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Michael Spyra: Begegnungen mit Elke Erb. Ein Nachruf

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Michael Spyra

Begegnungen mit Elke Erb / Ein Nachruf


Elke Erb ist tot. Das war an mir vorbeigehuscht und ist jetzt da. Elke Erb, die mit Sarah Kirsch und Christa Wolf die bisher letzte Büchner-Preisträgerin mit privatem wie beruflichem Bezug zu Halle ist. Schülerin, dann Landarbeiterin, Studentin und Lektorin beim Mitteldeutschen Verlag, um ihre Stationen an der Saale nur kurz mit Schlaglichtern zu beleuchten, bevor sie 1968 und mit Adolf Endler verheiratet, nach Berlin zog. Neben den eigenen Texten übersetzte Elke Erb auch und schuf Nachdichtungen. Erst 2020 wurde sie mit dem Georg-Büchner- Preis ausgezeichnet.
Ich habe Elke Erb in Aschersleben kennengelernt, zu ihrer Lesung im Rahmen der Lyrikreihe Zeitzeichen, am 07. Juni 2002. Ich war mit Freunden da, die ebenfalls geschrieben haben und noch schreiben. Und keiner von uns wusste, wohin mit ihren Texten:

                                                          ZUGFENSTER

                                                          Frau, radelt von Seitschen
                                                          die Bitumenstraße nach Demitz-Thumitz hinunter.
                                                          Frau, radelt umgekehrt dieselbe hinauf.

Das bisschen, wenn auch prüfungsrelevante, Handwerkszeug aus den Deutschkursen half uns nicht weiter. Allein die Bestimmung der Gattung hatte uns vor eine unlösbare Herausforderung gestellt. Trotzdem hatten mich die Effekte fasziniert, die sie mit ihrer Sprache auf kleinstem Raum zur erzeugen verstand:

                                                          VERTRAUENSWÜRDIGE LEUTE

                                                          Er macht sich zu schaffen. Er muss das nicht.
                                                          Er leidet nicht Hunger, friert nicht. Er hat
                                                          Zeit. Keine mehr. Ist schon alt. Sie

                                                          auch. - Es wird er sein, der hackt.
                                                          Holz. Rumpelt mit Stücken. Leben

                                                          dort, bis die Hauseigentümer zurück sind.
                                                          Tun Gutes derweile.

Nach der Lesung hatten wir uns mit der Autorin unterhalten, angestoßen und getrunken. Elke Erb hatte uns die „Intendenzen“ empfohlen, eine Literaturzeitschrift aus Jena, herausgegeben von Ron Winkler, und im August 2002 hatte ich einen Brief von ihr im Kasten: „Lieber Herr Spyra, es hat etwas gedauert, weil ich erst die Adresse von Ron Winkler, dann Ihre verlegt & außerdem noch verschiedene Unfälle hatte (…) Vielleicht schreiben sie ihm & stellen sich vor & bitten um Hefte, damit Sie selbst sehen, ob Sie hineinpassen. Erwähnen Sie mich, wenn Sie wollen. Mit freundlichen Grüßen.“

Zwölf Jahre später habe ich Elke Erb in Leipzig getroffen, wo sie im Rahmen der Lesereihe „Teil der Bewegung“ auftrat. Mittlerweile war ich weiter in ihrem Werk und auch weiter zurück darin. Ich las und lese ihre Gedichte, wie ihre Gedichte aus mir lesen. Damit sind sie immer auf dem neusten Stand, und wir aktualisieren uns wechselseitig. An diesem Leseband jedenfalls, in einer Pause, vor dem Haus, stand ich etwas abseits der üblichen Gespräche über Literatur und Betrieb. Dort fand mich dann auch Elke Erb und bat mich, ihr eine Zigarette zu drehen. Ich stellte mich noch einmal vor und sie erkundigte sich nach dem weiteren Verlauf bis zu diesem Abend. Dann rauchten wir zusammen. Erst im vergangenen Jahr wurde ich beauftragt, eine Auswahl von Autorinnen und Autoren zu treffen, die in Halle lebten und wirkten. Als Büchner-Preisträgerin, die sie bleiben wird, gehört Elke Erb dazu. Eine Dichterin, deren Werk mich immer etwas verwundert staunen lässt und sich mir, auch nach all den Jahren noch, geschickt entzieht. Texte, die mit mir durchs Leben altern und sich immer neu darstellen, uneigennützig, als eine Art Essenz, die die Pädagogin Elke Erb dem Leben abgewonnen hat und mir als Sprachmitteilungen darbietet. Sie wird auch denen fehlen, die nicht über die Wunder der Sprache in Erstaunen geraten. Ihr Werk wird uns hoffentlich erhalten bleiben.


Halle den 24.01.2024
(Die Gedichte sind dem Band „Parabel“ entnommen, der 2002 als 13. Heft der Lesereihe „Zeitzeichen“ im Verlag UN ART IG in Aschersleben erschienen ist)


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