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Marguerite Duras, Jean-Luc Godard: Dialoge

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Jan Kuhlbrodt

Marguerite Duras, Jean-Luc Godard: Dialoge. Übersetzt von Tim Trzaskalik (Spector Books) 2020. 168 Seiten. 16,00 Euro.

Duras spricht mit Godard, der mit Duras spricht


Das Wochenende verbrachte ich mit einem Buch aus dem Leipziger Verlag Spector Books. Nicht zufällig, sondern ich versuchte mir ein Gegengewicht zu schaffen zu den philosophischen Schwarten, die gerade so auf meinem Schreibtisch lasten in letzter Zeit, und auch, weil es ein Gesprächsbuch ist, also das Sprunghafte, das Abschweifen, den plötzlichen Abbruch eines Themas zulässt. Das Buch heißt „Dialoge“ und dokumentiert Gespräche, die Marguerite Duras mit Jean-Luc Godard führte. Eingeführt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen wurden die Gespräche von Cyril Beghin, und von Tim Trzaskalik wurden sie aus dem Französischen übersetzt.

Vorab ist zu erwähnen, dass der Leipziger Verlag sich gestalterisch an Grenzen wagt. Auch dieses Buch ist, dieser altertümelnde Ausdruck sei mir hier gestattet, eine Augenweide. Von der Klappenbroschur bis hin zur Wahl der Schrift ein Genuss. Haptisch und visuell.

Ich bin kein Cineast, also keiner, der sein halbes Leben im Kinosessel verbringt und das ganze Jahr auf die Berlinale hinfiebert, aber es gibt einige filmische Arbeiten, die mich zutiefst beeindruckt haben, und dazu gehören Filme, die Godard gedreht und geschrieben hat, aber auch Filme, an denen Duras zumeist als Drehbuchautorin beteiligt war. Jene Filme, die Duras selbst gedreht hat, kenne ich bislang nicht, oder sie sind mir nicht erinnerlich. Eine große Lücke, wie ich feststellen muss.
    In diesen Dialogen tritt sie als Vertreterin des Wortes auf, man könnte fast sagen, als seine Anwältin auch im filmischen Kontext, während Godard für das Bild Partei nimmt. Was letztlich ein wenig die künstlerischen Realitäten spiegelt und sie spiegelhaft verkehrt. Denn in einigen Filmen Godards spielt die sprechende Protagonistin sich gewissermaßen ins Zentrum der Szenerie. Wer ihn nicht kennt, dem sei der Film „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ dringend empfohlen. Auf der anderen Seite setzt Duras in ihren eigenen Filmen das Bild ins Zentrum, während die Sprache aus dem Off zu kommen scheint. Das Bild der Sprechenden und die Sprache als Ton – ein spannendes Feld, das sich aus den Gesprächen heraus, die ja letztlich verschriftlichtes gesprochenes Wort sind, eröffnet.

MD (Duras): … Ich glaube alles hängt von deinem Ausgangspunkt ab. Davon, wo du bist, wenn du filmst. Ich glaube immer daran, an die anfängliche Definition.“
JLC (Godard): … Ich habe das Gefühl, der Film ist ein Transportmittel, um an den Ort zu gelangen, an den ich sonst nicht kommen würde, das ist es, was mich interessiert. Ich empfinde es, wie eine Verlängerung meiner selbst, oder ich verlängere mich so selbst.“

Das Spannende an diesen Gesprächen ist zumal, dass zwei sehr unterschiedliche Temperamente zusammentreffen, die sich beide in ihrer Verschiedenheit achten, aber eben auch auf eine gewisse Weise ironisch begegnen. Wenn Godard zum Beispiel als Treffpunkt für ein Gespräch den Ausgang einer Schule vorschlägt, wohl wissend, dass zur anvisierten Zeit dort ein Krach herrscht, dass ein Gespräch nur sehr schwer möglich ist, sitzt ihm der Schalk im Nacken.

Gleich am Anfang des Buches findet sich eine Verbindung zu dem auf meinem Tisch lastenden anderen Büchern. In Schuberts Buch „Masken denken – in Masken Denken“, auf das wir vor ein paar Tagen hingewiesen haben, gibt es ein Kapitel, das mit „Das Problem der Schauspieler als Problem der Dichter und Philosophen“ überschrieben ist, und dieses Kapitel, das letztlich der Wahrheitsfrage in Abgrenzung zu Platons Künstlerverbannung nachgeht, setzt mit folgendem Satz ein:

„Dass Nietzsche die Philosophiegeschichte als eine (fatale) Geschichte der Dogmatik und insofern der Tyrannei der Wahrheit beschreibt, ist bekannt. Dass damit allerdings in der Konsequenz ein Problem angezeigt ist, worin die Philosophen in die Nähe nicht allein der Dichter, sondern auch der Schauspieler rücken, ist selten betont worden.“ Nietzsche und mit ihm Schubert verleihen den Schauspielern reziprok damit den Status, Weltenerfinder zu sein, und setzen darin einen Widerstand hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Führung durch einen Regisseur, sei es im Film, sei es auf dem Theater. Der Akteur setzt also nicht nur seine Körperlichkeit ein, sondern auch sein intellektuelles Vermögen. Er ist im Grunde Widerstand gegen die Formung in der Formung.

In „Dialoge“ heißt es:

MD: … Ich glaube nicht, dass das Bild jemals ersetzen könnte, was ich den grenzenlosen Wildwuchs des Wortes genannt habe.
JLG: Warum es vollständig eliminieren?
MD: Das Wort?
JLG: Nein, den Sachverhalt des Sehens, ohne das Sagen.
MD: Ich eliminiere ihn nicht, ich mache ja Kino. Seit drei oder vier Filmen eliminiere ich allerdings die Schauspieler. … Du bist der einzige, der sich der Schauspieler bedient, um sie zu verneinen.“

Natürlich sollte man sich nach der Lektüre des Buches einen Filmabend organisieren. Am besten allerdings in einem richtigen Kino. Um den Moment auszukosten, in tiefster Nacht aus dem Kino zu kommen, das man im Abenddämmern betreten hat.


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