Lutz Steinbrück: Am Strand die Reste Percy Shelleys - zwei Texte
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Louis Edouard Fournier: Das Begräbnis von Shelley, 1889, Öl auf Leinwand
Lutz Steinbrück
Percy Bysshe Shelley kam
kaum 30-jährig 1822 bei einem Bootsunglück vor Italien ums Leben. Als seine
Frau und die Freunde, darunter Lord Byron, seinen angespülten Leichnam am Strand verbrennen wollten,
brannte alles – außer sein Herz. Mary Wollstonecraft Shelley (seine Ehefrau und Verfasserin von "Frankenstein") entriss es den Flammen und bewahrte es
(in ein Tuch eingewickelt) in einer Kommode auf – wo man es nach ihrem Tod 1851 fand.
Am Strand die Reste
Percy Shelleys unbrennbares Herz den Flammen entrissen
blieb frisch eingelegt von Witwenhand sein Flaschengeist bewahrt der sie zurück
ins Leben rief sich selbst erweckt aus schwarzem Schlummer oh weh Ligurische
See in Wallung der zuckende Riesenkalmar wuchs aus deinem Bauch brachte ihn in
Rage rangierte Wellenarme schlugen hoch die Wassermassen brachen über Shelleys
Kopf krachen zwei Blitze als Adern des Todes am Horizont der schwindet es wirft
ihn aus dem Boot in die Strömung erwacht vom Traum des Lebens er gleitet stumm
hinab ins ruhigere Meer das ihn aufnimmt den verirrten Obdachlosen auswirft an
der Küste Viareggios fanden sie ihn wieder am Ufer einzuäschern und sahen sein
untrennbares Herz den Flammen entrissen ich lausche am Strand dem Knistern des
Feuers bin Fels meine Füße umspült die steinerne Haut fühlt sich dem
Scheiterhaufen nahe dem finalen Knacken der verrauchten Dichterseele ich wäre
beinahe mit ihr aufgestiegen als ob
Alles war alles und nichts war nichts wir sind eins zwei neun Milliarden
vom gleichen Stamm unsere Körper bilden Äste die Köpfe fest in Abschiedskragen
implantierte Abstiegssorgen freeze in jedem Auge ein anderer Ausschnitt
gespiegelt in Beziehungsweisen auf- und abgehoben meine Weltsicht ein
Mythos der mich stärkt zwischen zwei Wimpernschlägen wachsen wir in
Jahresringen und liegen verwandt in hölzernen Armen taubgeschnitzt für
universelles Narrativ
Beide Texte in Lutz Steinbrück: Haltlose
Zustände. Berlin (Klak Verlag) 2020. 132 Seiten. 15,00 Euro.