Markus R. Weber: vor augen
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Konstantin Ames
«verbesserungen
sind nicht geplant». Markus R. Webers meisterhaftes Gedankenbuch «vor augen»
Mit «vor augen» legt der Mannheimer Autor Markus R.
Weber einen die Gattungsgrenzen großzügig umspielenden Hybrid vor. Nach
siebenjährigem Schweigen meldet sich Weber mit diesem brillant gearbeiteten
Teppich, bestehend aus einer wilden Collage von Gedichten, historischen Zitaten
und stark reflexiven Passagen, eindrucksvoll zurück. Angetan haben es Weber
diesmal nicht die autodestruktiven Drop-outs,
die das Figurentableau seiner Kurzprosasammlung «Extremisten 2010» bestimmen,
sondern die großen Pioniere der Wissenschaft und Technik: Carl v. Linné, Charles
Darwin, Isaac Newton, Leonardo da Vinci, Alexander v. Humboldt, die Gebrüder
Wright und Werner Heisenberg.
Alle Eingängigkeit hintanstellend errichtet Weber einen zutiefst pessimistischen Parcours, den jedoch eine Unzahl von Kalauern kontrastierend aufhellt. Bevölkert ist dieser Parcours von Obsessionen. Die Tonlage changiert zwischen Elegie, epigrammatischem Spott und hyperventilierender Tristesse. Dieser Habitus erinnert von ferne an den Furor der Infra-realisten um Roberto Bolaño. Das Interesse am Exzeptionellen wiederum verbindet Webers monumentale Sondierungen mit denen des großen US-amerikanischen Objektisten Charles Olson. Gut möglich, dass die Entscheidung, sich auf natur-wissenschaftliche Pioniere zu beschränken, auf eine tiefe Skepsis des promovierten Germanisten Weber gegenüber einer genieästhetischen Gemengelage zurückführen ist. Wer Weber im Dichtervortrag erlebt hat, staunt über seine Bescheidenheit, den trockenen Witz und das völlige Fehlen von Outriertheit, die mittlerweile zur Grundausstattung gerade auch der jüngsten Dichtergeneration gehört.

In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist
Webers Poesie allenfalls zu vergleichen mit derjenigen des Anarchopoeten Bert
Papenfuß. Die neuesten Bücher von Weber und Papenfuß gehören zum Besten, was
der nonchalant werbende Verlag von Ulf Stolterfoht («Schwierige Lyrik zu einem
sehr hohen Preis, dann ist es Brueterich Press!») zu bieten hat. Für den Zyklus
«darwin, die beteiligten» wurde Weber im Mai 2016 beim Lyrikpreis Meran mit dem
Alfred-Gruber-Preis ausgezeichnet.
Es liefe der Konzeption dieses proteushaften Buchs
nachgerade zuwider, eine Passage als womöglich repräsentative Leseprobe
herausstellen. Dennoch eine solche Probe aus «darwin, die beteiligten» zu
geben, stellt insofern nur eine Verlegenheitslösung dar.
8. tagWir saßen in Down Housein unserem Rücken redeten die Wellen BLABLA sie zeugtendabei einen Finken, der sein nasses Gefieder schüttelte undeinen Finken zeugte, der in der siebzehnten Generation mit einemWerkzeugkasten die ArtenteilungFinken: beherztJedes Tier braucht sein Adjektivals eine vererbbare Eigenschaftaufreizend. sogenannte kleine verbesserungen […]alle Erde der Erde ist vom Regenwurm verdaut worden […]„Alles ermüdet mich + habe nicht d. geringste Furcht zu sterben“
Gleichbleibend in allen Zyklen ist die soeben gesehene
Rhapsodik und eine zupackende und loslassende Collagetechnik, die Bögen
abbricht und immer wieder aufnimmt. Mit Marotten wie einer durchgängigen
Kleinschrift hält sich Weber nicht auf. Dadurch geht ein Riss durch das
lyrische Schriftbild, das ohnedies bloß eine Tarnkappe ist, und so entstehen
eine hilfreiche Lenkung des Leseflusses und performative Pirouetten
gleichermaßen.
Verwirrend ist die ab und an mutwillig wirkende
Interpunktion, die dem konsequenten durchgehaltenen Experiment der Übertragung
von Mündlichkeit – wie Stottern und pathetisch abbrechender Rede – ins Medium Schrift
geschuldet. Ab und an führt das zu einem leichten Hinken der Virtuosität. Ein
Eindruck, der sich in einer zu wenig nuancierten Darbietung durch den Dichter leider
verstärkt. Diesen Umstand dem Buch anzukreiden wäre freilich kleinlich.
Markus R. Weber hat an diesen Zyklen gut zwanzig Jahre
mit Hoffnung auf ein anspruchsvolles Publikum gearbeitet. Geworden ist es ein
brillantes Gedankenbuch! Webers opum
magnum kann nun kein schöneres Lob zuteilwerden als eine zahlreiche
Leserschaft.
Markus
R. Weber: vor augen. Berlin (Brueterich Press). 235 Seiten, 20 Euro.