Direkt zum Seiteninhalt

Lord Byron: Don Juan - Canto 1, 201 - 222 / Nachwort

Werkstatt/Reihen > Werkstatt

George Gordon Lord Byron
Don Juan, Canto I, 201-222
Parodiert von Günter Plessow


201

Und kommt die Zeit, dann nenn ich alles beim
    korrekten Namen, halt die Regeln ein
des Aristoteles, sie sind der Keim,
    der Dichter treibt (und Toren). Allgemein
liebt man den blanken Vers; ich mag den Reim––
    mein Handwerkszeug, doch weshalb sich entzwein?
Ich mag Maschinen und Mythologie,
Übernatürliches als Szenerie.

202

Es gibt nur einen kleinen Unterschied
    zwischen den alten Epikern und mir––
zu meinen Gunsten, wenn man es recht sieht
    (ich hätt noch mehr Meriten, aber hier
gehts einfach um ein anderes Gebiet).
    Sie schmücken aus, sie fabulieren schier
zu labyrinthisch, spinnen Fäden, klar––
ich spinne keineswegs, ich spreche wahr.

203

Wenn jemand Zweifel hegt, ich halte mich
    an Tradition, Historie, an Fakten,
an Zeitungen, so treu wie glaubwürdig,
    an Dramen und an Opern in drei Akten³⁹.
Sie alle unterstützen das, was ich
    hier festgestellt, und tragen zum exakten
Vertrauen bei, denn ganz Sevilla sah
Don Juan mit dem Teufel da hautnah.

204

Und sollt ich mich zur Prosa je verstehn,
    verfasse ich moderne Regeln, die
veraltete abschaffen. Man wird sehn,
    mein Text wird reicher, Dinge bieten, nie
zuvor gekannte, die die höchsten Höh’n
    erklimmen und belehren. Titel wie:
‘Longinus trunken––jeder Dichter sei
sein Aristoteles’ stehn mir ja frei.

205

Du sollst auf Milton, Dryden, Pope vertrauen;
    von Wordsworth, Coleridge, Southey halt dich fern;
der erste spinnt, der zweite glaubt zu schauen
    im Rausch, der dritte rabuliert zu gern;
auch Crabbe ist schwierig, Campbell nippt aus lauen
    antiken Quellen. Nein, du sollst im Kern
selbst Samuel Rogers lieber nicht bestehlen
und statt der Muse Moores die eigne wählen.

206

Du sollst nicht süchtig sein nach Southeys Kunst,
    den Pegasus nicht reiten dieses Herrn!
Du sollst nicht einfach so auf blauen Dunst
    falsch Zeugnis reden (mancher tut das gern)!
Kurzum: Du sollst nicht künsteln! sonst verhunzt
   du das, was ich erwählt hab, insofern
es kritisiert; du sollst den Kitsch nicht küssen,
sonst werde ichs dich büßen lassen müssen.

207

Falls jemand unterstellt, was ich erzähle,
    entbehre der Moral, sag ich zum ersten:
‘nur wen es traf, schreit auf ’, und dann empfehle
    ich, es nochmal zu lesen, grad die schwersten
Partien; und wer dann aus voller Kehle
   noch sagt, Moral fehlt, soll vor Scham zerbersten.
In Canto Zwölf, da zeige ich den Ort,
an dem Gottlose enden, auf mein Wort.

208

Und wer nach alledem noch immer blind
    ist und, weil ihm sein Kopf im Wege steht,
behauptet, daß er ‘die Moral nicht findt’
    und meinem Vers mißtraut, ja, so weit geht,
was selber er gesehn schlicht in den Wind
    zu schlagen, dem fehlt die Autorität
als Kleriker, als Kapitän––er lügt,
auch wenn er bloß dem Irrtum unterliegt.

209

Daß man mich publiziert und approbiert,
    erwarte ich, schon weil ich die Moral
mit dem verbinde, was mich amüsiert
    (ein Kind, das Zähne kriegt, bekommt erst mal
den Beißring), und so werd ich laure-iert,
    mein Epos wird ethisches Ideal.
Nur Prüderie, die scheu ich wie die Pest:
Großmutters British Review und den Rest⁴⁰.

210

An den Verleger⁴¹ habe ich geschrieben,
    die Antwort war: er schickt die Post zurück
und ist das Honorar schuldig geblieben;
    ja, wenn er so mit meiner Kunst verfährt,
nicht sein Versprechen hält und nach Belieben
    die Annahme verweigert und vermehrt
auf seine Seiten schmiert, was ihm gefällt,
dann sage ich––was solls? er hat das Geld.

211

Mit Hilfe dieser heiligen Allianz
    wär ich die andern los, die Magazine
für Kunst und Wissenschaft und Mummenschanz,
    der täglich oder per Quartal erschiene.
Hab nie versucht, zu groß die Diskrepanz,
    die Klientel zu mehren durch Routine,
zumal es heißt, die Edinburgh Review
und Quarterly, die richten einen zu.

212

Wie sagt Horaz? ‘So jung bin ich nicht mehr.’
    Das sag ich auch, und deute damit an,
daß ich, sechs, sieben Jahre ist es her
    (das heißt, bevor Italien begann
mich festzuhalten) doch noch einmal sehr
    erbost war und zurückschlug, drauf und dran,
als wenn ich noch der junge Hitzkopf wär
und George der Dritte König––lange her.

213

Doch nun mit dreißig Jahren ist mein Haar
    schon grau (ich frag, wie wirds mit vierzig sein?
Wann brauch ich die Perücke?), mir ist klar,
    mein Herz ist nicht viel grüner; Sommer? nein,
vertan, verschwendet, als es Mai noch war,
    mein Geist, er grollt nicht mehr, ich habe mein
Leben vergeudet, Zins und Kapital,
das Unbesiegbarsein, das war einmal.

214

Nie mehr––nie mehr––oh nie mehr wird sie mich
    wie Tau befallen, diese Morgenfrische,
die aus geliebten Dingen morgendlich
    das Schöne zieht und das Erfinderische:
und tief in unserm Herzen häuft es sich
    wie Honig an––doch daß ichs nicht vermische!
sie hing nicht an den Dingen––hing an dir,
denn du verdoppeltest die Süße mir.

215

Nie mehr––nie mehr––oh niemals mehr bist du,
    mein Herz, für mich die ganze Welt, das All!
Bist etwas Abgetrenntes jetzt und setzt mir zu,
    nicht Fluch, nicht Segen, denn auf jeden Fall
ist Illusion passé, unmerklich fast bist du
    fühllos geworden, kälter als Metall––
statt deiner hab ich etwas Urteilskraft
erworben; wie hab ich das nur geschafft ?

216

Zauber der Liebe kann mich nun nicht mehr
    zum Narren machen wie in alten Tagen,
nicht junge Frauen und noch weniger
    die Witwen. Werde ihnen nicht mehr sagen,
daß eins im andern aufgeht (ungefähr)
    und zu viel Rotwein meiden und es wagen,
als alter Mann die Laster los zu sein;
sogar die Habsucht (will es nicht beschrein).

217

Ehrgeiz war mein Idol, doch Stück um Stück
    zerbrach es, eh der Schrein von Lust und Leid
zerbrach; manch Angebinde blieb zurück,
    das ich bedenke in Gelassenheit.
Wie Bruder Bacon⁴² sprech ich nicht von Glück:
    ‘Zeit ist, Zeit war, Zeit wird Vergangenheit.’
Längst hinter mir die jugendlichen Keime,
im Herzen Leidenschaft, im Kopf die Reime.

218

Was ist der Ruhm? Eine Portion Papier
    am Ende, so gewiß wie ungewiß.
Man möchte hoch hinaus und weiß doch, hier
    verliert man sich in Dunst und Dämmernis.
Man schreibt, man spricht, man predigt, ja, und wir,
    die Barden, lassen Fackeln lodern, bis,
wenn alles längst zu Staub zerstoben ist,
ein Name bleibt, ein Bild zu loben ist.

219

Was hofft der Mensch? Cheops errichtete
    die erste Pyramide und die größte
des Namens wegen aufgeschichtete,
    auf daß darin die Mumie weiter weste;
da brach der Schacher ein und wichtete,
    indem er selbst den Sargesdeckel löste,
das alles um. Wozu noch Monumente ?
kein Stäubchen bleibt, auf das man setzen könnte.

220

Als Freund der Weisheitsliebe sag ich frei:
    ‘Geborne sind geboren um zu sterben.
Das Fleisch ist Gras, der Tod mäht es zu Heu.
    Was willst du mehr? was hoffst du denn zu erben?
Unangenehm strich sie ja nicht vorbei,
    die Jugend; willst du zweimal dran verderben?
Dank der Gestirne geht es dir nicht übel:
acht auf die Börse, Sir, und lies die Bibel!’

221

Doch nun, geneigter Leser und du noch
    geneigterer Buchkäufer, schüttle ich,
der Barde, euch die Hände, bin ich doch
    euer ergebener Diener. Trifft man sich
mal wieder, schätzen wir einander hoch;
    wenn nicht, nun, dann verbietet sichs für mich,
so ein Exempel zu perpetuieren;
will eure Langmut doch nicht strapazieren.

222

‘Geh, Büchlein, laß den Einsamen allein!
    Ich schütte dich ins Wasser, will es wagen.
Und taugt dein Blut (und so sollte es sein),
    entdeckt die Welt dich noch nach vielen Tagen.’⁴³
Und leuchtet es Southey und Wordsworth ein,
    schließ ich mich an; vergesse nicht zu sagen,
daß ich vier Zeilen lang Southey zitiere,
nicht selber dichte und mich ruiniere.
 
* * *


³⁹ Eine Anspielung auf Mozarts Don Giovanni? Ja und nein, die Oper hat nur 2 Akte. Die erste dramatische Behandlung der Begebenheit stammt von Tirso de Molina (1579– 1648) und hieß El burlador de Sevilla o convidado de piedra. Molière und später Lorenzo da Ponte, Mozarts Librettist, bezogen sich auf diese Quelle.
⁴⁰ Grandmothers British Review, sowie die in Strophe 211 erwähnten Edinburgh Review und Quarterly, ausgemacht konservative Magazine, gegen deren Kritiken Byron (wie Shelley) immer wieder Front machten.
⁴¹ William Roberts, Herausgeber der British Review, mit dem sich Byron über die Moral seines Gedichts ausführlich stritt.
⁴² Robert Greene (1558–1592), Friar Bacon and Friar Bungay xi, 59 ff.
⁴³ Vier sentimentale Zeilen aus Southeys Epilogue to the Lady of the Laureate.

So also, mit einem letzten Seiten­hieb
auf Robert Southey und seine ‘Poesie’

endet der erste Canto, so also klingt es, wenn Byron den haarsträuben­den Stoff, den Mozart so unüberhörbar auf die Opernbühne gestellt hatte, adaptiert und gegen den Strich bürstet.
*
Er brauche einen Helden, hat er eingangs behauptet. Wie das? Er, der 1812 mit Childe Harold’s Pilgrimage nicht nur einen großen Coup, der ihn schlagartig bekannt machte, gelandet, sondern auch den roman­tischen Helden schlechthin geschaffen hatte, der in Europa die Runde machte, Childe Harold und Lord Byron in einer Person? Das war ja nur wenige Jahre her, Jahre allerdings, in denen sich seine Lebensumstän­de gravierend änderten: zum einen die politischen Auftritte im Ober­haus, in denen Byron sich auf die Tories einschoß (hielt doch nach dem Scheitern Napoleons in England eine Restauration ihren Einzug, ge­gen die er revoltieren mußte), zum andern das untragbare Verhältnis zu seiner Halbschwester Lady Augusta Leigh, aus dem er sich geflüchtet hatte in eine Ehe mit Lady Annabella Milbanke, die nicht einmal ein Jahr hielt, so daß er sich genötigt sah, England den Rücken zu kehren, um nie mehr heimzukommen.
    Seine Gedichte von 1816 zeigen bereits, daß dies mehr als ein Orts­wechsel war, daß aus dem, sagen wir, naiv-selbstgewissen zunächst ein sehr nachdenklicher Byron wurde, der sich bald zu einem angriffslusti­gen, aber auch selbstironischen Satiriker entwickelte.
*
Byrons Angriffslust richtete sich vordergründig gegen Robert Southey, eigentlich aber gegen das reaktionäre England, das jener als Poet Laureate repräsentierte. 1820 wird Byron eine Eloge auf den verstorbenen Kö­nig George III. aus der Feder Robert Southeys unter dem gleichen Titel satirisch-poetisch parodieren –– The Vision of Judgement –– und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen.
    Canto I seines Don Juan läßt sich zum Teil als Vorübung auf diese Generalabrechnung lesen. Nicht nur Byrons Prosavorrede (die wir aus­geklammert haben) und seine Dedication befassen sich ausschließlich mit dieser Fehde, nein, auch im Zuge der mit spitzer Zunge erzählten Geschichte seines ‘Helden’ kann er nicht umhin, immer mal wieder einen Seitenhieb auf die Lakers einfließen zu lassen.
*
Don Juan nun, der ‘Held’, den er behauptet, sich ausborgen zu müssen, ist wiederum ein alter ego, wenn auch nicht dasselbe, das Childe Harold dargestellt hatte. Juan, den er als seinen Freund einführt und in zartem Alter in ein Abenteuer verwickelt, das die Don-Giovanni-Geschichte auf den Kopf stellt, ist jemand, dem er einige seiner eigenen Jugender­innerungen andichten kann, genau so, wie er in der Gestalt von Juans Mutter Inez offenbar eigene Eheerfahrungen mit Lady Byron verar­beitet.
    In 222 Strophen –– nicht minder weitschweifig als der deshalb geschol­tene Wordsworth, aber sicher um einiges amüsanter –– breitet Byron diese Geschichte aus, gerät, ausgehend von der Weltpolitik, in familiäre Histörchen des spanischen Adels, nicht ohne dabei die Moral der alten Römer zu zensieren und die weibliche einer männlichen Psyche entge­genzustellen, um damit nolens volens romantisch-ironisch bei der ersten Liebe Juans zu landen, die für Julia zur letzten wird.
    Mit Strophe 198 hat er dieses Ziel erreicht. Der Rest ist Poetologie und Politik: wie weiter? was sagt das Publikum? zahlt der Verleger? was taugen die Regeln des Aristoteles? welcher Katechismus soll an ihre Stelle treten?
    Bemerkenswert, wie kurzweilig das dargeboten wird, ohne je die rhyth­mischen Regeln und das Reimschema der achtzeiligen Stanze zu verlet­zen. Bemerkenswert, wie es gerade diese gelegent-lich augenzwinkern­de Regeleinhaltung ist, die die Komik des Ganzen generiert. Denken wir an den Vers, mit dem Don Juan eingeführt wird: im Couplet von Strophe 5 reimt Byron in aller Unschuld Don Júan auf a néw one. Was wunder, daß der Paraphraseur sich ausgerechnet daran ein Beispiel nimmt (und insgeheim an Heinrich Heine denkt)?

Günter Plessow, 2017


Aus George Gordon Lord Byron: Don Juan, Canto 1. Ins  Deutsche übertragen und parodiert von Günter Plessow. Deutsch. Dozwil  (Edition Signathur) 2017. 101 Seiten. 15,00 Euro.
Zur Übersicht »
Zurück zum Seiteninhalt