Marica Bodrožić: »Die Wahrheit kann niemand verbrennen«
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Michael Braun
„Das, was ohne Hitze brennt, ist Gott“
Marica Bodrožić reanimiert die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg
Die „heilige
Ordnung“ der Liebe, wie sie einst die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von
Magdeburg beschwor, ist uns heute fremd geworden. Die Liebe nicht als
narzisstische Unternehmung zur Maximierung privaten Glücks zu verstehen,
sondern als erotische Hingabe an Gott, gilt heute bestenfalls als sektenhafte
Abirrung vom selbstverständlich gewordenen Lustprinzip. Für die fromme Begine
Mechthild, die als Bettelschwester durch die Lande zog und in sieben Büchern ihre
Offenbarungen vom „fließenden Licht
der Gottheit“ niederschrieb, war das Begehren des himmlischen Bräutigams
dagegen das unverzichtbare Lebenselixier. Man weiß nicht viel über das Leben der 1207/08 bei Magdeburg geborenen
Mechthild, die mit 12 Jahren zum ersten Mal „vom Heiligen Geist gegrüßt“,
wurde, dann aber noch dreißig Jahre wartete, bevor sie nach dem Zuspruch ihres
Beichtvaters im Kloster Helfta in Eisleben ihre Visionen, Offenbarungen und
mystischen Gesichte niederzuschreiben begann. Das niederdeutsche Original ihrer
Schrift, der sie den Titel „Das fließende Licht der Gottheit“ gab, ist nicht
überliefert; es existieren nur Übersetzungen ins Lateinische und ins
Oberdeutsche.
Die Wirkungskraft ihrer Offenbarungsschriften auf zeit-genössische Dichterinnen und Dichter ist indes ungebrochen. Dabei kann man zwei Formen der Rezeption unterscheiden: eine feministische Rezeption, von Autorinnen wie Barbara Köhler formuliert, oder eine religiös-emphatische, wie sie etwa Franz Josef Czernin 2009 anlässlich eines Mechthild-Colloquiums im Literaturhaus Berlin vorgetragen hat. Im Blick auf „die Minne“ als „schönste Frau des Mittelalters“ hat die Mechthild-Leserin Barbara Köhler auf die heftige Bewegung der Sprache verwiesen, „die ins taumeln, ins singen, ins tanzen geriet, außer sich geriet in seltsame ekstasen, in eine vorher nicht gesehene, unerhörte bewegung“. In emphatischer Identifikation mit dieser Sprach-Ekstase vergewisserte sich Franz Josef Czernin seiner sympathe-tischen Nähe zu den religiösen Visionen Mechthilds.
Für seine ästhetische Affinität zur mittelalterlichen Beterin findet er existenzialistische Formeln: Er zeigt sich fasziniert von der „Reinheit und Einfachheit“ der Sprache Mechthilds, folgt mit „Ergriffenheit“ ihrer sakralen Poetik – die Mystik Mechthilds erscheint als Poesie zur Wiederverzauberung der Welt.
Im Rahmen der
Reihe „Zwiesprachen“ im Münchner Lyrik Kabinett beschäftigte sich im Dezember
2017 auch die Schriftstellerin Marica Bodrožić mit dem „Außer-Sich-sein“, der
„Verzückung“ und der „Ekstase“ der Offenbarungen Mechthilds. Ihr Essay ist ein
weiteres Glanzstück in der „Zwiesprachen“-Reihe, die seit März 2016 im Verlag Das Wunderhorn erscheint. „Das, was ohne
Hitze brennt, ist Gott“: Dieses Diktum Mechthilds wird zum Leitmotiv des
Essays, der die Feuer-Metaphorik und die „Lichtumkreisungen“ der religiösen
Visionen untersucht und dabei auch schöne Parallelen zum spanischen Mystiker
und Dichter Juan de la Cruz zieht. Trotz ihrer völligen Hingabe an den
göttlichen „Allerliebsten“ habe Mechthild eine eigene „Blickrichtung der Liebe“
bewahrt, die nicht in religiöser Selbstverzehrung aufgeht. Das lyrische Ich
führe einen „transzendenten Tanz“ auf, der – und das ist eine schöne Definition
von Poesie – im „Verzicht auf Machtanspruch“ besteht. Die jubilierende
Lobpreisung Gottes scheint mit der völligen Selbstzurücknahme des Ich einher zu
gehen:
O du gießender Gott in deiner GabeO du fließender Gott in deiner Liebe,o du brennender Gott in deinem Begehren,o du schmelzender Gott in der Vereinigung mit deiner Liebsten,oh du an meinen Brüsten ruhender Gott,ohne dich kann ich nicht sein.
Mechthild von
Magdeburg selbst hat ihre Aufzeichnungen als Protokoll einer göttlichen
Autorschaft verstanden; in ihren Texten spricht kein autonomes Ich, „sondern es
atmet“ nur den göttlichen Geist – so Bodrožić. Marica Bodrožić vermag nicht in allen Passagen
ihres Essays deutlich zu machen, worin die
mögliche Aktualität der Offenbarungen der frommen Begine bestehen könne. An
einer Stelle jedoch markiert sie eindrucksvoll, was man von den hymnischen
Exaltationen der Mechthild von Magdeburg lernen kann: eine „Blickrichtung der
Liebe“, die davon weiß, dass „Minne“ zwei Körper hat und nicht in der
Besitzergreifung des anderen besteht: „Irgendwann werden wir aufhören müssen,
Verkäufer unseres Ichs zu sein und irgendwann werden wir lernen, im Fließenden
zurückzutreten. Allein zu sein und aus dem Alleinsein das Sehen erlangen.“
Mechthild Rausch (Hrsg.): Je tiefer ich
sinke, je süßer ich trinke. Poetische Annäherungen an Mechthild von Magdeburg.
Roughbooks 0012 (Dezember 2010), 116 Seiten, 9 Euro. Urs Engeler, Turnhallenstrasse 166, CH-4325 Schupfart.
Marica Bodrožić: »Die Wahrheit kann
niemand verbrennen«. Über die Blickrichtung der Liebe bei Mechthild von
Magdeburg. Reihe „Zwiesprachen“. Hrsg. von Holger Pils und Ursula Haeusgen.
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2018, 40 Seiten, 15,80 Euro.