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Latinale 2017 - Mayra Oyuela: XVIII

Werkstatt/Reihen > Reihen > ´Barrio latino

Foto: Daniel Mordzinski


Mayra Oyuela

Aus dem honduranischen Spanisch von Sarah Otter


XVIII

Mutter: Niemand glaubt noch an mich, die weisen Männer, die meinen Gesang verehrten, sind
tot. Da ist eine Truhe voller Kugeln unter meinen Augenlidern, da ist ein Leuchtturm im
Zipfel meiner Bluse, da hängen Stoffreste deiner Kleider im Fenster, da ist ein Brand in
meinem Gedächtnis, er verscheucht die Vögel, die meine Glut bewohnen.
Mutter, da ist ein Grab in unserer Geschichte, wo der tote Großvater und alle seine Toten
zwischen Dornen ungesagter Dinge blühen.
Ich versuche nur, diesen Teufelskreis zu begraben, in dem wir Frauen unseren Drang zügeln,
um gute Geliebte zu sein. Ich möchte die Welt besitzen, möchte meine Stimme mit dem Wind
verschmelzen, möchte Erbin sein, um deine Geschichte fortzuschreiben.
Mutter, sei nicht gekränkt, wenn ich dir sage, dass ich mein eigenes Land bin, dass ich keine
Landesgrenzen habe und nicht aufhören werde zu sagen, dass ich auch die Tochter anderer
Gesänge bin.
Da ist ein Brand, der in meinem Gedächtnis lodert, da ist eine Flamme, die in meinem Wort
lodert, da sind Tote, die mich jeden Sonntag erwarten und wollen, dass ich mich endlich in
den Tod stürze.
Mutter, daher schreibe ich, wie eine Besessene, ich schreibe, um zu sagen, dass wir keine
Märchen sind, ich bin einer einzigen Sache hörig, der Dichtung, und ich mache das, was
Elytis sagte: „Ich schreibe, damit der Tod nicht das letzte Wort hat.“

XVIII

Madre  ya nadie cree en mí, los hombres sabios que amaron mi canto, han muerto. Hay un
baúl lleno de balas bajo mis párpados, hay un faro en la esquina de mi blusa, hay retazos de
tus vestidos colgando en la ventana, hay un incendio en mi memoria, ahuyentando los pájaros
que habitan mi ardor.
Madre, hay una tumba en nuestra historia, donde el abuelo muerto con todos sus muertos
florecen entres espinas de cosas jamás dichas.  
Yo sólo busco enterrar este círculo de vicios, en el que todas domesticamos nuestro ímpetu
para ser buenas amantes. Yo quiero ser dueña del mundo, quiero fundir mi voz con el viento,
quiero ser legado para continuar tu historia.
Madre, no te molestes cuando te digo que soy mi propio país, que no tengo frontera y que no
pienso dejar de decir que también que soy hija de otros cantos.
Hay un incendio ardiendo en mí memoria,  hay una llama ardiendo en mi palabra, hay
muertos que me esperan cada domingo y me piden que me suicide de una sola vez. Madre,
por eso escribo, como poseída, escribo, para contar que no somos fabula, soy obediente a una
sola cosa, a la poesía, y hago lo que Elýtis dijo: “Escribo para que la muerte no tenga la última
palabra”

Mayra Oyuela, geboren 1982 in Tegucigalpa, Honduras, ist Dichterin, Kulturvermittlerin und aktuell Mitherausgeberin bei Casasola. Leiterin der Zeitung für politische Kunst und Kultur Lastiri und das Projekt Bisonte-Alado-Producciones. Ehemaliges Gründungsmitglied des künstlerischen Widerstandskollektiv Artistas en Resistencia und Paíspoesible. Von ihr erschienen die Gedichtbände Escribiéndole una casa al barco, Ediciones Il Miglior Fabbro, Puertos de arribo, Casa de Poesía, Costa Rica.


Mayra Oyuela
ist mit der Latinale 2017 in Berlin am 19.10. um 18 Uhr im  Ibero-Amerikanisches Institut, Simón-Bolívar-Saal,
sowie am 20.10. um 19:30 Uhr in der Lettrétage,
sowie am 22.10. um 11 Uhr in der Buchhandlung Amarcord.


Zusammengestellt von Timo Berger, Rike Bolte und Laura Haber


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