Leo Pinke: Schräg am Federbug
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Stephan
Turowski
Leo
Pinke: Schräg am Federbug. Berlin (Matthes & Seitz) 2021. 140 Seiten. 18,00
Euro.
Streik
der Postboten im Bett
Zu
Leo Pinkes Gedichtband Schräg am Federbug
Diese
Gedichte gehen auf zuerst einmal Distanz. Sie erweisen sich als „prüfende
Zähne“, wie es in einem Gedicht aus dem dritten Teil des Bandes heißt, sie sperren
sich gegen das direkte Dahinsagen und Benennen, durchbrechen die üblichen
Sprech- und Schreibweisen über Gefühle, Situationen und Lektüren. Wer diese
Gedichte liest, betritt die Zone eines kühlen Idioms, das die gewählten
Szenarien aus großer Entfernung fokussiert und analysiert, das dabei auch die
ganz gewöhnlichen Dinge – das Zimmer, eine Landschaft, die Liebe – in den so
glühenden wie abweisenden Blick nimmt. Die Verfremdung wird offengelegt, hiervon
zeugt schon der Titel dieses Debütbandes, der Lesende weiß von Beginn an, dass
die gewöhnliche poetische Anschaulichkeit in diesen Gedichten erst errungen
werden muss.
Es
ist eine Transparenz zweiten Grades, die es nach und nach ermöglicht, die
Wirklichkeit der Texte von innen her, mit einer gewissen idiomatischen
Vehemenz, zu beleuchten, und gleichzeitig – hierin liegt für mich die
erfrischend wider-sprüchliche Eigenart von Pinkes ansonsten durchaus rigoros verfahrender
Poesie – erschließt sich gerade aufgrund der geleisteten Verfremdung die
verspielte Kehrseite in manchen der Gedichte, die für mich zu den stärksten
zählen, ihre kühle Gelöstheit als Gegengewicht zu den strengen Facetten des in
ihnen entwickelten Idioms. Die inheränte Dramaturgie des Bandes ist letztlich
darauf angelegt, dass dieser als Ganzes, als vom Beginn bis zum Schluss
durchkomponiertes Wahrneh-mungsexerzitium gelesen wird, und dennoch möchte ich hier,
stellvertretend für manch andere der Texte, noch ein Beispiel geben, um das
Gesagte zu veranschaulichen.
Im
Sinne der benannten Doppelbödigkeit der Texte empfinde ich etwa das Gedicht
„Unfrankiert“ aus dem ersten Teil des Bandes als exemplarisch, indem es den
hybriden Kosmos von Pinkes Poesie in all ihrer Reflexivität auch unmittelbar
szenisch greifbar macht. Bereits die erste Zeile veranschaulicht das kommende
Szenario: „Streik der Postboten im Bett“ – und gleich die folgenden Verse
veranschaulichen dank ihrer hintergründigen Anschaulichkeit auf beinahe
slapstickhaft plastische Weise, dass sich hier die Szenerie einer widersprüchlichen
Liebe entfaltet: „Gewerkschaftstagung im schrumpfenden Raum / zwischen der Haut
zweier. / Sie denken, ihr Puls stempelt nicht. / Aber er gerät aus dem
Gehörsinn / unters Trommelfell. / Von weitem stößt unter die Decken / das Tamtam
aneinanderklatschender Register.“ Diese Nahaufnahme wird perspektivisch erweitert
durch die Erkundung des Zimmers, in dem all das geschieht, und durch diese
Öffnung wird ein mögliches, vielleicht versöhnliches, vielleicht misslingendes
Ende dieses „Streiks“ in hoher bildlicher Auflösung erfahrbar: „Durch das
einzige Fenster muss der Feind kommen. / Durch das zweite kann er ja nicht. /
Schräges zweites Fenster / für Brieftaube.“