Michail Kusmin: Der Engel der Verwandlung ist zurück
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Jan Kuhlbrodt
Michail Kusmin: Der Engel der
Verwandlung ist zurück. Übersetzt von Anja Utler und Daniel Jurjew. Berlin
(Friedenauer Presse) 2025. 104 Seiten. 20,00 Euro.
Michail Kusmin in der Friedenauer
Presse
In der verdienstvollen Friedenauer
Presse ist vor einigen Wochen ein vergleichsweise schmaler Band mit zwei
Gedichtzyklen des russischen Lyrikers Michail Kusmin erschienen, eingeleitet
und herausgegeben unter dem Titel „Der Engel der Verwandlung ist zurück“ von
Daniel Jurjew.
„Du hast den Shakespeare noch nicht fertig.Zum Regenbogen öffnen sich die Wörter.Letzte Scham und vollkommene Wonne! …Es schlägt der Fisch, und schlägt, und schlägt, und schlägt.“
So heißt es im ersten Zyklus: „Die
Forelle bricht das Eis“. Die Übersetzungen stammen von Anja
Utler und Daniel Jurjew, und sie sind, soweit ich das beurteilen kann,
großartig gelungen. Kusmin nämlich bewegt die Sprache durch verschiedenste
lyrische Wasser vom Balladesken bis zu antikisierenden Versen, und kaleidoskopisch
ergeben sich daraus Verserzählungen in bestechender Modernität. Offen zu Tage
tritt Ästhetizismus und auch Homoerotik.
„Die Gedichte dieses Bandes,
brachten zum einen schwindelerregende formale Neuerungen, ein narratives
Prinzip, das wahrscheinlich von der Montagetechnik des ex-pressionistischen
Films beeinflusst war“, heißt es im Vor-wort.
Und Daniel Jurjew zitiert Alexander
Blok, der 1920 bei einer Geburtstagsfeier eine Rede auf Kusmin hielt: „In ihrer
Person möchten wir keine Zivilisation bewahren -- eine solche gab es in
Russland auch noch nicht, und es ist fraglich, wann es eine geben wird –,
sondern etwas von der russischen Kultur, die es gab, gibt und geben wird.“

Es ist zurzeit schwierig, über
russische Kunst zu schreiben. Das imperiale Gehabe Putins und seiner
Administration überschattet all das, was sonst noch aus diesem Land zu
vermelden wäre. Aber das hat schon Tradition. Nicht wenige russische
Künstlerinnen und Künstler wurden von den jeweiligen Machthabern ins Exil
getrieben, starben in Lagern oder wurden ermordet.
So ist es fast ein Wunder, dass
Michail Kusmin 1936 eines eher natürlichen Todes starb. Sein Lebenspartner
aber, Juri Jurkun, Schriftsteller und bildender Künstler, wurde kurz nach
Kusmins Tod von den stalinistischen Behörden verhaftet und ermordet.
Die beiden Zimmer in einer
Leningrader Kommunalwohnung wurden ausgeräumt und der Nachlass verschwand.
Verschwinden lassen und Auslöschen ist die Strategie diktatorischer Regime,
denen sich auch das aktuelle Putins zurechnen lässt. Und ich glaube, dass es
auch darum angebracht ist, über das, was die Diktaturen zum Verschwinden
bringen wollen, nachzudenken und zu schreiben. Jedenfalls werde ich dieses Buch
neben die von Peter Urban übersetzten Tagebücher von Daniil Charms stellen, die
unter anderem auch das Verschwinden von Künstlern und Kunst in einer Diktatur
dokumentieren.