Mara-Daria Cojocaru: Buch der Bestimmungen
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Astrid Nischkauer
Mara-Daria Cojocaru: Buch der Bestimmungen. Gedichte. Frankfurt a.M. (Schöffling & Co.) 2021. 112 Seiten. 20,00 Euro.
Frag die Fledermaus. Sie sagt: Schau
Aber sehen Sie. Da (daw). Der DohleLiegt etwas auf der Zunge. Wir sindNicht mehr allein in unseren StädtenSie studieren uns. Sie nicken leicht
Hier haben wir nicht den Beginn eines möglichen Trailers für eine Neuverfilmung von The Birds (Daphne du Maurier/Alfred Hitchcock) vor uns, sondern das Ende des ersten Gedichts aus Mara-Daria Cojocarus Buch der Bestimmungen. In ihren Gedichten geht es um die Beobachtung von Tieren, wobei dieses Beobachten derart einfühlsam vonstattengehen kann, dass es mitunter zu einem Perspektivwechsel kommt und wir quasi mit Dohlenaugen auf uns selbst blicken. Eine ähnlich große Einfühlungsgabe beweist Mara-Daria Cojocaru, wenn in einem anderen Gedicht über den wiederholten Versuch von Zwergfledermäusen berichtet wird, mit uns Menschen in Kommunikation zu treten:
Haben lange schon versuchtMit euch zu sprechen, schreibenAnagramme in die LuftZickzack Singflug Kinderkram
Das Motiv, dass der Flug eines Tieres eine zu entziffernde Schrift sei, kehrt auch in einem anderen Gedicht wieder: „Ich such den Horizont nach Schriftzeichen ab. Die der Greifvogel hinterlassen haben mag.“ Fragen, die sich mir beim Lesen der Gedichte stellen, wären: Ist die Beobachtung des Anderen möglicherweise per se immer auch zugleich eine Selbstbeobachtung? Bzw. führt das genaue Beobachten anderer Lebewesen überhaupt zu einer größeren Achtsamkeit, die dann wiederum zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung führt? Auch in einem weiteren Gedicht gibt es den Kippmoment von Beobachtung zu Selbstbeobachtung, den ich bereits in dem eingangs zitierten Gedicht zu den Dohlen erwähnt habe. Nun führt die Beobachtung von Mäusen zu der Überlegung, wie wir Menschen rückblickend als Forschungsobjekte gesehen werden könnten:
Heute in der neuen S-BahnDer Gedanke, wie relativZu uns das alles bemessen istVom Sitzkissen bis zum AbstandZwischen Menschen. Was werdenDie Wesen, die uns eines TagesAls Frühgeschichte betrachten werdenDarüber denken? Wie groß wir warenOder wie klein
Das Buch der Bestimmungen ist in acht Kapitel unterteilt, die Gedichtzyklen enthalten. Die Zusammengehörigkeit der ein-zelnen Gedichte eines Zyklus ist immer auch formal klar ersichtlich. Es entsteht damit eine Spannung zwischen inhalt-licher Zusammengehörigkeit aller Gedichte des Bandes und formaler Unterschiedlichkeit von Kapitel zu Kapitel. Im letzten Zyklus sind die Gedichte beispielsweise nicht nur durchnummeriert, sondern werden bereits im Titel wissen-schaftlich genau verortet („III. [Breite: 51.5772, Länge: -0.1454 – Breite: 51.5301, Länge: 0.0121; Datum: 8.2.2020]“). Das Gedicht darunter ist dann in jeweils zwei Strophen oder Abschnitte unterteilt. Ein größerer achtzeiliger, linksbündiger Block, dem dann ein kürzerer vierzeiliger, rechtsbündiger Gedichtteil folgt, der immer mit dem Wort „Dann“ beginnt. Das Gedicht Nr. V. vom 29.3.2020, in dem es unter anderem um den Pandemiebeginn geht, endet beispiels-weise mit diesem Nachsatz:
Dann meert sich etwas in mirWie der in die Ferne gerückte AtlantikAn dessen Rand entlangSich der Stechginster windet (seufz)
In ihrem Nachwort
„Schlussbestimmung“ schreibt Mara-Daria Cojocaru, dass sie sich für diesen
Zyklus von einem ihrer Hunde bei dem Rundweg durch „Naturlandschaften“ Londons
leiten hatte lassen, was „im Großen und Ganzen“ zu sechshebigen Versen geführt
habe: „Da Stumpfkorn ein Mischlingshund erster Klasse ist und regelmäßig in den
Büschen verschwand, wird das Versmaß natürlich nicht streng durchgehalten.
Hundemenschen werden verstehen.“ Wir verstehen. Überhaupt sind die eigenen
Hunde treue Begleiter der Dichterin und damit auch sehr präsent in ihrem
Schreiben:
Dass man den SonnenuntergangKaum erwarten kannMit Hundeohren liegt man daWartet auf den SchlafDer Rehe jagt
Die Gedichte von
Mara-Daria Cojocaru können überaus humorvoll sein, wie das Gedicht mit dem
Titel „Verhalten im Notfall: Kontakt mit Problemkuh“, welches mit folgendem
Ratschlag für Menschen in Kuhbegleitung endet:
[…] Sie sind auf dem WegIn die Arbeit, aber Ihr Arbeitgeber erlaubtNur Hunde? Bringen Sie der Kuh Sitz bei. SieWerden schon sehen. Aufzug nicht benutzen
Eine andere Art von
Humor, die man ebenfalls in den Gedichten findet, ist Sprachwitz in Form sehr
schöner, kleiner Verhörer, wie: „Mondblumen“ (Mohnblumen), „Kurz um
Mutternacht“ (Mitternacht), oder auch: „Die Frage vereist auf ein Problem“
(verweist).
Mara-Daria Cojocaru
zeichnet sich durch eine ungewöhnlich genaue Beobachtungsgabe und sehr viel Empathie
aus. Einfühlen kann sie sich in jedes Tier und Mitgefühl hat sie selbst mit
einer im Regen stehen gelassenen Topfpflanze:
Lass die Pflanze stehen im RegenLass ab davon, dich umzudrehenEs ist nur eine Pflanze
Spannend an den Gedichten
ist, dass sie Wissenschaftliches ganz selbstverständlich aufgreifen und in
Alltagssituationen integrieren:
Im Hintergrund vernehmen wirUnseren HundKeplers Vermutung für TennisbälleIn ein Theorem verdrehen
Abschließend kann man
sagen, dass das Buch der Bestimmungen
ein sehr feiner Band ist, der dazu anstiftet, den Laptop zuzuklappen und
stattdessen lieber selbst, am besten in Begleitung eines Hundes, zu eigenen
lyrischen Feldforschungen aufzubrechen.