Leander Steinkopf: Stadt der Feen und Wünsche
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Fabian Widerna
Leander Steinkopf: Stadt der Feen und Wünsche. Berlin (Hanser Berlin) 2018. 112 Seiten. 16,00 Euro.
Bloß vorwärts, immer gemächlich …
Es ist kein Raum plumper
Sehnsüchteleien, den der Erzähler in Leander Steinkopfs Stadt der Feen und Wünsche, im Frühjahr 2018 im Berliner Hanser
Imprint erschienen, einigermaßen lakonisch bis zynisch durchwandert. Dabei
erhält die Figur Profil gerade dadurch, wie sie sich, und wenn manchmal nur
unterschwellig, von den sie umgebenden Berlin(um)welten immer wieder ab- oder
sich selbst aus der Gesellschaft der anderen ausgrenzt.
Dabei benötigt der Erzähler im Rahmen der Alltäglichkeit
seiner neben Gelegenheitssex und Partybesuchen vor allem flanierenden
Bewegungen durch die Stadt keine Exposition, gefühlt keinerlei
Überraschungsmoment oder noch so krude Rechtfertigung für die relative Ziellosigkeit, die ihn
einzunehmen scheint; einen Handlungsbogen gibt es nicht. Zu guter Letzt gesteht
der Erzähler sich das mit dem bereits im Umschlagstext verwerteten Schlusssatz selbst
ein: „Und noch an jedem Tag, an dem ich Großes vorhatte, habe ich es gleich am
Morgen sein gelassen.“ (111); wobei der Text gerade diesen in seiner
angedeuteten Serialität bereits pathetischen Moment, das kann man dem Erzähler
immerhin zu Gute halten, konsequent ausspart.
Wie schon der Titel des schmalen Bands lässt sich daher auch
das vorangestellte Motto aus Walter Benjamins Berliner Kindheit um Neunzehnhundert abseits von dessen
geschichtsphilosophischem Anspruch einer gewissen Prädestination der Menschen
dafür, an der Erfüllung der Kindheitswünsche mehr als nur mehr oder weniger
bewusstlos entlang zu leben, eher als ironischer bis zynischer Kommentar auf
den darauffolgenden Text lesen. Während Benjamins Erzähler die Allegorie der
Fee gerade dafür benötigt, auf allerdings sehr warme Weise den Widerspruch zu
ironisieren, den die Gegenüberstellung der Bedürfnisse des Berliner Kindes und
der Anforderungen an die Realität des Erwachsenen ergibt, benötigt Steinkopfs
Ich-Erzähler so viel Vergangenheit als Richtungsweisung der Zukunft der
Gegenwart eigentlich nicht – vielmehr und wenn schon überhaupt, arbeitet dieses
Ich sich an den Differenzen ab, die aus dem Vergleich der Betrachtung des
eigenen Lebens mit der unaufholbaren Agilität der anderen resultiert. Meist fallen
die daraus hervorgehenden Urteile (eher) pauschalisierend aus, gefolgt von
einem nicht unwesentlichen Maß an Misanthropie:
Mitte ist voll mit Radfahrern, die belästigen mich mit ihrem besserwisserischen Klingeln, wenn man ihnen auf den Radweg latscht, mit diesem hochgezüchteten Individualismus […]. Die Radfahrer verpesten die Umwelt mit ihrer Vorbildlichkeit. (34)
Die Stelle steht im Grunde
symptomatisch für die Haltung der Erzählerinstanz auch allen anderen
Peripherien seiner Tage in Berlin gegenüber; und das ist vielleicht ein
Hauptproblem dieses Texts: dass es vom Faktum der Stadt und der Rastlosigkeit,
mit der er an ihrer Topographie entlangflaniert, abgesehen, kein eigentliches
Zentrum der Erzählung gibt, und mit wenigen Ausnahmen keine Geschichten, die
den Straßen, Parks, Wohnungen und sonstigen Lokalitäten Tiefe verliehen, die über
den beiläufigen Zynismus des Auftretens des Erzählers in ihnen hinausginge.
Unzweifelhaft lässt die Person
des Erzählers sich nicht allein auf diesen Eindruck reduzieren, dem, das sollte
dennoch betont werden, der durchgehend überwiegend parataktische Stil
allerdings Vorschub leistet.
An der Ampel stehe ich neben so einer Unterschichtsscheuche. Die Haare sind ungeschnitten, die Farbe ist zehn Zentimeter ausgewachsen, die schwarzen Leggins sind grau gedehnt, der dicke Hintern ist nicht rund, sondern hügelig wie eine Daunendecke, die man aufschütteln muss, und als es grün wird, bemerke ich die Cordpantoffeln an ihren Füßen. Wahrscheinlich steht sie auf der Stipendiatenliste eines Klischeefördervereins, denke ich mir, da sehe ich die kleine Tochter an ihrer Hand, die hat einen Schulranzen voller Reflektoren, Spängchen im Haar und strahlende Kleider in Rosa und Grün. Sie sieht aus wie die leuchtende Zukunft. Und ich stehe da und staune, bis es schon wieder rot ist. (49f.)
Die Stelle ist insofern in
axiologischer Hinsicht interessant, als das Überraschungsmoment der Wahrnehmung
der kleinen Tochter den Erzähler nach absatzlang und verstärkt durch den
generationalen Kontrapunkt äußerst tendenziöser Herstellung eines an
Oberflächen entlanggleitenden Von-oben-herab, lediglich und stark raffend ein
Dutzend Wörter lang aufhält, bevor der folgende Absatz sich, in platter
Nostalgie mündend, ansonsten aber vergleichbar über die Oberflächen
fortschreitenden Verfalls ergeht. Perfide ist das deswegen, weil er die eigene
Nostalgie einer „fast endlose(n) Sonntagsruhe“ im Wedding des geteilten
West-Berlins den „Alteingesessenen“ unterschiebt, um daran wiederum, immerhin
eingeführt durch ein „muss das gewesen sein“ eine Version eines
Früher-besser-Gewesenen aufzuhängen und kommentarlos in die eigene Erfahrung zu
überführen, „ (w)enn ich am Sonntag meine üblichen Werktagswege nehme“. Der
knappe, über gelegentliche Pejorative hinaus metaphernarme Stil setzt dem Leser
dabei wenig entgegen, das daran hindern könnte, derartige Passagen nahtlos in
die sonstigen Lakonien, Misanthropien und Zynismen einzureihen, die den Wegen
des „absichtslose(n) Flaneur(s)“ , „zärtliche(n) Menschenfeind(s)“ und
„romantisch veranlagte(n) Pessimist(en)“, wie der Verlag den Protagonisten
betitelt, eine differenzierbarere Struktur verweigern.
Das ist sicher nicht
unbeabsichtigt, die Figur nicht als Sympathieträger angelegt, gleichzeitig aber
permanent darauf aus, eine ideologisch unüberwindbare Grenze zwischen sich und
den Menschen wenn schon nicht zu errichten, so doch als gegeben zu reflektieren
und wenn nur im teleologischen Sinne zielgerichteter Existenzen, deren
Anschluss sie irgendwann verloren hat.
Entgegen aller Kritik spricht natürlich nichts dagegen, die
Erzählung als psychographischen Gedanken- und Reflexionsstrom eines
Randständigen abseits zumindest der meisten professionellen Anforderungen an
Subjekte einer deutschen Mittelschichtsgesellschaft, der er, Achtung Vorurteil,
zu entstammen scheint, ernstzunehmen, dann aber als wenig mehr.