Martina Hefter: Vom Gehen und Stehen
Walter Fabian Schmid
Kopfyoga mit seitlichem Einflüstern
Auf die immer wieder gestellte Frage «wo geht die Lyrik hin», könnte man ganz einfach antworten: Die Lyrik geht dahin, wo sich die Gedichte hinbewegen. Und dazu müssen sie erst einmal ein Bewegungspotential haben. Dieses hebt Martina Hefter mit ihrem neuen Band Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch auf die semantische Ebene und widmet sich thematisch den körperlichen Bewegungen, die sprachliche und gedankliche Bewegungen nach sich ziehen. Erst einmal ist eine Bewegung aber nichts anderes als ein Verhältnis des Körpers zum Raum: Wie entfaltet sich der Körper im Raum? Welche Auswirkungen und Rückkopplungen hat das wiederum auf Körper und Raum, auf dessen Inhalt und seine Assoziationen?
Indem Martina Hefter jedem Gedicht des ersten Kapitels Bewegungen ein lokales Setting vorgibt, scheint es ihr auf den ersten Blick um genau diese Wechselbeziehungen zu gehen und schafft zudem einen imaginierten Aufführungsraum für die Bewegungen innerhalb der Texte. Obwohl sie auch selbst die Gedichte performativ umsetzt und nicht zuletzt Mitinitiatorin des Bewegungsschreibers war, bei dem 2012 an vier Aufführungsabenden in Berlin die Interferenzen von Dichtung und Tanz ausgelotet wurden, interessieren sich ihre Texte aber weniger für Tanz als vielmehr für einfache Bewegungsprozesse und Bewegungszustände.
Martina Hefter setzt auf alltägliche Körperhaltungen anstatt auf gekünstelte Figuren. Wo die Gedichte Pirouetten drehen, tun sie das in der Kommunikation mit sich selbst: Jedem Gedicht stellt sie eine Variation zur Seite und webt aus dem Wortbestandteil des einen Textes einen neuen, der ganz andere Räume und Posen erzeugt.
In der Sprachbewegung desselben Wortmaterials treten die Gedichte automatisch in Dialog; was aber auch ins Surreale ausarten kann und – wie das Handbuch vielleicht denken ließe – selbst für die besten Twisterakrobaten nicht zum Nachahmen gedacht ist.
Geschuldet ist das auch dem Reichtum der Gedichte, die nicht nur körperliche, sondern ebenso gedankliche Bewegungen vollziehen und sich in der Trias Physis, Space und Ratio bewegen. Bei geringer äußerer oder physischer Bewegung besitzen die Texte eine umso höhere Bewegung im reflexiven, metaphysischen Bereich und umgekehrt. Auf dieses Dreigespann greift Martina Hefter auch in der Durchführung Aufgaben zurück. Im zweiten Kapitel stellt sie dem Leser kongenial von Andreas Töpfer als Kästchenhüpfen gestaltete Bewegungsaufgaben. In der Ansammlung von Imperativen, verkürzten Aphorismen, lyrischen Syntagmen und einzelnen Wörtern driften die Texte immer wieder ab von konkreten, umsetzbaren Aufgaben. Oder sind das Aufgaben ex negativo, die schon aus einem aufgegebenen Zustand her kommen? Eher sind es Aufgaben, die zum Aufgeben zwingen, weil Martina Hefter effektive Handlungen mit ungreifbaren Abstrakta koppelt und somit das Unmögliche fordert wie „Pferche in dein / Leib-Seele-Verhältnis / den Umriss einer Ente“.
Eine andere Art von Gedanken- und Sprachbewegungen präsentiert Hefter im letzten Kapitel, das schlichtweg Stille Post heißt; also nach jenem Flüsterspiel benannt ist, das auf phonetischen Täuschungen aufbaut und umso mehr Nonsense und Sinnverschiebung fabriziert, desto mehr Stationen der geflüsterte Inhalt durchläuft. Bei kurzen Texten wie O Brillanz funktioniert das mit einem sehr starken und unmittelbaren Effekt, aber die Schwierigkeit besteht in den langen Gedichten, die nicht in ihrer Gesamtheit von Station zu Station übertragen werden können. In jeweils vier Durchläufen muss der Fokus verstärkt werden auf die Weitergabe einzelner Sinneinheiten in Form von Versen oder Sätzen, wodurch die Konstruktion des Gesamtgebilde etwas vernachlässigt werden muss und nicht nur im Detail sondern auch im Gesamten ein großes Maß an Sinnzerstreuung stattfindet. Dabei riskiert Martina Hefter selbst im Detail sehr viel, indem sie mit den einzelnen Durchläufen die ursprüngliche phonetische Struktur aber auch den Rhythmus, der dem Gedächtnis neben der Phonetik bei der Re-Memorierung wohl am meisten behilflich ist, sehr weit verlässt. So lautet etwa die Durchführung einer Sinneinheit, die den Anspruch stellt, bei jedem Durchlauf wieder einen eigenen grammatikalisch korrekten Sinn herzustellen:
„Ich dirigiere den Schwerpunkt meiner Rede / in Richtung des Aspekts“
„Mich irritieren der Seen Schwärzung, kleiner Erden / Gewichtung, riesen Effekt“
„Mich imitieren, der Seele Schwärze, meine Herren / Dichtung verdient Respekt“
„Michi mit Tieren, der See löschwärts, beim Nähen / sich dumm verdient, dreh Speck“
Und mit solchen Sätzen, dieses Spiel zu spielen, muss erst einmal gewagt werden.
Martina Hefter: Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2013, 80 S., mit beiliegendem Heftchen mit Illustrationen von Andreas Töpfer, 19.90 Euro.