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Lukas Resetarits: Kabarett und Kottan

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Stefan Heuer

Lukas Resetarits: Kabarett und Kottan. Erinnerungen von Lukas Resetarits, aufgezeichnet von Fritz Schindlecker. Mit einem Vorwort von Josef Hader. Wien (Carl Ueberreuter Verlag) 2023. 176 Seiten. Hardcover mit Schutzumschlag. ISBN 978-3-8000-7850-9. 25,00 Euro.

Kabarett & Kottan, un second Pierre Richard –
zweiter Teil der Memoiren von Lukas Resetarits


1989 war nicht nur hinsichtlich der deutschen und europäischen Geschichte ein durchaus bedeutsames Jahr – auch für mich brachte es Änderungen mit sich. Die Schulzeit war vorbei, die Ausbildung begann. Kein allzu aufregender Job, aber das damit verbundene Geld ermöglichte es mir, sorglos meinen damaligen Interessen nachzugehen: trinken und spielen. Und so trieb ich mich allabendlich im Burgdorfer Kneipen-Bermuda herum, bestehend aus dem Mond (Pool-Tisch und Celler Urtrüb), der Brandente (Flipperautomat und Baguette) und dem Riff (Krökeltisch). Die Abende feucht und fröhlich, aber irgendwann fanden auch sie ihr Ende und zwangen mich auf den Heimweg. An einem dieser Abende fand ich bei Rückkehr meine Mutter vor dem Fernseher vor. Sie war nach einem arbeitsreichen Tag lange aufgeblieben und schaute einen österreichischen Krimi. Nach kurzem Hallo setzte ich mich daneben, und nach 5 Minuten war es um mich geschehen.

Warum ich dieser Serie, die ich bis dahin noch nie gesehen hatte und die nach Auskunft meiner Mutter "Kottan ermittelt" hieß, augenblicklich verfiel, ist leicht zu erklären, denn sie hatte alles, was ich mochte und heute noch mag: anschauliches Setting, politischen Background mit entsprechenden Anspielungen, knackigen Humor, zwischen unspektakulär und surreal changie-rende Fälle. In den mageren 19 Folgen, die seit 1976 im ORF und ab 1980 auch im ZDF gezeigt wurden, gab es nicht weniger als drei Schauspieler, die die titelgebende Hauptrolle, den Wiener Polizeimajor Adolf Kottan, verkörperten: Peter Vogel (Folgen 1 und 2), Franz Buchrieser (Folgen 3 bis 5) und Lukas Resetarits, der die Folgen 6 bis 19 bestritt und den meisten Zuschauern als wahrer Kottan gilt. Er spielte den Kottan ebenso schlitzohrig wie aufbrausend, ebenso charmant wie großmäulig. Aber auch alle anderen Figuren agierten auf höchstem Niveau – Kottans Ehefrau Ilse etwa (dargestellt von der wunderbaren, leider im Juli 2023 verstorbenen Bibiana Zeller), seine Kollegen Schrammel (Curth Anatol Tichy) und Schremser (Walter Davy), der in einen täglichen Kampf mit dem launischen Kaffeeautomaten verstrickte Dezernatsleiter Heribert Pilch (Kurt Weinzierl) ebenso wie die Sekretärin mit ihrem kochend heißen Kaffee oder die tratschende Nachbarin im Hausflur. Dazu Running Gags, die regelmäßig Zuschauende belohnten und in Komplizenschaft nahmen: der im Raum stehende Neuerwerb eines fahrbaren Untersatzes, der immer wiederkehrende Erzfeind, eine via Bildschirm mit ihrem Publikum interagierende Fernsehansagerin, mit wechselnden Ehemännern bestückte Fotorahmen im heimischen Wohn-zimmer …
          Ich hätte Tag für Tag damit verbringen können, die Folgen immer und immer wieder zu schauen, aber wie es dann so ist: Im Laufe der Jahre fand auch bei mir eine Interessen-verschiebung statt (Hochzeit, Kind, Garten, Kunst) und ich verlor die Serie aus den Augen, jedoch nie aus dem Sinn. Als ich dann 2009 auf dem Flohmarkt auf die Box mit der kompletten Serie stieß, nahm ich sie für kleines Geld mit und lebe seitdem die schöne Tradition, mir zwischen Weihnachten und Neujahr zwei Tage terminfrei zu halten, um in aller Ruhe alle 19 Folgen in chronologischer Reihenfolge zu schauen.

Lange (Vor)Rede, kurzer Sinn? Mitnichten! Kommt der Heuer jetzt endlich mal auf den Punkt? Natürlich, denn eben dieser dritte Kottan, Lukas Resetarits, hat im Wiener Carl Ueberreuter Verlag mit "Kabarett und Kottan" gerade den zweiten Teil seiner Memoiren auf den Markt gebracht.
         Der erste Teil, das 2022 erschienene "Krowod", befasste sich mit der Jugend; "Kabarett und Kottan" setzt nun mit der Rekapitulation jenes Abends im Jahre 1977 ein, an dem Resetarits erstmalig als Solo-Kabarettist auf der Bühne stand – gute drei Jahre, nachdem er in der exotischen Kombination als Straßenbahn-Wildtierexperte als Intermezzo eines Konzertes der Band "Schmetterlinge" (Bruder Willi und Konsorten) aufge-treten war.

Was folgt, ist ein exzellent-kurzweiliger, anekdotenreicher, immer wieder von in alle möglichen Richtungen mäandernden Exkursen unterbrochener Streifzug durch die damalige österreichische Kulturlandschaft, Musik- und Kleinkunstszene: ein Rückgriff auf seine Zeit als Ensemblemitglied der Kabarettgruppe "Keif"; eine Kabarettsendung im ORF und ein Songtext, mit dem die "Schmetterlinge" Österreich beim Grand Prix Eurovision de la Chanson 1977 in London vertraten; politische Aktionen wie die mit Forderungen verbundene Besetzung des damaligen Arena-Geländes, um für die Erhaltung als Veranstaltungsort der Jugendkultur zu demonstrieren; Stories rund um den Lauda-Unfall, Austropop und Hundegebell geschuldetem Zoff hinter der Bühne. Es geht um Kolleginnen und Kollegen, Projekte … viel Arbeit und wenig Perspektive. Zeitkritisches Kabarett will Lukas Resetarits machen, gleichzeitig aber muss regelmäßiges Geld in die Kasse des damals zweifachen Familienvaters kommen. Sein erstes Solo-Programm Rechts Mitte Links im Wiener Konzerthauskeller, das sehr gute Kritiken erhält …
        Zukünftig schreibt er zwei Programme pro Jahr, die Sache läuft ganz gut an: ausverkaufte Gastspiele in Wien, seltener jedoch Auftritte in den Bundesländern. Ausflüge in die Provinz enden eher enttäuschend, mit steigender Bekanntheit kommt es immer wieder zu befremdlichen Anfragen, was in dem Künstler eine Erkenntnis reifen lässt: Ich brauchte einen Agenten oder Manager. Wofür? Vorerst einmal zum Neinsagen. In Wolfgang Preissl, dem Regieassistenten des Jugendmagazins "Ohne Maulkorb", wird er fündig – Preissl wird sein Manager und ist es bis heute. Und auch weitere jener Kollaborateure, mit denen Resetarits teilweise über Jahrzehnte zusammenarbeiten wird, schälen sich nun heraus, so Robert Kastler, der ihn von 1979 bis 2017 bei all seinen Programmen am Klavier begleitet. Etwas später, 1983, Resetarits schreibt gerade an seinem 7. Solo-Programm Vorläufig ohne Titel, stößt schließlich auf Anraten von Bruder Willi auch jener Mann zum Team, der in "Kabarett und Kottan" die zweite Stimme bildet: Fritz Schindlecker, Texter, Sänger, Gelegenheitsgitarrist der frisch aufgelösten Polit-Rockband "Auflauf".
           Natürlich beinhaltet das Buch auch eine üppige Portion Kottan. Lukas Resetarits hatte sich als Haupt- und Nebendarsteller sowie als Drehbuchautor bereits durchaus mit dem Medium Fernsehen beschäftigt, nicht aber mit der Rolle des Polizeimajors, denn die war ja vergeben. Bei Proben für eine Revue im Frühjahr 1980 tauchen dann überraschend die beiden Kottan-Impresarios Helmut Zenker (Idee und Drehbücher) und Peter Patzak (Regie) auf und erklären, dass sich der aktuelle Kottan-Darsteller zukünftig wieder verstärkt seiner Profession als Schriftsteller widmen wolle … der Rest ist, wie man so schön sagt, die bereits oben geschilderte Geschichte, die quasi nebenbei mit Kottan's Kapelle auch noch einen musikalischen Act ins Leben rief, der in schummerigen Kellerlokalen oder auf Polizeifesten auftrat und im Nachgang sogar Chartplatzierungen aufweisen konnte.
      Trotz folgender Film- und Fernsehmitwirkungen ist Lukas Resetarits bis heute das geblieben, was er vorher schon war und immer sein wollte, Kabarettist mit Haut und Haar, der es stets vermied, sich unseriös ködern bzw. vereinnahmen zu lassen, der seinem Motto: Keine Werbung, keine Politik stets treu geblieben ist.

Wie es sich für das Buch eines politischen Kabarettisten gehört, spart "Kabarett und Kottan" selbstverständlich auch die Tiefen der Politik nicht aus: Die 1975 die Alpen-Republik erschütternde Kreisky-Affäre und nationalsozialistisch gestützte Karrieren wie die von Kurt Waldheim finden ebenso Erwähnung wie der 2008 verunfallte Rechtspopulist Jörg Haider. Aber auch zahllose andere Themen und Ereignisse finden Erwähnung, so seine Zeit als Rechtsaußen beim FC Bisamberg samt Autogrammwünschen der Gegenspieler – zunächst in der "Kampfmannschaft", mit fortschreitendem Alter in der Reserve. Erkrankungen, Geburten und Todesfälle gehören (wie in jeder Familie) ebenso dazu wie späte Highlights, beispielsweise die Gala zu seinem 65. Geburtstag vor 8.000 Gästen in der Wiener Stadthalle oder der Erwerb der privaten Hubschrauber-Fluglizenz. Und ein Ende, nun ja, es geht ja weiter. Wie immer arbeitet Lukas Resetarits an einem neuen Solo-Programm, dazu wird er im kommenden Film von Helge Schneider dabei sein … man darf gespannt sein!

Was das Buch zu einem wahren Lesevergnügen macht, ist der Umstand, dass sich Resetarits und Co-Autor Fritz Schindlecker eines angenehmen Plaudertons befleißigen, was nicht nur mit ihrer langjährigen Vertrautheit, sondern auch mit der hier praktizierten Arbeitsweise zusammenhängen dürfte. Während viele Prominente ihre Autobiografie von jemand anderem schreiben und später unter eigenem Namen herausbringen lassen, ist das hier selbstredend anders. Resetarits lieferte die Fakten und Geschichten, Schindlecker hat sie, Zitat: in den zeitgeschichtlichen Rahmen gesetzt und in literarische Form gebracht. So ergibt sich das Gefühl eines zwanglosen Gesprächs; so, als säße man daneben, wie Lukas Resetarits in einem Café von früher erzählt und Schindlecker immer mal wieder einhakt, um weitere Details herauszukitzeln.

Was sich nach der Lektüre von „Kabarett und Kottan“ bei mir einstellt, ist der Wunsch, Lukas Resetarits irgendwann einmal live auf einer Bühne zu sehen – vielleicht lässt sich das ja in 2024 bewerkstelligen. Zunächst aber ist heute der 7. Dezember, also noch gute zweieinhalb Wochen bis Weihnachten. Natürlich löst das auch bei mir Assoziation wie Glühwein, Geschenke und Lametta aus … – in erster Linie aber sehe ich mich mit einem White Russian, aufgewärmter Ente und Rotkohl auf dem Sofa liegen, die Fernbedienung im Anschlag, the same procedure as every year …


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