Lali Tsipi Michaeli: Zwei Gedichte
Montags=Text
Lali Tsipi Michaeli
2 Gedichte
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer
Gedicht für einen palästinensischen Dichter
Lieber Freund,
ich reiche dir mein Gedicht wie ein blutendes Stück Fleisch vom Rande meines zerfetzten Körpers.
Die Mitternacht setzt eine Grenze zwischen uns.
Du sagst „ich bin von hier“ und fragst mich
und woher kommst du? woher kommst du?
Du lebst doch auf meinem Erdboden
der Wind entreißt mir meine aufgerührten Jahre in diesem bestialischen Staat
der mich kreuz und quer durch die Welt schickt mich säugt
an der Brust von Mutter Erde.
Ich? Du willst wissen, wo ich herkomme?
Ich bin von hier.
Ja, ich bin seit Generationen von hier. Dank der königlichen, verstaubten Historie bin ich von hier.
Während meine Brüder überall auf dem Globus hingerichtet werden.
Wie gut bist du unterrichtet über unsere Geschichte?
Weißt du was hier war, bevor du diese Erde betreten hast?
Bevor dein Großvater diese Erde gepflügt hat?
Du sagst, man hätte euch Land geraubt. Stimmt, hat man. Auf menschlicher Ebene ist es mir leid
schmerzt es mich und ich begreife deine Wunde. Doch vergib mir
denn ich bin verfolgt und wollte zurück zu meinem sicheren Stückchen Land.
Ich bin Jüdin. Dies ist mein einziges Land.
Wie weit ich auch entfloh, stets verfolgte mich ein anderes Volk, eine andere Religion.
Ich wanderte umher, mit abgehackter Gewissheit, enthauptetem Land.
Vielleicht ist dies dein Heimatland, doch Wasser, Staub, Fels und Kurkar sind seit 5000 Jahren mein.
Hier wurde ich gezeichnet. Für Generationen mein Schicksal besiegelt. Hier begann die Verbannung.
Nach Osten betete ich. Sehnte ich mich.
Im Exil verbarg ich meine Herkunft um gerettet zu werden. Verschmolz mit dem Mob eines
Ersatzvolkes.
Mein Visum bekam ich für hier ‒ in der Sowjetunion hatte man mir Jahre lang nur „Nijet“ gesagt.
Wie dem auch sei: Dein Leid ist auch mein Leid.
Wie hast du geschlafen? Fragst du mich morgens per Whatsapp. Noch bevor die Sonne gähnte.
Mein Traum durchwanderte die Welt. Überquerte einen Ozean, Wadis und Weinberge. Übersprang
Mauern Verträge und Kriegsfetzen. Mangelndes
Verzeihen sprach fremde Sprachen. Nur die Liebe hatte eine Sprache.
Auch mich suchen die Schatten heim. Auch ich bin ein Opfer hinter der Tarnmaske eines Siegers.
Schreib, Dichter! Schreib alles!
Ich gieße meine Tränen in deine Tinte und punktiere mit deinen Tränen meine Verse.
Dichtung ist die einzige Form von Autonomie die uns bleibt in einer immer düster werdenden Welt.
Der einzige Streifen Freiheit. Alleinige Ort. Die letzte Rettung. Auch wenn du an Erlösung nicht glaubst.
Bist ja ein Anarchist dem nur eine vernarbte Hand und vor allem Liebe etwas gilt.
Bereit mich zu treffen auch wenn ich historisch gesehen deine Feindin bin.
Wie hast du geschlafen, mein Freund?
Hast du schon gegessen?
Was machst du jetzt?
Und was machst du?
Ich spiele jetzt Klavier, schau
ich spiele Flöte, lausche
Wir hören uns.
Wir hören uns.
Mein geheimer Geliebter, du
ein Anarchist der mich verbessert
seine Sprache in meine Sprache
er der mich nie sehen wird auf seinem Erdboden
er den ich nie sehen werde auf meinem Erdboden
doch unsere Stimmen wabern
wie Feuergarben in der Welt
deine Geschichte wird geschrieben
mit Tinte aus der Fabrik meiner Liebe.