Linda Vilhjálmsdóttir: Zwei Gedichte
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LINDA
VILHJÁLMSDÓTTIR
2 Gedichte
(aus: Ljóðbréf Nr. 4 / Poesiebrief Nr. 4, hrsg. v. Dagur Hjartarson und Ragnar Helgi Ólafsson, Tunglið forlag, Reykjavík 2021)
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
I
ein kälteschauer
ist das eine
ein angstschauer
etwas ganz anderes
den spürt man nicht
wenn es hell ist
aber er macht sich bemerkbar
wenn es dunkel wird und wächst
wie der mond
von einem halbmond zum vollen
schwindet nie ganz
obwohl er verschwindet
schwindet ebenso
nicht wie die dünung
die rinnt
zwischen ebbe und flut
II
wenn die nadeln
nicht mehr stechen
und die taubheit
dich umschließt
wie eine gewalktes
kleidungsstück aus wolle
ist es
an der zeit
das schattenmädchen
und die finstere frau
zu trennen
Linda Vilhjálmsdóttir, geb.1958 in Reykjavík / Island,
arbeitete für viele Jahre als Krankenpflegerin. Nach verschiedenen
Veröffentlichungen in Zeitungen und Literatur-zeitschriften erfolgte 1990 mit Bláþráður / Dünner Faden die Publikation
ihres ersten Gedichtbands. Seither erschienen auch diverse deutschsprachige
Veröffentlichungen ihrer Lyrik, vor allem in der Literaturzeitschrift die horen, sowie 2011 die Übersetzung
ihrer Gedichtbände Öll fallegu orðin /
Alle schönen Worte und Frostfiðrildin
/ Frostschmetterlinge im Verlag
Kleinheinrich. Im ELIF VERLAG erschienen von der mit mit vielen Preisen und Ehrungen ausgezeichneten
Autorin 2018 der Gedichtzyklus frelsi /
freiheit und im Frühjahr 2021 der Lyrikband smáa letrið / das kleingedruckte.