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Markus Hallinger: Über die Pisaner Cantos nachdenken

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch



Markus Hallinger



Die Cantos – „Lied der Globalisierung“ (Tom Peuckert, DLR Lyriksommer) - lautete eine Überschrift in der Lyrikzeitung am 11.7.14.


Über die Pisaner Cantos nachdenken



                                                                        Odysseus
mein Familienname
                                Pisaner Cantos (7)



Die Cantos – ein Lied der Globalisierung – ….
Ich mag solche Begriffe und Verkürzungen nicht, die der Politik oder dem „Wirtschaftsleben“ entnommen sind. Das sind Herrschaftsbegriffe von den Merkels und Obamas dieser Welt belegt, womöglich erfunden, um eine Tüte zu füllen, die die Aufschrift trägt: Alternativlos.
Man kann das Wort Globalisierung nicht benutzen, ohne eben diese Merkels und Obamas mitzudenken.


In Tom Peuckerts Radiosendung
¹ dagegen heißt es:

„Ein Großgedicht, das alle kulturellen Grenzen - der Sprachen, der Religionen, der sozialen Institutionen - kraftvoll überwindet, und damit zu einem Akt der kulturellen Globalisierung wird - noch bevor die kapitalistische Ökonomie das Leben aller Menschen auf dem Planeten gleichzuschalten beginnt.“














Ezra Pound


Klar doch. Tom Peuckert nutzt den Ausdruck in einem anderen Sinn.
Er meint allumfassend.
Und natürlich ist der Gegensatz gemeint zwischen dem „globalisierten“ Bewusstsein Pounds und dem, was wir heute als Globalisierung bezeichnen und was für viele mehr ein Schreckenswort ist, eine Drohung und kein Versprechen, wie es uns die Eliten aus Politik und Wirtschaft einreden wollen, auf ein Leben in größerem Wohlstand für alle.
Unabwendbar stecken wir in einer Ausweitung unseres gesamten Lebensgefüges, was da Globalisierung heißt. Kein Handeln, kein Denken ist mehr möglich, ohne dass die Wirkung bis in den hintersten Winkel der Welt reicht, oder andersherum: Was in Lappland oder Nord Korea erdacht wird, betrifft auch mich. Und sei es, dass mich die Nachricht über Twitter aus einem Gefängnis oder einer Jurte erreicht, mich so angeht, also mich etwas angeht. Der Bauernspruch: „Was interessiert es mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt...“ zeugt nur noch von der Beschränktheit des bäuerlichen Bewusstseins, -  der Sack Reis steht längst vor der Haustür.
Wir sind mit allem und jedem verflochten, und scheinen nicht in der Lage, Ordnung in dieses Flechtwerk bringen zu können. Vergleiche, die herangezogen werden, wie Netze oder Bienenstaat, sollen eine Möglichkeit schaffen, uns darin zu denken, schaffen jedoch gleichzeitig eine Totalität, in der der Einzelne unterzugehen droht.

Folgerichtig sind somit die NSA-Praktiken oder die EU-Griechenlandpolitik, um nur 2 Beispiele zu nennen: Der Einzelne ist ohne Belang, auf die Gesamtheit kommt es an. Es wird so getan, als gäbe es ein globales Gesamtinteresse, und wir sollten uns glücklich schätzen, daran Anteil haben zu dürfen, und sei es nur dadurch, dass wir Hartz4 beziehen oder als Leiharbeiter herumgereicht werden. Das sind die verbliebenen Reste der Aufklärung und Emanzipation. Verdammter Kant!
Verschwörungstheorien? – Um Pound mitzudenken: Die Gier hat alles gefressen… die Globalisierung…, - in der die Techniken der Kunst angewendet werden, um Marktanteile und Börsenwerte zu vergrößern.

Die ungeheure Tragik des Traums im krummen
Rücken des Bauern


So lautet der erste Satz in den Pisaner Cantos.

Manes! Manes wurde geschunden und ausgestopft,
……..
……..
……..
… ,
doch den zweimal Gekreuzigten
      wo fände man den in der Geschichte?
aber sag dem Possum eines: ein Knall, kein Gewinsel,
     mit einem Knall, nicht mit Gewinsel,
Die Stadt des Deiokes zu baun, mit Terrassen von der Farbe der Stern.










Deiokes, König der Meder

Geschichte beginnt: Deiokes, bei aller Widersprüchlichkeit und unsicherer Quellenlage – der sich vom gerechten Richter zum Despoten wandelte –

Die ungeheure Tragik des Traums

Wie viele Despoten in der Geschichte von Robespierre bis Fidel Castro haben als Verteidiger der Menschlichkeit und Gerechtigkeit begonnen!

, doch den zweimal Gekreuzigten
      wo fände man den in der Geschichte?

mit einem Knall, nicht mit Gewinsel,

Sag das dem „
Possum“ (TS. Eliot, der sich dem Christentum zuwandte): mit einem Knall lass uns beginnen!

Ich weiß nicht, ob das zulässig ist, Strophen zu vertauschen und somit Zusammenhänge zu konstruieren. So zu assoziieren. Aber diese Freiheit scheint mir im Text zu liegen, der sich zu jeder Seite neigt, öffnet, der eben nicht, wie es oft gesagt wird, ideologisch gefärbt ist, sondern die Grenzen der Geschichte und des Denkens einreißt.

Manes wurde geschunden und ausgestopft

Historisch oder Allegorisch sind nicht zu unterscheiden. Je nachdem für welche Lesart man sich entscheidet.

Das ist gewollt. Vorwärts, rückwärts, quer, diagonal, egal in welche Richtung „gelesen“ wird, überall tun sich Bezüge auf. Jedes hängt mit jedem zusammen. Die Fäden, die gespannt sind, sind die Mittel der Kunst. Diese Konzeption fordert heraus, schärfste Ablehnung, größte Begeisterung.
Michael Hamburger schreibt über Pound und die Cantos:

Die Geschichte…. Sie ist eine aus Fragmenten zusammengesetzte Geschichte, und diese Fragmente stammen aus persönlichen Voreingenommenheiten…
Oder wie Donald Davie schreibt: < Von nun an kann Geschichte in der Dichtung transzendiert oder umgangen werden; aber Dichtung ist nicht der Ort, wo sie verstanden werden kann. >

Aber vorgeführt, gezeigt, möchte man entgegnen, als kultureller Boden, auf dem wir uns bewegen.  Dichtung folgt nicht den Tatsachen, sondern sie schafft sich ihre eigenen – aber wie funktioniert das, kann das funktionieren, wenn die Tatsachen dem politischen, gesellschaftlichen Geschehen entnommen sind – das lädt zu Missverständnissen zwangsläufig ein. - Kann man daraus neue, wirkliche Erkenntnisse über Politik gewinnen?

Geht es aber hier darum?

Viel näher ist es mir als Abgesang –

Kassandra, deine Augen sind die eines Tigers,

nicht ein Wort steht in ihnen geschrieben

Auch dich habe ich ins Nirgendwo verschleppt

   In ein Haus des Unheils

                        und die Reise ist endlos.
                        Das Schachbrett allzulicht,
die Quadrate zu regelhaft… Kriegsschauplatz…
-Schauplatz- ist gut. Es gab welche, die nicht wollten,

  daß es zu Ende ging. (107)


Die Gedanken enden im Bodenlosen – man sieht ihrer Entstehung förmlich zu, sie kommentieren sich auch „-
Schauplatz- ist gut“, und von hier aus führt es direkt in die menschlichen Abgründe „ es gab welche, die nicht wollten, daß es zu Ende ging“. Ein Satz, der zündet wie eine Bombe, weil in alltäglicher Sprache, und die ganzen Abgründe des Kriegs zeigt. Ohne auf Allgemeingültigkeit zu klopfen – nicht alle, sondern welche -, zeigt er gerade da, entlarvt, eine allgemeine Haltung, Deformation.

Alles läuft auf ein Ende zu, das nicht gut ausgehen wird.

Vielleicht ist das ein Ansatz: Die Cantos zeigen, dass Geschichte, erlebte und angelesene (erforschte) Erfahrungen, alle jemals gemachten und augenblicklichen, im einzelnen Individuum kulminieren können. Und hier, glaube ich, sitzt Donald Davie einem Irrtum auf: Es geht in den Cantos nicht um Verstehen, um eine Art Verstehen wie sie uns in Geschichtsbüchern nahe gebracht wird, sondern um ein Bewusstsein, eine unbedingte Lebenshaltung, die versucht, den Überblick nicht zu verlieren und alles zusammenzudenken.

Nicht mehr die Harmonie der Einzelteile konstituiert das Werkganze, sondern die widerspruchsvolle Beziehung heterogener Teile.

Schreibt Peter Bürger über die Avantgarde.

Und, möchte man hinzufügen, nicht nur das Werk, es geht um eben diese Lebenshaltung, diese Heterogenität anzunehmen und auszuhalten und Verknüpfungen zu finden.

Im Text wird das mit allen Mitteln vorgeführt – Zitate/Einsprengsel, Fragmente, Sprechhaltungen, Alltagssprache, Vergleiche, Assoziationsketten, klangliche, rhythmische Bezüge, die Bildlichkeit des Textes….

Pound schreibt:
Man benutzt das Wort, um Bilder auf die geistige Netzhaut des Lesers zu projizieren / Man lädt es durch den Klang auf oder benutzt eine Folge von Worten dazu / Man geht ein größeres Risiko ein und verwendet das Wort in einem besonderen Verhältnis zum üblichen Gebrauch (ABC of Reading, 1934)

Kunst als Netz, mit dem gefischt wird. Ordnendes Prinzip. Die Richtung der Bewegung im Text entsteht aus dem Material und der Geschichte, und kann deshalb nur subjektiv und mehrdeutig sein, weil bestimmte Eigenschaften des Materials und Inhalte der Geschichte hervorgehoben oder bevorzugt werden müssen, um überhaupt etwas aufs Papier zu bringen.

                                                                     
Odysseus
mein Familienname

Die augenblicklichen Erlebnisse im Käfig, in dem Pound in der Nähe von Pisa gefangen gehalten wurde, dienen oft als Ausgangspunkt der Fahrt:

Wasser sickert unter den Flaschenverschluß
Bis endlich der Mond aufging wie eine blaue Ansichtskarte
Von Bingen an dem Rhein
        Rund wie Perkeos
² Zuber (151)

Das ist der gleiche Mond und eine Flasche wie die, aus der Perkeo trinken musste, Hofnarr.
Zuber und Käfig.
Die Zeiten mischen sich: sickert – aufging.

Alles hängt mit allem zusammen: Ein Stein, beziehungsweise Fels, der in der Antike gerollt wurde, liegt noch am Feld, zeitweise als religiöses Symbol gebraucht, als Burgstein, dann wurde er als Abschussrampe für Granaten benutzt, später wurde ein Kaufhaus daraus gebaut, jetzt ist es vielleicht ein Stein zum Bouldern. Aber es ist noch immer der Stein von ehemals. Der Gedanke wäre trivial, und könnte zu einem bildungsbeflissenen Lamentieren ausufern, wäre da nicht in den Cantos dieses Ich, in dem alles explosionsartig kulminiert.

Da genügt eine Katze am Käfig und ein Lied aus dem Radio, das der Gefangene hört.

Lungernde Nachtkatze, laß meine harten Rechtecke in Ruhe
              Sie sind keinesfalls Katzenkost

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ist, wo du nicht hinkommst       
Lied: <kitten on the keys>
Radio: Dampfpfeifen-Orgel
Folgt auf das Schlachtlied der Republik
     Wo der Honigkarren zu stinken aufhöre
                                                und die Nase Frieden habe
<mei-heine Augen sahn>
(149)

Wie sich die Begrifflichkeiten mischen!
Ohne Pound wäre heute vieles nicht denk- und machbar.
Pound und Joyce. Joyce und Pound.
Globalisierung – Heterogenität.
Gegenwart – Vergangenheit.
Homer. Herodot.
Kling. Pound.
Kling hat Pound gelesen:

Ein meer
      Strenger als granit,
unruhig, niemals aufgebend;
      Hohe gestalten
mit den gesten von göttern,
      Gefährliche aussichten;
Und einer sagte:
      »Das ist Actaeon.«
Actaeon mit den beinschienen von gold!
Über helle wiesen,
Übers überlegene gesicht dieses felds,
Unruhig, immer in bewegung,
Heere eines antiken volks,
Das stumme gefolge.
                                    (aus Kriegsbeginn: Actaeon1, Nach Pound)

Wie ist dieses <Nach> zu verstehen? Kling wird sich der Doppeldeutigkeit bewusst gewesen sein!

Goethes Mahnung, Kunst und Leben nicht zu verwechseln, gilt bei Pound nichts. Die Literatur ist zur Lebenshaltung geworden. Pound mag geahnt haben welches persönliche Risiko er damit eingeht.

Eine Erkenntnis, die nicht durch die Sinne gegangen ist, kann keine andere Wahrheit erzeugen als die schädliche – sagt Leonardo da Vinci. Und immer wieder tauchen in den Cantos Passagen auf, in denen diese Erkenntnis durchdringt:

Wenn der Sinn haftet an einem Grashalm
           wird eine Ameise dich retten
das Kleeblatt schmeckt und duftet wie seine Blüte
(217)

Das ist das Drama, das sich im Hintergrund der Cantos abspielt, und das einen beim Lesen erschüttert.
Mein Familienname Odysseus - bis zur Erschöpfung des Ichs.

Es gibt Ermattung schwer bis in das Grab.
Kakitsubata wächst im Flachland aus dem Nebel

Sonne steigt übern Berg mit Schlagseite

so daß ich denken mußte an das Lärmen im Kamin
wie Wind in dem Kamin

was wirklich Onkel William war

der unten dichtete
und einen großmächtigen Pfau gemacht hatte

in seiner Augenpracht
nen großmächtigen Pfau gemacht…

gemacht hatte nen großmächtigen Pfau

in seiner Augenpracht (217)

¹  Deutschlandradio, 27.7.2014  Literatur - 0:05 Uhr "Das Lied der Globalisierung" Ezra Pound und die Cantos. Von Tom Peuckert
²  Perkeo, Hofnarr des Kurfürsten Karl des III.

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