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Marco Sagurna: Buch der Stunden

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Stefan Heuer

Marco Sagurna: Buch der Stunden. Schönebeck (Moloko Print) 2025. 58 Seiten. 15,00 Euro. ISBN 978-3-911820-05-9

Abschweifungen in Hirn und Herz –
Das "Buch der Stunden" von Marco Sagurna


Wer ein Buch aufschlägt und sieht, dass es in 24 Stunden unterteilt ist, kommt nicht umhin, eine tagebuchartige, wahrscheinlich chronologische Abfolge von Ereignissen im Laufe eines Tages zu erwarten – dies aber ist das "Buch der Stunden" von Marco Sagurna (Jahrgang 1961, in Hannover ansässiger und als Schriftsteller, Kulturförderer, Moderator, Herausgeber und Verleger tätiger Wort-Aktivist, Schwimmer und bekennender Anhänger der Eintracht aus Frankfurt) nicht. Es ist weder Dokumentation eines bestimmten noch eines x-beliebigen Tages, weder Tagebuch noch chronologisches Stundenprotokoll, und Stunde 1 ist nicht die Stunde von Mitternacht bis Ein Uhr morgens. Vielmehr ist es ein an "Das Gewicht der Welt" von Peter Handke erinnerndes Journal mit eben dem, was sich an Gedankengut festzuhalten lohnte. Oder, um den Klappentext zu zitieren: Das "Buch der Stunden" ist ein Protokoll in Handlungsräumen, ein Studium für eine Poesie in Demut.

Das Festhalten von Gedanken, die sich in den genannten Handlungsräumen frei bewegen (dürfen) und wieder und wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen. Eine freie Assoziation wird dabei ebenso vom Autor vorgelebt wie für die Leserschaft angeregt/angeboten. Vom politischen Engagement kommt Sagurna innerhalb weniger Zeilen über eine alte Eintrittskarte des Frankfurter Zoos in seinem Portemonnaie über dessen Gründer (Bernhard Grzimek) zu dessen Einsatz für die Serengeti zum gefährlichsten Tier, das jemals die Erde bevölkert hat, endend mit dem Blick in den Spiegel.

Abschweifungen bestimmen die Stunden und entwickeln eine ebenso räumliche wie zeitliche Dynamik. Vom gelebten Alltag über Reiseimpressionen bis hin zu philosophischen Exkursen – aus scheinbar einfachen Sätzen erwächst so Situatives, dazu angetan, im Kopf eines offenen Geistes nachzuschwingen: Anne liegt fast auf dem Sofa und liest Karin Strucks "Glut und Asche": Zwei Frauen: Sinnlichkeit, Vulkan und Ruhe: Glut und Asche. Die Asche immer warm, nie kalt.
– Anne liegt FAST auf dem Sofa? Fast? Ist sie eher am Sitzen als am Liegen? Ist sie vielleicht kurz vor dem Aufbruch? Wohin? Und warum bleibt die Asche warm? – Antworten auf solche Fragen erwarte oder erhoffe ich nicht, und ich bekomme sie auch nicht: Sagurna überlässt seine Leserschaft in voller Absicht und lächelnd in die eigenen Vermutungen. Es geht um die Liebe und um Verleugnung, um Lösungen und ums Scheitern, um das Ruhen in sich und den Strom der Gedanken, um Wollen und Können, um die eigene Außen- und Innenwelt, Denken und Fühlen, in der deutschen Provinz ebenso wie in der Stadt, in die be-kanntlich alle Wege führen (als Verweis auf und Hommage an "Rom, Blicke" von Rolf Dieter Brinkmann, an dessen Wortkreationen und Stafetten man sich im "Buch der Stunden" nicht selten erinnert fühlt.
Die Seiten (und somit die Stunden) kommen in unterschiedlicher Gestalt daher, mal als konventionell abgetippter Text, teilweise aber auch als Faksimile des Original-Typoskriptes aus der Reiseschreibmaschine Bianca. Cover und Illustrationen im Innenteil des Buches bestehen aus farblichen Varianten einiger mit Text durchsetzter Collagen des Autors.

Fazit: Marco Sagurna schreibt interessante Sätze und erinnert damit an das, was der leider viel zu früh verstorbene Harry Rowohlt 1992 in einem Fragebogen der FAZ auf die Frage nach seiner Lieblingstugend geantwortet hat: Sagen, was man denkt – und vorher was gedacht haben. Bei Sagurna hat das funktioniert.


stefan heuer.


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