Melanie Katz: Silent Syntax
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Timo Brandt
Eindrucksfluten
schlagen sich am Ich und seinen Felsen
„ich falte die zeitwer aus mir trinkt wird ein rehverwegen flauschgrau die wolkenausternschiffen gleich“
In vielen Gedichten von Melanie Katz scheint dem lyrischen
Ich etwas durch die Finger zu rinnen: ein Gefühl, eine Zeit, ein Ort, eine
Frage, eine Gewissheit, eine Hoffnung, ein anderer Mensch, ein Gedanke.
Beobachtungen entstehen und entgleiten sogleich auf der Oberfläche ihrer
eigenen klaren Spiegelung.
Dabei gibt es durchaus eine Art von Bestand, der festgemacht
wird und unveränderlich scheint; in ihrer knappen Art halten diese Gedichte Tatsachen
fest, umreißen klar die Kanten ihrer Vorstellungswelten. Zwischen diesen beiden
Zuständen, dem Rinnenden und dem Aufgetürmten, Feststellbaren, eröffnet sich
ein gelungener Spannungsraum, der viele Gedichte trägt oder zumindest
bedingt.
„Laufen auf Kohlenund NachtschattengefiederHäuser mit Bullaugenstumme Klaviertasten im MaulDazwischen Rehtritte oderMonster“
Mich trieb oft die Frage um: Sind es Eindrücke oder schon
weitergehende Überlegungen, die in Katz‘ metaphorischen Schlaglichtern ihre
Flügel aufspannen, die Szenerie beleben, aber auch manchmal leicht ins Geisterhafte,
Schaurige hinüberreichen? Inwieweit da Wertung mitschwingt ist oft nicht zu
sagen. Sind die Wortgefäße für die Eindrucksflut da oder für Tränen, für Rotz
und Speichel und Schweiß?
Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass die Gedichte
manchmal durchaus Ansätze von Exaltiertheit und Emphase zeigen, eine bestimmte
Bahn ein- oder einen Ton anschlagen, in anderen Fällen aber von dem Gefälle der
Umstände dirigiert zu werden scheinen und allein diese Umstände mit ihren
Worten einkleiden, nachskizzieren. So gibt es bspw. einerseits ein Gedicht mit
dem ziemlich eindeutigen Titel „Unlauterer Versuch“, in dem es heißt:
„höre die raben, wie sie singen, papierrosaneheilige lieder vom dickicht der städte[…]und von dir, derbeteuert“
Hier treten klare Bezüge hervor, natürlich hauptsächlich
deshalb, weil das Gedicht und seine Motive in einem angesprochenen Du
kulminieren.
Dann gibt es wiederum andere Gedichte, die anscheinend
unsicher sind, was sie da halten und von Wort zu Wort werfen. Die Fragilität
dieser Gedichte hat ein eigenes Potenzial, manches Mal wirken sie auf mich
allerdings zu provisorisch, zu sehr wie ein Empfangsgerät und zu wenig wie ein
Sender.
„leise und sachte verzarteteminutentrage ichin meiner tasche seitherunter dem fahrtwindspüre ich sieschlagen darin“
Ein weiteres Motiv in den Gedichten ist ein immer wieder
aufzuckendes Fernweh. Wobei manchmal der Eindruck entsteht, dieses Fernweh wäre
eher ein Witz, ein Spiel, ein Running-Gag, eine Retourkutsche. Mal wird das
Stichwort „Manhattan“ eingeworfen, verschiedene Strände spielen eine Rolle, und
ein-zweimal wird der Begriff „Europa“ ins Spiel gebracht.
„auf der hauteines löwen liegenmitten in europadie tropfen hörenwie sie aufs fenster schlagenbuschtrommeln auf glas“
Katz‘ Gedichtband ist für mich vor allem ein bemerkenswertes
Sensorium. Die Leser*innen werden auf vielen sinnlichen Ebenen angesprochen,
manchmal sind diese dicht gedrängt vorhanden (man denke nur an die Zeilen
„Häuser mit Bullaugen/stumme Klaviertasten im Maul“ und wie darin der visuelle,
sowie Tast-, Gehör-, und entfernt auch der Geschmackssinn eine Rolle spielen;
vielleicht sogar noch der Geruchssinn, wenn man argumentiert, dass maritime
Motive stets Seeluft und Meergerüche hervorrufen).
Von den vier Teilen des Bandes haben mir persönlich vor
allem Teil III und IV gefallen, wohl weil sie öfter plastische Ausformungen
bieten. Das lyrische Ich ist hier dann und wann von ein paar Felsen umgeben, an
denen sich die aufgerufenen Gezeiten brechen, während in manch anderen
Gedichten das lyrische Ich allein in den Fluten zu stehen scheint. In diesen
fließenden und zerrisseneren Gedichten liegt zwar etwas Unmittelbares, mitunter
auch geheimnisvoll Konfrontatives, aber sie wirken auf mich, wie bereits
gesagt, auch etwas zu flüchtig.
In jedem Fall lohnt es sich, diesen bemerkenswert
wandelbaren Gedichtband zu lesen. Handelnde und ohnmächtige Elemente halten
sich darin gut die Waage und stürmen doch, so scheint es mir, aufeinander ein.
Das Ergebnis sind feine bis heftige Auseinandersetzungen.
„Früher warst du esheute merke ichdass ich es bin“
Melanie Katz: Silent Syntax. Gedichte. Wiesenburg (hochroth) 2018. 40 Seiten. 8,00
Euro.