Martin Mulsow: Naturrecht und Emotion - Eine Geschichte der Gefühle im 18. Jahrhundert
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Jan Kuhlbrodt
Martin Mulsow: Naturrecht und Emotion.
Eine Geschichte der Gefühle im 18. Jahrhundert. Göttingen (Frankfurter Vorträge
– Wallstein Verlag) 2025. 236 Seiten. 19,00 Euro.
Die Aufklärung der Aufklärung
Wissenschaftsgeschichte ist
manchmal spannender als ein Kriminalroman. Zumal riskierten Wissenschaftler
zuweilen mehr als Romanhelden. Man denke nur an Descartes, den seine
Anatomischen Studien und der Systematische Zweifel eine lebenslange Flucht vor
dem Klerus einbrachten.
Vor einigen Jahren, genauer 2018,
legte Martin Mulsow das zweibändige Mammutwerk „Radikale Frühaufklärung in
Deutschland 1680-1720“ vor.
Ich las mit angehaltenem Atem. Und
wenn mir bis dahin die Aufklärung etwas verstaubt und unsexy vorkam, hat sich
das bei der Lektüre grundlegend gewandelt. Aufklärung musste sich aufgrund
politischen Drucks und auch Verfolgung zu-weilen verstecken und tarnen. Daraus
entstand ein Geflecht von verdeckten Debatten und heimlicher Austausch. Klar
ist und bleibt, dass Aufklärung nicht zuletzt auch über sich aufklären muss.
Dazu leistet Mulsow, Martin Mulsow,
geboren 1959 in Buchholz in der Nordheide, als Ideenhistoriker und Direktor des
Forschungszentrums Gotha für kultur- und sozialwissen-schaftliche Studien der
Universität Erfurt, wo er den Lehr-stuhl für Wissenskulturen der europäischen
Neuzeit innehat, einen nicht zu überschätzenden Beitrag.

Im Wallstein Verlag ist in diesem
Jahr ein weiterer Baustein unter dem Titel „Naturrecht und Emotion – Eine
Geschichte der Gefühle im 18. Jahrhundert“ im Rahmen dieses Projektes
erschienen. Was zunächst einigermaßen romantisch anmutet, entpuppt sich schnell
als das Gegenteil. Es geht also nicht darum, dem einen oder dem anderen Gefühl
einen Vorrang einzuräumen, wie ihn der abendländische Rationalismus der
Vernunft einräumt, als was auch immer diese zu fassen sei, sondern es geht
darum, Wechselwirkungen zwischen Körper-lichkeit und Gefühl aufzudecken und
deren Auswirkungen auf die Rationalität. Aufregend ist, wie Mulsow in seinen
Studien frühe Überlegungen z.B. zur Psychosomatik aufzeigt: zu Momenten, die im
Grunde erst im 20. Jahrhundert medizinisch zum Tragen kamen. Überhaupt ist der
ganze Komplex der Untersuchung der menschlichen Anatomie in der Wechselwirkung
zur Geisteswissenschaft ein überaus spannendes Feld.