasse. Zuweilen ist die eine ein wenig voraus, zuweilen die andre; aber so, daß sie sich immer leicht einholen können.

Ich lebe von der Hand in den Mund und bin zufrieden, daß ich so viel habe, als zu meinen gegenwärtigen und täglichen Bedürfnissen erfordert wird. Zu den außerordentlichen – ja, da reichen alle Vorräte in der Welt nicht zu! Und es wäre unklug, zu erwarten, daß uns das Glück hinlängliche Waffen gegen sich selbst in die Hände geben werde. Wollen wir es bekämpfen, so muß es mit unsern eignen Waffen geschehen. Die zufälligen werden uns entstehen, wenn es zum Treffen kommt. Wenn ich spare, so geschieht es bloß in Hinsicht auf einen nahen Einkauf; und nicht auf einen Ankauf von Gütern, deren ich nicht bedarf, sondern um Vergnügen zu kaufen. Non esse cupidum, peeunia est; non esse emacem, vectigal est.
²¹ Ich besorge eben nicht, daß mir's am Nötigen fehle; habe auch keine Begier, es zu vermehren. Divitiarum fructus est in copia, copiam declarat satietas. ²² Und es ist mir sehr lieb, daß mir diese Weisung in einem Alter geworden sei, das so natürlich zum Geize geneigt ist; und daß ich mich von einer Torheit befreit finde, welche dem Alter so gewöhnlich und zugleich die lächerlichste von allen menschlichen Torheiten ist.

Feraules, der beide Glückspunkte durchlaufen war und befunden hatte, daß der Zuwachs an Vermögen nicht immer einen Zuwachs an Appetit zum Essen, Trinken und Umarmen mit sich bringe, und der auf der andern Seite die Last des Haushaltens auf seinen Schultern empfunden hatte (so wie's auch bei mir geht), entschloß sich, einen jungen Menschen, der sein Freund, aber arm war und dem Glück nachjagte, glücklich zu machen, und machte ihm ein Geschenk von seinem ganzen Vermögen, das unermeßlich groß war, mit dem Zusatz alles dessen sogar, was er noch täglich von der Freigebigkeit seines gütigen Herrn und durch den Krieg erhalten möchte; unter der Bedingung, daß er ihn dagegen als einen Freund und Gast ehrlich halten sollte. Sie lebten hernach auf diesem Fuß sehr glücklich, und beide gleich zufrieden über die Vertauschung ihrer Glücksumstände.

Das war einmal ein Handel, den ich herzlich gern nachmachen möchte. Und lobe ich mir nicht wenig das Glück eines alten Prälaten, von dem ich weiß, daß er sich ganz rein seines Säckels und seiner Ausgabe und Einnahme begeben, und zuweilen einem ausgewählten Bedienten, zuweilen einem andern übertragen hat; wobei er eine ziemliche Anzahl Jahre hingebracht, ebenso unwissend in dieser Art von Haushaltungsgeschäften als ein Fremder.

Das Vertrauen in die Redlichkeit andrer ist kein geringer Beweis von eigner Redlichkeit; und Gott pflegt es gewöhnlich zu begünstigen; deswegen wüßte ich kein Haus, das ordentlicher und in allem Betracht würdiger und mit mehr Anstand geführt würde als das Haus dieses Prälaten. Glücklich derjenige, der nach einem so richtigem Maßstab seine Bedürfnisse geordnet hat, daß seine Reichtümer für seinen Gebrauch und seine Notdurft zureichen und daß ihre Anwendung ihn nicht in seinen übrigen Geschäften störe, denen er ruhig, mit Anstand und Beifall seines Herzens vorsteht. Wohlstand oder Mangel hängen also ab von der Meinung eines jeden. Und ebenso bringen Reichtum, Gesundheit und Ruhm nur gerade so viel Vergnügen und Behagen, als derjenige hineinlegt, der sie besitzt. Jedem ist wohl oder weh, je nachdem er sich darin zu finden weiß. Nicht derjenige ist zufrieden, von dem man es glaubt, sondern derjenige, der es selbst glaubt. Hierin allein gibt sich der Glaube Wesen und Wahrheit.

Das Glück tut uns weder wohl noch übel: es gibt uns dazu bloß den Stoff und den Samen, die unsre Seele, die mächtiger ist als das Glück, nach ihrem Gefallen bearbeitet und anwendet; denn nur sie allein ist Urheberin und Schöpferin ihres glücklichen oder unglücklichen Befindens. Die äußern Zufälligkeiten nehmen Geschmack und Farbe an von der innern Beschaffenheit. So wie die Kleider uns nicht mit ihrer eigenen Wärme erwärmen, sondern mit der unsrigen, welche sie zusammenzuhalten und zu vermehren geschickt sind. (Wer damit einen kalten Körper bedeckte, der würde damit der Kälte eben den Dienst der Vermehrung und Erhaltung tun, denn auf diese Weise erhält man den Schnee und das Eis.) Gewiß, es geht mit allem so zu, wie damit, daß einem Faulen das Studieren eine Plage, dem Trunkenbold die Enthaltung von starken Getränken peinlich, dem Leckermaul eine mäßige Mahlzeit eine Strafe und dem Weichling Leibesübungen eine Marter ist: So ist es mit allem übrigen. Die Dinge sind an und für sich selbst nicht so schwer, so schmerzhaft, sondern unsere Schwäche und Schlaffheit macht sie dazu. Um über große und erhabene Sachen zu urteilen, wird eine große erhabene Seele erfordert, sonst leihen wir ihnen unsere eigne Kleinheit. Ein gerades Ruder scheint im Wasser gebrochen. Es tut's nicht allein, die Sachen zu sehen, sondern darauf kommt's an, wie man sie ansieht!

Nun aber möcht' ich fragen: Warum, nach so vielen Gründen, wodurch man die Menschen auf so mancherlei Weise überredet, den Tod zu verachten und die Schmerzen zu ertragen, wir niemand finden, der beides an unsrer Statt übernehmen will? Und warum unter so manchen Gedanken, um solches andern zu überreden, nicht ein jeder noch einen für sich selbst hinzufüge, der sich für seine Laune schicke? Wenn ein Magen die starke Arznei nicht vertragen kann, die sein Übel an der Wurzel anzugreifen und vom Grunde aus zu heilen vermag, so gebe man ihm doch wenigstens Lenitive, die ihm Linderung schaffen! Opinio est quaedam effeminata ac levis, nec in dolore magis, quam eadem in voluptate: qua quum liquescimus fluimusque moollitia, apis aculeum sine clamore ferre non possumus ... Totum in eo est, ut tibi imperes.
²³ Übrigens hintergeht man die Philosophie dadurch nicht, daß man die Schmerzen über alle Maßen bitter und der Schwäche der Menschheit unerträglich vorzustellen sucht. Denn man nötigt sie dadurch nur zu dieser unwiderlegbaren Antwort: Wenn es unerträglich ist, in Not und Elend zu leben, so ist doch wenigstens in Not und Elend zu leben keine Not vorhanden. Niemand ist lange elend als durch seine eigne Schuld. Wer nicht Herz genug hat, weder das Leben noch den Tod zu ertragen, wer weder fliehen noch widerstehen will, was ist für den zu tun?

¹  
Lucan IV, 580: Ach, daß der Tod auch Feige und nicht allein den Tapfern trifft!
²
Cicero, Tusc. disp. I, 37: Wie oft sind nicht unsre Kriegsfürsten nur, sondern ganze Heere dem ungezweifelten Tode entgegengeeilt.

³ Lukrez IV, 436: Täuschen die Sinne, so ist alle Vernunft dahin.

Zeile 1 Boethius: Entweder war er, oder er kommt; bei ihm ist nichts Gegenwärtiges.
Zeile 2 Ovid, Heroid. Ariadne an Theseus 82: Nicht so sehr der Tod als das Warten auf den Tod ist eine Qual.
Augustin, De civ. Dei I, 11: Sterben ist kein Weh, ist das nur wohl, was drauf erfolgt.

Seneca, De provid. 4: Tapferkeit geizt nach Gefahr.

Cicero, De fin. II, 10: Nicht nur bei Scherz und Spiel, bei Lachen, Zeitvertreib und Wollust, des Leichtsinns Gefährten, herbergt des Lebens Glück. Denn auch der Mann von stillem Ernst findet es oft im festen Mute, womit er seine Übel trägt.
Lucan IX, 404: Um so inniger freut die schöne Tat den Mann, je mehr sie ihn gekostet.
Cicero, De fin. II, 29: Ist er (der Schmerz) schwer, so ist er kurz; hält seine Dauer aber an, so ist er leicht.
¹⁰ Cicero, De fin. I, 15: Vergiß es nicht: Die großen Schmerzen heilt der Tod; ihre Zeiten der Ruhe haben die kleinen. Derer zwischen beiden sind wir Herr; sonach ertragen wir, die zu ertragen sind. Ist ihre Last zu schwer, wird uns des Lebens Rolle lästig: wer wehrt uns, von der Bühne zu treten?
¹¹ Augustin, De civ. Dei I, 40: Das Schmerzensmaß steht umgekehrt mit unserem Widerstand.
¹² Cicero, Tusc. disp. V, 27: Nie hätte Gewohnheit die Natur bezwungen, die unbesiegbar ist. Wir haben unseren Verstand vergiftet durch Wohlleben, durch Üppigkeit, Müßiggang und Faulheit und schwächen und erschlaffen ihn noch immer mehr durch törichte Meinungen und verderbte Sitten.
¹³ Cicero, Tusc. disp. II, 17: Welcher auch nur mittelmäßige Fechter stieß auch nur einen Seufzer aus oder verzerrte die Miene? Wer von ihnen ließ jemals, stehend oder fallend, Zeichen der Furcht blicken? Welcher zog jemals den Hals zurück, wenn dem Schwerte geboten wurd, ihn zu treffen?
¹⁴
Tibul 1, 8, 45: Cephise rauft alle Silberhaare gar emsig mit der Wurzel aus. Auch das Gesicht läßt sie sich schinden und freut sich der jungen Haut.
¹⁵ Cicero, Tusc. disp. III, 28: Woraus erhellt, daß der Gram nicht in der Natur liegt, sondern in der Meinung.
¹⁶ Livius XXXIX, 17: Ein wildes Volk, das glaubt, ohne Krieg sei's nicht der Mühe wert zu leben.

¹⁷ Catull IV, 18: Auf so viel ungestümen, falschen Wellen.

¹⁸ Ex Mim. Publ. Syri: Das Glück gleicht dem Glas an Glanz und Zerbrechlichkeit.
¹⁹ Sallust, De rep. ordin. I, 1: Jedermann ist seines Glückes Schmied.
²⁰ Seneca, Epist. 74: Bei vollem Reichtum darben ist des Elends größtes.
²¹
Cicero, Paradox. VI, 3: Nicht kauflustig sein, ist reich sein; der hat des Geldes genug, der nichts auszuzahlen bedarf.
²² Cicero, Paradox. VI, 2: Des Reichtums Frucht ist Überfluß, und Überfluß liegt im Genug.
²³
Cicero, Tusc. disp. II, 22: Es liegt eine verzärtelte, eitle Einbildung bei unserem Wohl und Wehe zugrunde, die uns so schlaff und weichlich macht, daß wir keinen Bienenstich mit Geduld ertragen können. Das ganze Geheimnis dagegen ist: lerne dich selbst regieren.


(Übersetzt von Johann Joachim Christoph Bode)

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