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Michael Enßlen: Drei Gedichte

Montags=Text

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Foto: privat
Michael Enßlen

Drei Gedichte


engelshaar

engelshaar
haftet an deiner kleidung

deine augen
tauchen ins meer

das glück hat dein hemd
mit der haut berührt

du
stehst da, ein bisschen steif

lächelst
ein harmloses lächeln so
als wäre nichts geschehen



Die Lage ist Ernst: Der Urwald wird gefällt

Der Urwald wird gefällt.
Das Urteil wird gefällt.
Das Zugabteil gefällt.
Die Uhr wird abgestellt.

Der Urwald steht.
Das Urteil steht.
Der Urwald fällt.
Das Urteil fällt nicht – es wird gefällt,
Wenn Ernst gesteht.
Ernst steht im Wald.

So steht der Fall.

Das Urteil ist kein Fall,
Jedenfalls kein ernster,
Sonst wäre es ein Ernstfall.

Doch Ernst steht.

Der Ernstfall fällt auch nicht,
Der Ernstfall tritt ein.
Manchmal.
Du kannst auch nicht austreten, aus dem Ernstfall.
Du kannst ihm nicht beitreten.
Du kannst ihn nicht eintreten.
Er tritt selber ein, der Ernstfall.

Wenn Ernst fällt.

Dann fällt ein Teil der Uhr im Wald.
Dann ist der Ernstfall vorgefallen.
Dann ist der Vorfall eingetreten;
Sein Eintritt kam dann ungebeten,
Denn Ernst hat auf die Uhr getreten.
Der Anfall ist nun aufgefallen,
Weil der Urwald umgefallen
Und dabei Abfall angefallen
Und so der Auftritt durchgefallen

Ist.

Der Fall ist klar:
Die Lage ist Ernst.



wanderdünen

weiß, warm
wirtlich
ist der saubere sand
weich wie wiesenblumen

wund wandern
meine meermüden blicke über die
wogenden wölbungen
wilder wanderdünen

schwalben schwirren
wolken wandeln
westwärts
wirre wünsche


Michael Enßlen, geboren in Norddeutschland, Studium von Physik, Philosophie, freier Kunst und Volkswirtschaftslehre in Marburg und Heidelberg. Theaterkritiken und Beiträge zu naturwissenschaftlichen Themen u. a. für die Rhein-Neckar-Zeitung, die taz und die Pas-sagen. Wissenschaftliche Publikationen zum Thema Ästhetik und Quantenmechanik. Diverse Beschäftigungen, unter anderem Dozent der  Scuola di Heidelberg des Istituto per gli studi filosofici, Neapel.

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