Martina Hefter: In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen
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Stefan Hölscher
Martina Hefter: In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2021. 96 Seiten. 19,90 Euro.
Naturkaputt
Betrachtet man das Cover des neuen Lyrikbands von Martina Hefter, so könnte man an eine bunte, lausmädchenstreichgefüllte Welt á la Pippi Langstrumpf denken: „In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“ – das klingt nach Lust, Leben und Abenteuer. Auch die schlichte Coverzeichnung von Andreas Töpfer, die einen stilisierten Baumstamm zeigt, der am unteren Ende natürlich gerundet ist, um an seinem oberen Ende, so als hätte er sich von selbst in ein Bett verwandelt, in eine funktionale Rechteckform überzugehen, wie auch das zarte Hellgraublau der Coverfarbe könnten diese Assoziationen noch beflügeln. Und auch in den Gedichten des ersten Kapitels „Essays über Pflanzen. Stillleben“ klingt so manches nach harmonisch-sinnlicher Vital-verbundenheit, auch wenn erste kleine Irritationen spätestens ab der vierten Zeile des ersten Gedichts auftauchen:
Gelb: bringt dich um.Grün: zehrt aus dir, ernährt sich von deinem Schwung.Rosé: nahrhaft ohne Gift
Ganz beiläufig und wie aus einem Pflanzenbuch zitiert, wird schon hier – ein wenig seltsam klingend zunächst – das scheinbar sprießend Lebendige mit dem Todbringenden verknüpft. Die „Stillleben“ des ersten Kapitels bleiben mit solchen Verbindungen aber eher andeutend:
Wie ich Äpfel pflückte,runde Schatten auf mein Gesicht fielen –nicht das gleiche wie jetzt, wo keine Pflanze mehr einen goldenen September braucht.In der Obstschale die Äpfel schrumpeln.Formeln, zweisilbige Formeln, fern wie Sterne, also Formeln wie „wenn–dann“.Wenn die Äpfel keinen goldenen September brauchen,dann lasst sie Januar brauchen, Kühlhäuser, Überwintern.Einen langen Tod auf einem kurzen Tisch.
Dass solche Zeilen kein Naturidyll transportieren, keine romantisch visionäre Einheit von Mensch und Welt, wird sicher spürbar, auch wenn hier, was das Verhältnis von Mensch, Natur und Technik betrifft, noch vieles vorstellbar erscheint. Das zweite Kapitel des Bandes schlägt dann allerdings schon mit seinem Titel „Flammen. Sage“ deutlich dunklere Töne an. Die in ihrer zeitlichen Einordnung unbestimmt bleibende „Sage“, deren Hauptfigur die „in einem Baumhaus im Wald“ lebende Cynthia Artemis Moll ist, spielt in einer Welt, in der Natur, Technik und Zivilisation dadurch verbunden sind, dass sie dem Menschen insgesamt keinen viablen Lebensrahmen mehr geben:
Trauer bläst sich in den Wald mit der Wucht, mit der Sonnenihre Explosionen hinkriegen.Ich kann das wirkliche Leben sehn, fiese Brille, warum habtihr sie mir gegeben?Die Auen plötzlich ultrarealistisch, die ganze obere Erdschichtabgetragen, man sieht jetzt die Plastiktüten und dieBergkristalle,die netten hutzligen Zwerge, depressiv hocken sie in ihrenHöhlen.Dass der Fluss unterirdisch weiterfließt und lebt undtrotzdem tote Fische hat,und mich, war mir nicht klar.(S.34)
Keine Tiefkühlpizzasmehr, es war kompliziert,in die Stadt zu gelangen,und dann gabs in denSupermärkten sowiesonur die selbst gesam-melten Pilze der Leuteaus dem Umland. Dieverkauften sie aufKommission. Manmuss sich sein Essenschon verdienen, ...
(S. 37)
Ohne dies je ganz direkt oder gar plump zu erwähnen, zeigt die Sage der Flammen und zeigen eigentlich auch die anderen der in dem Band versammelten Textkomplexe eine Welt, in der sich die vom Menschen ausgebeutete Natur gegen den Menschen gerichtet hat und dessen technizistische Ausbeu-tungsinstrumentarien längst leergelaufen sind. Was bleibt, sind elementare Wünsche und Bedürfnisse, solche nach Nahrung, nach Behausung (und Bett!), nach Sex und Liebe – Bedürfnisse, die in einer kaputten Welt, rührend, hilflos und ziellos erscheinen.
In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass in den formqueeren Texten von Martina Hefter, Texte, die Elemente von Poesie, Essay, Prosa und Sachbuch miteinander wie selbstverständlich verquicken, eine neue Einheit der Welt beschrieben wird. Das ist aber nun gerade nicht das harmonische Einswerden, sondern die Pervertierung der Einheit von Mensch und Natur oder, um es in den Termini des Einheitsphilosophen Spinoza auszudrücken: Gott – Substanz – Natur als das allumfassend Ganze, nur dass es sich eben in Martina Hefters Gedichten um ein durch und durch kaputtes Ganzes handelt.
Wird diese Kaputtheit am krassesten sichtbar in „Flammen“, so ist sie doch auch schon deutlich spürbar in den eher auf die Gegenwart des lyrischen Ichs bezogenen Texten des dritten Kapitels, das den Namen des Buches trägt. Hier ist es die Elementarfunktion des Betts, an der sichtbar wird, dass die in Summe desaströse Ressoucenausbeutung durch den Menschen ohne Ausweg ist:
Das Bett verspricht, gewachsen zu sein, Gras zu sein.Verspricht, nichts wegzunehmen, nur sich selbst wieder und wieder auszubilden,genügsam zu sein.Das Bett setzt Akzente.Macht die Luft frischer.(S. 46)Welchem Wald soll ich mein Bett denn noch entnehmen.(S. 47)Gras und Regen ergeben am Ende den westlichen Körper: Wohlgenährt, erschwebt überm Rasen, guten Mutes, Ballon in Form eines Menschen.(S. 47)Ist Bett, wie Gras, eine Sache, die, wenn man Glück hat, reichlich vorhanden ist, inmeinem Zimmer gewachsen?(S. 48)
Der Begriff der Dystopie, an den man hier denken könnte, ist nach meinem Geschmack, gerade auch im Zusammenhang mit Strömungen der Gegenwartslyrik schon viel zu inflationär und abgegriffen gebraucht, um noch irgendwie aussagekräftig zu sein. Man muss definitiv kein Seher, kein Visionär oder tiefahnend spürendes Dichterwesen sein, um die Kaputtheit der vom Menschen misshandelten Welt wahrzunehmen. Dafür reicht es, das Fernsehen einzuschalten.
Martina Hefters Texte sind keine sich auf den Rahmen des Erwartbaren beschränkenden dystopischen Lyrikprodukte. Dazu sind sie nicht nur formal mit ihrer Vermischung von Gattungen viel zu unkonventionell, sondern auch zu frech, zu direkt, an vielen Stellen auch zu (abgrundtief) komisch und mitunter bewusst umgangssprachlich krass geschrieben. Das gibt den Texten die Frische, die die Figuren dieser Texte mehr oder weniger vergeblich suchen. Und das macht sie stilistisch besonders, auch wenn sie vom Duktus her oft fast umgangssprachlich erscheinen mögen.
Am meisten beeindruckt hat mich in dem Band das Kapitel „Linn Meier († 2019)“, in dem eine anorektische Frau in Ich-Perspektive spricht:
Schlechter Sx oder kein Sxlieber kein Sx, aber nein es musste ja seinzu schwach sein für Sx und trotzdem mitmachenwer kennt das auch, los sagt malwohin mit dem klappernden Körper hinterhermit den Einzelteilenin irgendein Eckja iss halt einfach mal wasja hättest du damals was gegessenhättest du jetzt noch ein Unterhautfettgewebeund damals Spaß beim Sx gehabt und(S. 61)
ich war jung, mein Leben lag vor mir
ich wog 35 Kilound dachte, mach doch was mit dem leichten Lebennimms leichtdass du leichte Beute bistfang trotzdem was mit deinem leichten Leben anda fiel mir nichts einals Wolke sein(S. 63)
mal wieder von der Schönheit der Logik kostenwie aus einem Topf Honig heimlich nachtsdie Schönheit der Logik, die besagtdass keine zwei Körper gleichzeitig sein können an der Stellean der eigentlich nur ein Körper sein sollteund ich durch keine Wolke gehen kannund nicht mit der Wolke zugleich an der Stellean der mein Herz allein schlägtund nur für michund eine Wolke einfach nur eine Wolke istda schmiss ich alles rausdie xxxx, Sx, Wolken, Sterneaus meinem Traum
und winkte zum Dank Ares und Athenevor allem Athenesie ist so coolich wollte immer sein wie sieund habs verkacktdas dacht ich nochbevor ich einschlief in dieser besonderen Nacht(S. 76)
Wut und Trauer, Lebenswille und Verlorenheit, Begehren und Zerfall, Kontrolllust und Kontrollverlust, die Schwere des Lebens und die Leichtigkeit des Seins – all das wird in diesem prosanahen Langgedicht zu einer gleichzeitig poetisch zarten wie erbarmungslos scharfen Einheit zusammengeführt. Ein Text, den allein schon das Buch über die „Flammen“ und „Wälder“ lesenswert macht.