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Mahvash Sabet: Keine Grenzen

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Gerrit Wustmann

Gefängnisgedichte mit Übersetzungsproblemen
 
Mahvash Sabet schrieb im Gefängnis Gedichte über die Haft


Am 18. September 2017 wurde Mahvash Sabet nach fast zehn Jahren Haft aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran entlassen. Möglich wurde das durch massiven internationalen Druck und Interventionen des PEN. Die Lehrerin gehört der religiösen Minderheit der Bahai an, die in Iran und auch in anderen Ländern verfolgt wird. Offiziell wurde sie wegen „Blasphemie“, „Propaganda“ und „Spionage für Israel“ gemeinsam mit sechs weiteren Bahai zu zwanzig Jahren Haft verurteilt; der eigentliche Grund ist aber ihre Religionsangehörigkeit. Die offiziellen Vorwürfe konnten während des Schauprozesses nicht belegt werden. Auch Sabets damaliger Anwalt Abdolfattah Soltani befindet sich im Evin-Gefängnis in Haft.

Während der Haftzeit begann Sabet, Gedichte zu schreiben, die unter dem Titel „Keine Grenzen. Gedichte aus dem Gefängnis“ inzwischen in der Edition Pen im Wiener Löcker Verlag auch in deutscher Sprache vorliegen.

Nun ist solch eine Publikation ungeachtet der literarischen Qualität ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument. Man denke in dem Zusammenhang auch an die von Marc Falkoff herausgegebene Anthologie „Poems from Guantanamo. The Detainees speak“ (University of Iowa Press 2007). Im vorliegenden Fall ergeben sich aber einige Probleme, die dazu führen, dass der Verlag und der PEN der Autorin keinen Gefallen getan haben. Denn ursprünglich hat Sabet ihre Gedichte auf Persisch verfasst. Diese erschienen zuerst in englischer Übersetzung bei George Ronald, Oxford im Jahr 2013. Wie ein Blick in das Buch verrät, waren zwei Übersetzer daran beteiligt und einer, der schließlich diese Übertragungen durchgesehen und überarbeitet hat. Anstatt nun für die deutsche Ausgabe auf eine eigene Übersetzung des persischen Originals zurückzugreifen, hat Helmuth A. Niederle die Gedichte aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt – der Band „Keine Grenzen“ enthält nur ein einziges neues und von Nahid Bagheri-Goldschmied aus dem persischen Original übersetztes Gedicht. Die übrigen sind eine Übersetzung aus einer Übersetzung, man muss also davon ausgehen: mit dem Original hat das nicht mehr viel zu tun. Ein sehr unglücklich gewähltes Vorgehen, um es mal vorsichtig auszudrücken.   

Es ist so, dass die Gedichte in der vorliegenden Fassung kaum Originalität aufweisen. Sie geben zwar interessante Einblicke in die Haftbedingungen und auch in die Gefühlswelt der Autorin, arbeiten aber oft mit abgegriffenen Bildern, sind formal unambitioniert; überraschende und vielschichtige Metaphern, wie sie sonst so oft in der iranischen Lyrik zu finden sind, sucht man vergeblich. Ein Beispiel:

Der Spatz

Eines Tages bei der Rückkehr vom Gefängnisspaziergang
traf ich auf meinem Weg einen Spatz, der auch Luft schnappte.
Er pickte an einem Stück gefrorenen Brots,
einer alten Krume, die zwischen uns im Schnee lag.
„Du und ich, wir beide sind hungrige Gefangene“, sagte ich.
Daraufhin ließ er vom Brot ab und flog weg,
und ich fragte mich: „Bist du weniger als dieser Sperling?
Warum lässt du nicht auch das Brot fallen wie dieser Vogel?
Warum kannst du dich nicht befreien von diesen Brosamen – und den Wörtern?“

Das Beispiel ist willkürlich gewählt. Die ungenaue, oft holprige Sprache findet sich in nahezu jedem der Gedichte. Nun mag das daran liegen, dass Mahvash Sabet eigentlich keine Dichterin ist, sondern die Not der Haft sie erst dazu gemacht hat. Nur könnte diese Vermutung auch völlig falsch sein. Vielleicht sind die Gedichte im persischen Original filigrane sprachliche Kunstwerke mit Tiefgang. Wir wissen: Die Übertragung aus dem Persischen ins Deutsche ist nicht einfach. Es braucht dafür erfahrene Übersetzer mit großem Gefühl für beide Sprachen, mit Kenntnis lyrischer Traditionen Irans, die auch wissen, wie man die aufgrund der Eigenheiten des Persischen kaum übersetzbaren Sprachspiele adaptiert. Anhand des Aufbaus einiger Gedichte sowie Anspielungen auf Forugh Farrokhsad (die bedeutendste iranische Dichterin des 20. Jahrhunderts) lässt sich zumindest vermuten, dass sich im Original weit mehr Artistik findet als in der vorliegenden Fassung.

Um auf den Punkt zu kommen: Das vorliegende Buch lässt nicht zu, dass man sich mit den Gedichten von Mahvash Sabet ernsthaft auseinandersetzt. Dass die deutsche Übersetzung Schwächen hat, sieht man schon auf den ersten Seiten. Dass sie die Übersetzung einer Übersetzung ist, wird zudem nicht ersichtlich – es wird auch im Vorwort nicht erwähnt, man gewinnt den Eindruck, der englische Text sei das Original.

Mahvash Sabet: Keine Grenzen. Gedichte aus dem Gefängnis. Wien (Löcker Verlag) 2016. 150 Seiten. 19,80 Euro.
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