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Marcus Roloff: Der Text der Anderen

Montags=Text
Illustration Andreina Vallés
Marcus Roloff

DER TEXT DER ANDEREN


Übrigens, ich übersetze ja auch, sprach er unverdrossen weiter, nachdem
das Mogk’s geschlossen hatte und wir draußen ohne Getränk
auf einer der jetzt leeren Bierbänke platznahmen. Das Übersetzen
von Gedichten beginnt zuweilen ganz melodiös, also damit, in etwas
hineingezogen zu werden, von dem man, da es nicht von einem selbst
herkommt, nicht weiß, was es werden wird.

Man demnach, sagte ich in die leere Nachtluft, also trotz aller Information
auch kaum weiß, woher es kommt. Außerdem muss man natürlich
erstmal drauf kommen, also auf den jeweiligen Autor, dessen
Text …

Das ergibt sich erfreulicherweise immer wieder neu, meinte er aufgeregt,
fast wie von selbst. Alles ist doch mittlerweile so schön miteinander
verflochten und sirrt oder flirrt unaufhörlich von irgendwo
herein. Allerdings bestehe, hörte ich ihn, immer die Gefahr, einen
Eindruck vom zu Übersetzenden zu gewinnen, der nichts sage. Alles
schweige tönend, nicht nur der Fremdsprache, sondern auch des fremden,
uneigenen Tons wegen. Lesend und wieder lesend und immer
wieder-lesend, versuche er etwas wie Mitsummen. Da seien Fetzen,
Motivfetzen, die er erkenne, Inseln in einem matt oder aufgeregt fließenden
Gebräu, oder Mosaiksteine eines wie frisch ausgegrabenen
Bodenmusters, dessen komplettes Bild er sich Wort für Wort, Zeile
für Zeile er-sinnen müsse – buchstäblich. Es komme vor, dass das
noch eher amorphe Ganze durch etwas wie blinde Flecken hindurch-
schimmere, dann sei die deutsche Fassung fast nur Fleißarbeit, gehe
unauffällig und ohne größere Irritationen vor sich hin. Oft schiele er
aber bereits am Anfang aufs Ende oder wenigstens die letzte Zeile, um
vorwegzunehmen, worauf das Original zulaufe. Und dieser Schwung,
der im Ende ausschaukele, erlaube es ihm, wenn er es schnell genug
erfasse, den Rest, die Stille des Noch-nicht-Erfassten nicht nur besser
zu ertragen, sondern auch Stück für Stück im Sinne dieses alles er-
hellenden Endes zu belichten.

Übersetzen also, hörte ich mich plötzlich sagen, als Erhellungs-, ja
Entschlüsselungsvorgang, dem Lektorat nicht unähnlich, das ja
ebenfalls ein Hineinknien in etwas Fremdes und Dunkles und letztlich
auch Übersetzungsarbeit ist – wie möglicherweise grundsätz17
lich alles Schreiben »verschriftlichen« heißt, etwas auf die Fähre der
Schrift zu setzen, die ihrerseits über-setze zum dunkeldröhnenden
Ufer, das man höchstens vom Hörensagen kennt, sofern man ihm
eine Stimme gibt.

Richtig, aber warte mal, sagte er unruhig, ich glaube, ich kann dir
meinen Dreischritt beschreiben, der den Gang durch die Texte der
Anderen rhythmisiert: die Überschau, die sich aufmacht, Ton- und
Sachlage zu eruieren, erstens, zweitens die routinierten Freuden des
Erstellens einer ersten Zielsprachenfassung, die zuverlässig die Lexik
überträgt.

»Eins-zu-seins«, kalauerte ich.

Und schließlich die echten Freuden der Arbeit an der Kenntlichmachung
dieser glanzlosen Fassung als eine mit Trademark, Eigenart,
Handschrift, versehen mit eigenem Gütezeichen, Branding, Logo des
Eigenen. Ich betone das, sagte er langsam und ich bemerkte, dass die
Nacht unnatürlich still über der Gutzkowstraße lag, weil mich lebenslang
die Frage umtreibt, ob das Fremde ein eigener Text ist, der
das Ich aufzulösen vermag, indem er es überschreibt.


Marcus Roloff: Mogk´s Bierstubb in Platons Schneekugel.
Illustration: Andreína Vallés. Satz: Fagott, Ffm. hochroth Heidelberg 2019.
40 Seiten, 19x13 cm, Broschur, 8 €. ISBN: 978-3-903182-53-0


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