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meine drei lyrischen ichs 17.04.14

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Trauma-Tisch


Nach einer knappen Einleitung der Veranstalter Tristan Marquardt und Tillmann Severin startete mit halbstündiger Verzögerung die bereits sechste Folge der Lese-Reihe „Meine drei lyrischen Ichs“ mit Birgit Kreipe, die 2013 den Lyrikpreis München und 2014 den Irseer Pegasus erhielt. Birgit Kreipe trägt souverän ihre sprachlich dichten Verse vor. Leider etwas zu schnell gelesen, um der naturbildhaften archaischen Sprache mit der „nach innen gedrehten Linse“ gebührend nachspüren zu können. Im zweiten Teil des durch eine 35minütige Pause auseinandergerissenen Abends liest sie aus ihrem Zyklus „Kinderheimgedichte“, der uns in die menschlichen Abgründe blicken läßt, die Birgit Kreipe in ihrer Arbeitsumgebung, der Psychiatrie, erfährt. Versatzstücke bleiben haften, wie „aber ich bin doch längst ausgewandert und die Kinder auch“ oder, etwas aufbauender, „vor ihrer Stirn steigt ein Stern auf“. Gedichte, die man gerne nachlesen möchte, in denen es viel zu entdecken gibt, menschlich Wesentliches. Kreipe sitzt an diesem derben hölzernen Tisch und überzeugt durch die von ihr mit viel Sensibilität freigelegten Traumata ihrer Figuren. Zum Abschluß liest sie noch ihre Übertragungen zweier frühen Gedichte von Anne Sexton, deren „Confessional Poetry“ einen prägenden Einfluß auf sie hatte. Sie rundet ihre Vorstellung mit zwei „Variationen“ ab: diese (noch) nicht abgeschlossenen Gedichte zeigen zwar Sextons Wirkung, werden aber nie epigonal, in ihnen erklingt Kreipes unverwechselbarer Ton.


Birgit Kreipe

Die zweite Autorin des Abends ist Charlotte Warsen aus Berlin. Ihre wortverspielten (manchmal dadurch auch wortverspielenden) Verse wirken durch ihre Länge beim Zuhören teilweise wie Aufzählungen. Die manieriert betonende Lesart entlockt dem Publikum manchen Lacher. Der mitunter von ihr verwendete Jugend-Jargon und die englischsprachigen Einschübe lassen die häufig maritimen Bilder etwas „O Lord – sorglos im Meer“ erscheinen.


Charlotte Warsen

Das dritte lyrische Ich dieses Abends ist Verena Fiebiger aus München. Ihr zur Seite sitzt Marcus Grassl, der mit Gitarre und Gesang gelegentlich ein Zwischenspiel einstreut. Fiebigers Gedichte kommen prosaisch und mit bevorzugt erotischen Bildern der Beziehungsfindung des Ichs zum Du näher. Den Reim scheut Sie nicht, auch wenn er gelegentlich eine eher persiflierende Wirkung hinterläßt (da reimt sich beispielsweise „krümeln“ auf „beamen“). Die Suche des Ichs durch den Sex? „Wissen Sie, wo es langgeht? – nach Warnemünde.

Verena Fiebiger mit Marcus Grassl

Fotos: Tristan Marquardt

Leider trübte die laute Musik aus den Nebenkellern, mal Tango, mal Jazz, insgesamt den Hörgenuß. Die Zeichnungen hinter dem Lesetisch stammen von Johannes Tassilo Walter, dessen Ausstellung in der Nebenhalle noch länger zu sehen sein wird. Das über die ganze Bühnenbreite mehrfach variierte Motiv des Stuhles, des gleichen, der auch am groben Lesetisch den Autorinnen als Sitzplatz dient, sorgt wohl unbewußt für die nötige Sitzruhe beim Auditorium. Das Kellergewölbe ist bis auf den letzten Platz belegt.

Wolfgang Berends

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