Magnus William-Olsson: Homullus absconditus
Jan Kuhlbrodt
Zeit und Hypnose
Zu Magnus William Olsson: Homullus absconditus. [Hypno-Homullus]
unter Hypnose aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt von Monika Rinck
Es gibt immer mal wieder Texte, über die zu schreiben mir unglaublich schwer fällt, obwohl oder gerade weil sie mich derart begeistern.
Diese Aufstände in eigener Sprache, ein Spott, der absichtlich des
Feindes Fuß verfehlt, ist wohl das einzige, was diese Stadt vor
ihrem Untergang bewahrte. Was
glaubst du?
In der Reihe roughbooks sind zuletzt einige Übersetzungen erschienen, jede von ihnen spielt mit der Möglichkeiten des Übersetzens, zelebriert einen anderen Ansatz, sich fremd-sprachigen Texten zu nähern und sie einzudeutschen, um einmal ein altes Wort zu benutzen, das den Anklang des Übergriffs in sich trägt.
Jedoch wissen wir, zumindest wenn wir Walter Benjamins Theorie des Übersetzens folgen, dass die Übersetzung das Original unangetastet lässt, und somit auch unbeschädigt.
Dieser Gedanke beruhigt einerseits, setzt aber auch Freiheit in Gang, und die Möglichkeit der Korrespondenz. Im Bewusstsein, dem Original ohnehin nicht im Sinne einer unmittelbaren Wesensschau gerecht werden zu können, stehen damit eine Vielzahl von Verfahren offen, mit den fremden Texten in Kontakt zu kommen.
Vielleicht geht es eben darum, im Prozess mit dem Original auf eigenwillige Art zu verfahren, und eben jene Verfahren ergeben dann ein eigenes Werk. Der Weg ist das Ziel. In diesem Sinne gäbe es gar keine Übersetzungen, sondern nur Dokumentationen des Übersetzens. Schlaglichter, die vorübergehende Zustände festhalten und im günstigsten Fall erhellen.
Solche prinzipiellen Überlegungen stellt man natürlich nicht an, wenn man die Texte zuerst liest, zumindest ich nicht, und schon gar nicht bei dieser Lektüre.
Als roughbook 039 ist also ein Buch erschienen, das Homullus absconditus heißt, und dessen Autor entweder der Schwede Magnus William-Olsson ist, oder Monika Rinck, denn es handelt sich um Texte, die unter Hypnose entstanden und von den Texten (Originalen?) des Schweden inspiriert worden sind.
Im ersten Teil Gedichte, die leichtfüßig über ein paar Tausend Jahre Dichtungsgeschichte, die auch Realgeschichte ist, hinwegspringen; richtungslos könnte man meinen, will heißen, hin und her. Pendeln wie das Pendel einer Uhr, das der Zeit eben die Gerichtetheit nimmt, ihr Gehen anzeigt, aber nicht ihr Vergehen. Es ist schwer zu beschreiben, was da passiert – schon gar nicht in eine Sprache eingeführter Rationalität zu übersetzen, deren Grundlage doch die Vorstellung von Zeit als Absolutes ist. Und ihrer Endlichkeit, der letztlich auch die Vorstellung von Geschichte entspringt. Der Gang der Zeit von Genesis bis Apokalypse. Aber, und das wird in diesem Band eindringlich, dieser Gang ist eine Gehen im Wortsinn. Er bedarf seiner Körper.
Der Band setzt sich aus sechs Zyklen zusammen, und gleich im ersten wird Metaphysisches mit Leiblichkeit enggeführt. Das Vergehen im Kontext der Überzeitlichkeit. Das Ich gräbt sich aus dem Moment in seine Tätigkeit. Liebe und physische Liebe. Verständnis also und Lüge:
Warum sollte ich nicht an die Liebe glauben?
Ich glaube an Liebe aus Gier nach der Sprache
Und als Paten der Gedankenverse werden Hieronymus angeführt und Augustinus, dem der Leib ein Sack war, dem wir anhangen. Und eingangs bereits der spanische Dichter Lorca, ein Ritt auch hier durch die Sprachen. Englisch, Spanisch, Schwedisch und Deutsch als gemischte Sekrete. Angesichts dieser Mischung die Frage nach Wahrheit und Lüge im zweiten Zyklus. Begriffe, die sich an die Sinnhaftigkeit der Sprache klammern.
Mit dem schweigendem Nichts meiner Liebe, unleserlich
und wahr wie das Weiß im weißesten Weiß des Weißen.
Der dritte Zyklus besteht aus einem Zweizeiler; der jeder Gewissheit den Boden entzieht.
Dann wird im vierten der Mythos einer künftigen Befreiung aufgenommen und dekonstruiert, aber keinesfalls so, dass er in seiner Dekonstruktion verschwände. Körper und Sozialismus finden ihre Einheit darin, dass sie jenseits der Zeit als Selbstversprechen Bestand haben.
Aber
verläßt nicht ein jeder die Fährte seiner Existenz? Wie herleiten,
was weder wahr ist noch falsch, haariger Schwan? (…)
(V, 2)
Der fünfte Zyklus des Bandes heißt dann auch Doxa-Antidoxa. In diesen habe ich mich geradezu verbissen. Er besteht aus fünf Teilen, die man als Meditation lesen kann. Eine Meditation über Liebe und Göttlichkeit, Sinn, Sinnlichkeit und Widersinn.
in die Hocke zu gehen hinter den Steinvorsprung und den
Bäumen, die Schultern mit einem Handtuch zu bedecken
und hineinzukriechen, um erneut auf den Schimmer zu warten,
unseren Vorfahren zugewandt
Am Schluss des Bandes dann ein Essay von Monika Rinck (der Übersetzerin?) der mit Stimmenverleih übertitelt ist und der das Verfahren beschreibt, mit dem der Band zustande kam. Vielleicht kann man das, was da passiert ist, als Erlangen einer zweiten Souveränität bezeichnen, die zustande kommt, wenn man sich in doppelter Weise ausliefert. Einerseits einem Text, dessen Sprache man nicht versteht, und andererseits einem Hypnotiseur. Abenteuerlich ist es in jedem Fall, und das Abendteuer wird für mich als Leser zum Erlebnis. Großartig!
Magnus William-Olsson: Homullus absconditus, [Hypno-Homullus], unter Hypnose aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von Monika Rinck. Tübingen, Berlin, Hombroich, Schupfart (roughbook 039) 2016. 76 Seiten. 10,00 Euro.