Markus Hallinger: Was für ein Prosastück!
Markus Hallinger
Was für ein Prosastück!
Die Schwierigkeit Prosa zu lesen... und dann findet man durch Zufall vielleicht doch mal wieder eine Erzählung, die einen packt.
Ich weiß nicht mehr, welche Radiosendung das war auf BR 2, irgendwas zu Werner Herzogs 7zigsten vor knapp zwei Jahren, da wurde aus Interviews und Artikeln vorgelesen, unter anderem auch aus einer tagebuchartigen Erzählung, die Herzog 1978 geschrieben hat und die zuerst bei Hanser erschienen ist.
So schwer für mich Prosa erträglich ist, sind es erst recht die Bücher aus den siebziger Jahren, die bei mir das Regal füllen. Fast peinlich berührt werde ich, wenn ich mal eines herausziehe und nachlese, was ich damals gemocht habe, Walser, Böll... Johnson geht ja irgendwie noch. Handke, „Die linkshändige Frau“, hat für mich noch irgendwie Bestand, wenngleich es mir nach einigen Seiten auch steril, unerträglich wird.
Dann habe ich mir dieses Buch von Werner Herzog gekauft: „Vom Gehen im Eis“ heißt es. Vielleicht auch, weil Herzog mir bislang als Schriftsteller unverdächtig war, ganz sicher, weil ich seine frühen Filme, „ Jeder für sich und Gott gegen alle“ und „Herz aus Glas“, sehr mag. Das Buch habe ich in einem Zug lesen. Es ist kein bisschen angestaubt.
„Gleich nach ungefähr 500 m machte ich beim Pasinger Krankenhaus die erste Rast, von dort aus wollte ich den Knick nach Westen machen. Mit dem Kompaß peilte ich die Richtung nach Paris an, jetzt weiß ich sie.“ (7)
Es ist die Beschreibung seines Fußmarsches München-Paris im November/Dezember 74, eine Art Bittgang, ein selbstauferlegtes Versprechen, um die Lotte Eisner, die krank in Paris liegt, zu retten. Das ist die Story, der Anlass zum Gehen: Wenn Herzog es schaffen würde, Paris zu Fuß zu erreichen, würde die Eisner gesund werden.
Da macht sich einer, und das im November, mit diesem wahnwitzigen Vorhaben auf, und geht einfach drauflos. (Welche Fähigkeiten muss er dazu haben?) Er kommt sich vor wie im eigenen Traum, mit Bildern und Begegnungen, die existenziell sind, obwohl die fast alle aus dem Alltag und der Landschaft und dem Wetter gegriffen sind, besser gesagt, er wählt die Bilder nicht aus, nach ihm greifen sie.
„Plötzlich, bei einem Hügelkamm, dachte ich, da steht doch ein Reiter, aber beim Näherkommen war es ein Baum, dann sah ich ein Schaf und zweifelte, ob es nicht ein Gebüsch sein könnte, aber es war ein Schaf, das im Sterben lag. Es starb still und pathetisch; ich habe noch nie ein Schaf sterben gesehen. Ich ging sehr zügig.“(87) Natürlich erinnert das an den Lenz. Die Sprache auch, die meist kurzen, knappen Aussagesätze, die eine Abgetrenntheit von den Dingen und Geschehnissen wiederspiegeln und ein Erstaunen, das aber nicht abdriftet, sondern an den Dingen und Geschehnissen bleibt.
Das hat etwas von Marieluise Fleißer oder Ödön von Horváth, vom scheinbar naiven Bewusstsein, das da schreibt und hinter dem eigentlichen Wissen zurückbleibt. Bei allen dreien ist das aber nicht gespielt, oder literarische Technik, die so oft nervt, sondern die Fähigkeit „neu zu entdecken“, und sei es „nur“ den Baum, den man schon hundert Mal gesehen hat. Herzog ist ein Mystiker, der den Zauber, den er über seine Filme legt, in diesem Buch zum Sprechen bringt.
Werner Herzog: Vom Gehen im Eis. München - Paris. 23.11. bis 14.12.1974. Frankfurt a. M. (Fischer Taschenbuch) 2009 (3. Aufl.), 112 Seiten. 8,95 Euro.