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Markus Berges: Die Köchin von Bob Dylan

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Julia Trompeter

Markus Berges: Die Köchin von Bob Dylan



Eine Frau übernimmt den Job ihrer Freundin – nicht irgendeiner Freundin, und auch nicht irgendeinen Job. Denn die Tatsache, dass Jasmin Nickenig die Köchin von Bob Dylan wird, muss zweifelsohne zu den mehrschichtigen Verstrickungen und Verkettungen von Umständen in diesem Roman hinzugezählt werden. Von einer späten, irgendwie unvorhergesehenen Schwangerschaft ist die Rede, wenn es um die Gründe für die Kündigung von Jasmins Vorgängerin geht. Und ebenso wie diese Freundin zu ihrer Schwangerschaft, so kommt auch Jasmin zu Bob Dylan, im Roman „Bobby“ genannt, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Denn ebenso unvorhersehbar wie ein solches gebärdet sich dieser. Ob er nun mit herrlichem Eigensinn an einer Reckstange auf dem Jahrmarkt hängt, immer brav alles aufisst, was er vorgesetzt bekommt, Badehosen in Reggae-Farben trägt, seiner neuen Köchin einen Phantasienamen gibt oder sie in das Haus Tschechows nach Jalta mitnimmt, zu welchem er eine innige Verbindung zu hegen scheint: Immer haftet ihm in diesem Roman zugleich etwas unschuldig-kindliches, schamanisch-esoterisches und intellektuell-tiefgründiges an. Aber, und das ist vielleicht das Auffälligste an dieser Charakterstudie, das Idol von Millionen zeigt in seinem alltäglichen Verhalten keinerlei Star-Allüren. Wenn Bobby wie ein zartes Raumschiff durch die teils karnevalesken Szenerien des skurrilen Tour-Alltags gleitet, wird ganz leise eine Verlorenheit sichtbar – und zugleich eine Stärke, die vor allem aus seinem Rückzug in seine eigene reiche Innerlichkeit gespeist zu werden scheint. Das Sichtbarmachen von Sublimem allein durch das Schildern von Nebensächlichkeiten ist vielleicht die größte Stärke an Markus Berges' Art der Charakterdarstellung, die niemals äußerlich zuschreibt, sondern die Figuren durch ihr Handeln und Verhalten lebendig werden lässt. Zudem haben die Skizzen des großen Bob Dylan viel Witz und bleiben, trotz teilweise karikierender Elemente, stets liebevoll.


Aber zurück zur Geschichte: Um zu Bobby zu gelangen, der sich mit Band und Tourbegleitern bereits auf der Krim befindet, bricht auch Jasmin dorthin auf. Nicht zufällig, wie es scheint, denn die Ukraine ist nicht nur das Land ihrer eigenen, sondern auch von Bobbies Vorfahren. Die schüchterne und dabei in sich ruhende Frau in den Dreißigern lebt ihr Leben bis auf Schwester und Freundin beziehungslos. Dass Jasmin lesbisch ist, erfahren die Leser angenehm nebenbei – ob diese Frauenkonstellation hingegen tatsächlich auf Tschechows Drama „Drei Schwestern“ anspielen soll, bleibt wohl nur ein ins Kraut geschossener Verdacht der Kritikerin.

Seit der Krimkrise 2014 ist die Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim zwischen Russland und der Ukraine umstritten.

Entgegen der Haltung Russlands, betrachten die Ukraine und die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft die Krim als autonome Republik, und zugleich als Bestandteil ukrainischen Staatsgebiets. Der Schauplatz von Berges' Roman ist somit auch aktuell ein Ort von hoher politischer Brisanz. Die Aufmerksamkeit wird im Roman jedoch nicht auf die Gegenwart, sondern auf die ukrainisch-deutsche Vergangenheit gelenkt. Dazu bedarf es im Plot eines Schlenkers in die jüngere Geschichte, die sich plötzlich mit Macht einen Platz in Jasmins neuen Alltag bahnt. Kurz nach ihren ersten Arbeitstagen erfolgt ein ominöser Anruf einer entfernten Cousine: Sie habe Jasmins Stammbaum im Internet entdeckt, und glaube, dass Jasmins 1944 verschollener Großvater nun bei einer Familie in Odessa lebe, nicht sehr weit von dem Ort entfernt, an dem die Tour gerade stoppt.

Soviel zur Geschichte, oder besser gesagt: zu dem einen Handlungsstrang, den man aus einer bestimmten Perspektive heraus auch als Rahmenhandlung bezeichnen könnte. Denn parallel wird in diesem Buch noch eine ganz andere Geschichte erzählt, die tief in der jüngeren Geschichte wühlt. Es ist das Leben eben jenes verschollenen Großvaters der Jasmin, des Florentinius Malsam, oder auch Malsam Florentinius, wie er selbst sich vorstellen würde, und seiner Kindheit und Jugend als Schwarzmeerdeutscher und Vollwaise in Helenenfeld, das den Leser in diesem Buch am meisten in Anspruch nimmt. Es wäre dabei schlicht falsch zu behaupten, dieser zweite Handlungsstrang würde sich sanft in die Handlung um Jasmin und Bobby einbetten. Ganz im Gegenteil, wird der Leser in den Erzählpassagen um Florentinius umstandslos hineingezogen in eine andere, karge, von Armut und Gewalt bestimmte Welt. Die Hungersnot in der Ukraine der 1930er Jahre wird dabei so plastisch dargestellt, dass man bei der Lektüre um jedes Stück Brot froh ist, welches den hungernden Figuren in die Finger gerät. Später veranschaulicht das Kennenlernen von Florentinius und seiner zukünftigen Frau Erna beim heimlichen Hören des Faschistenfunks die politische Ambivalenz, in der sich Florentinius, aufgewachsen zwischen Stalin und Hitler, befindet. Auch die Nazis nehmen Raum im Buch ein, wobei die bei der Lektüre bisweilen körperlich spürbar werdende Darstellung von Gewalt zwischen abstoßender Groteske und schnörkelloser Beschreibung von Grausamkeiten oszilliert.

Alles in allem ist es also kein leicht verdaulicher Stoff, den der Autor den Lesern hier präsentiert. Diesen jedoch inszeniert er in einer bildhaften Sprache, die das Kino im Kopf so mühelos ans Laufen bringt, dass von Schwere, zumindest im ästhetischen Sinne, keine Rede sein kann. Abschließend könnte man fragen, ob die Handlungsstränge auch richtig ineinandergreifen, oder ob es nur die Figuren und ihre familiären Wurzeln sind, durch die sie zusammengehalten werden. Hierauf ließe sich vielleicht die Antwort geben, dass schon Aristoteles in seiner Poetik gesagt hat, die Dichtung sei philosophischer und ernsthafter als die Geschichtsschreibung. Dass es jedoch leicht sei, historische Stoffe mit all ihren Ambivalenzen und Arbitraritäten in eine literarische Form zu gießen, das steht nicht in der Poetik. „Die Köchin von Bob Dylan“ jedoch zeigt einmal mehr, wie der Kunstgriff des Dichters es bisweilen vermag, die Verbindungen von Zerstreutem aufzudecken oder, wenn es denn solche Verbindungen in der Wirklichkeit vielleicht gar nicht geben sollte, sie aktiv herzustellen – und dadurch wahr werden zu lassen.


Markus Berges: Die Köchin von Bob Dylan. Roman. Berlin (Rowohlt Berlin) 2016. 288 S. 19,95 Euro.

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