Matthias Schramm: Bitterblumen
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Florian
Birnmeyer
Matthias
Schramm: Bitterblumen. Gedichte. Berlin (Verlag der Neun Reiche, Bd. 39) 2025.
32 Seiten. 9,00 Euro.
Blüten, die
nicht trösten: zu Matthias Schramms Bitterblumen
Blumen – man kennt sie als Dekor.
Grußkartenästhetik, Wohnzimmervase, Sonntag-nachmittag. Ein Symbol, das sich
abgenutzt haben müsste. Und doch wirken sie bei Matthias Schramm anders. Bitterblumen
nennt er seinen 2025 erschienenen Debütband. Schon dieses Wort trägt den Riss
in sich: Schönheit, die sich an etwas Reibendem wundstößt. Eine Blume, die
nicht tröstet. Eine Erinnerung daran, dass die romantische „blaue Blume“ heute
nicht mehr leuchtet, sondern nachgedunkelt ist. Sehnsucht, die einmal groß war
und nun nur noch als Spur vorhanden ist.
Schramm, 1985 in Schlema im Erzgebirge geboren,
weiß um diese Überlagerungen. Seine Gedichte sprechen nicht laut. Sie sagen
nicht: „Sieh her, das bedeutet dies.“ Sie warten. Man muss sich ihnen annähern,
und wenn man es tut, geschieht etwas Seltenes: nicht Pathos, sondern ein
leises, verletzliches Staunen. Wie eine gepresste Blüte in einem Buch, schön,
aber ohne Duft, und gerade deswegen schwer zu vergessen.
Die Landschaft, aus der diese Texte kommen, ist
nicht Kulisse. Das Erzgebirge ist hier Organ, Resonanzkörper. Kein
romantisch-verklärtes Landidyll, eher ein Ort, an dem Stille nichts beruhigt,
sondern Rückwege öffnet. Flöze. Gruben. Rosen. Felder. Bäume. Butterblumen.
Schlieren. Licht. Die Wörter sind einfach, beinahe unscheinbar, und gerade
deshalb bleibt man. Man liest die knapp dreißig Seiten in einem Atemzug. Und
hinterher bleibt etwas wie Trauer. Nicht, weil etwas vorbei wäre. Sondern weil
die Natur sich zeigt, wie sie ist: entzaubert, und doch nicht verloren.
Ich denke oft an dichwenn ich die Butterblume seheals die Sonne etwas in die Eicheschrieb und uns zeichnete.Und durch die Blumen sagtest duhabe nicht jede Rose Dornenund nicht jeder Pfarrer ein Gebet.
Dass Schramms Texte musikalisch und malerisch
wirken, überrascht nicht, wenn man seinen Weg kennt: zunächst Klavier- und
Cembalobauer, später Studium von Grafik und Buchkunst in Leipzig. Diese
Gedichte hören sich selbst zu. Sie atmen. Und sie wissen: Jeder Klang hat ein
Verlöschen. Auch der Komponist, der in einem Gedicht auftaucht, ist nicht
zufällig gewählt:
gustav-mahler-abendrot.die fluchtaus lichtschlierenan deren undenkbarem endedas meer aller möglichen gedanken wartetvergibtdie schuldim apfelgrünen gewitter
Schramms Sprache bewegt sich. Sie bleibt nicht
stehen, sie tastet, führt Bilder zusammen, löst sie wieder. Natur wird dabei
oft personalisiert, synästhetisch überblendet. Das Provinzielle steht der
Metropole entgegen, nicht als Rückzug, sondern als ein Ort, an dem Wahrnehmung
sich konzentrieren kann. Romantik ist hier, ja, aber als spätes Echo, wissend,
dass es spät ist.
wir legten uns in die faltbarkeitdes moments undwurden ein origami;eine schwalbensilhouettedie nicht mehr von freiheitsang.
Die Typografie ist nicht immer konstant. Groß-
und Kleinschreibungen schwanken, vor allem am Anfang. Manchmal wirkt es wie
eine Suche, die erst nach einigen Seiten zur Ruhe findet. Vielleicht wäre hier
ein wenig mehr Einheitlichkeit hilfreich. Vielleicht gehört aber auch das
Schwanken dazu.
Der Band tritt in einen Dialog mit dem, was in
der Gegenwartslyrik selten geworden ist: ernsthafte Formsuche. Man könnte an
Marit Heuß oder Volker Sielaff denken. An eine Aufmerksamkeit, die nicht
ironisiert, nicht sentimentalisiert. Bitterblumen verweigert sich dem
„entweder oder“. Es findet eine dritte Haltung: zart, verletzlich, ohne
Schutzschild, und genau deshalb von heute.
Am Ende bleibt ein Gedicht, das sich an jemanden
richtet - oder an sich selbst:
Du suchst im Leben Stille und den Frieden…Doch auf der Suche nach den wahren Dingenführt dich der lange Weg durch die Neurosen.
Man könnte sagen, diese Gedichte seien nicht
zeitgemäß. Und doch erinnern sie an etwas, das wir nicht loswerden: Dass
Gefühle nicht für die Oberfläche bestimmt sind. Dass nicht jeder Mensch in eine
Großstadt gehört. Dass es Orte gibt, die nicht spektakulär sind und trotzdem
nicht austauschbar.
Vielleicht ist das die eigentliche Bitterkeit
dieser Blumen: Sie wollen uns nicht trösten. Aber sie zeigen uns eine Wunde, an
der wir ohnehin schon tragen.
Und das genügt.
Es ist genug.