Kristin Eichhorn: Johannes R. Becher und die literarische Moderne
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Jan Kuhlbrodt
Kristin Eichhorn: Johannes R. Becher und die literarische Moderne. Eine Neubestimmung. Bielefeld ([transcript] Verlag) 2020. 292 Seiten. 40,00 Euro.
Eine Neubestimmung des Werkes und des Dichters Johannes R. Becher
Becher zwischen Brecht und Benn
Es ist schon erstaunlich, dass zwei der wichtigsten Figuren der frühen DDR-Literatur und Kulturpolitik Bayern waren, Man könnte sagen, das Herz der DDR-Literatur wurde zwischen München und Augsburg geboren, denn aus Augsburg stammt B. Brecht und aus München Johannes R. Becher. Und sie standen wohl auch in den Anfangsjahren der DDR, den Aufbaujahren, denen sie beide Gedichte gewidmet haben, in einem divenhaften Konkurrenzverhältnis. So berichtet Günter Kunert, der anfangs von Becher protegiert wurde, in seiner Autobiografie, dass Becher den Kontakt zu ihm sofort abbrach, als er spitz bekam, dass er auch Verbindung zu Brecht aufgenommen hatte.
Aber das ist Kulturklatsch. Wichtiger ist die Entwicklung beider Rezeption nach deren jeweiligem Tod in den Fünfzigerjahren. Während die Brechtrezeption sich heute auf einem hohen Level bewegt, ist die Rezeption Bechers nahezu zum Ende gekommen. Sukzessive und eigentlich schon in der DDR: Er wurde in den späten Siebzigern im Schulunterricht zwar noch genannt, aber im Grunde nicht mehr behandelt. Zumindest in meinem Deutschunterricht nicht. Ich kann mich noch an ein expressionistisches Gedicht von ihm erinnern, das euphorisch die Oktoberrevolution begrüßte; und an einige von Eisler vertonte Texte aus dem Zyklus Neue Deutsche Volkslieder. Becher wurde letztlich zu Gunsten anderer (minderer) Dichter wie Kuba oder Weinert abgebaut.
Auch die Nationalhymne der DDR wurde ab 1970 nicht mehr gesungen, da der Text ein vereintes Deutschland beschwor und man in der SED aber beschlossen hatte, von einer sozialistischen Nation auf deutschem Boden zu sprechen.
Nun ist es so, dass Brecht, vor allem auf Grund seiner Theaterarbeit, weltweit rezipiert wurde. Und die Becher-rezeption sich auch räumlich immer mehr einschränkte. Als Kommunist, Sowjetemigrant und DDR-Kulturfunktionär, er war in der DDR eine Zeitlang Minister, wurde er in der BRD natürlich ignoriert. Auch wenn er aus München stammte.
Die DDR scheint nun lange genug verschwunden, dass man sich einigen ihrer Protagonisten neu zuwenden und ihnen eine historische Gerechtigkeit widerfahren lassen kann.
Die Germanistin Kristin Eichhorn legte nun im [transcript] Verlag in der Reihe Lettre ein Buch mit dem Titel „Johannes R. Becher und die literarische Moderne“ vor. Im Untertitel heißt das Buch: „Eine Neubestimmung“. Und das ist es auch.
Und es ist letztlich auch eine
Dekonstruktion des immer noch in den Köpfen dräuenden romantischen
Dichterideals, dem eine Vorstellung des Dichterlebens von Jugend bis zur
vollendeten Entfaltung anhängt. Wohl kein anderer Dichter unterläuft diese
Vorstellung so wie Johannes R: Becher. Sein Werdegang ist gekennzeichnet von
Abbruch und Neuerfindung. Von Korrespondenz und Versuch. Aufnahme anderer
Positionen und deren Verarbeitung und einem, wenn nicht steten, so doch häufigen
Wechsel der dichterischen Ideale. Er hebt mit einer Dehmel-Orientierung zu
schreiben an, verlässt diese aber in Richtung Expressionismus, findet sich in
religiöser Motivik, sucht in den Avantgardebewegungen der Zwanzigerjahre, geht
zurück auf die Klassik, den Barock, und das alles in höchstem Maße produktiv.
Ein Gedichtband nach dem anderen entsteht. Und immer wieder gibt es
Rückbesinnungen. Zum Beispiel auf Dehmels Romane in Versen. Und eine ungeheure
Sonettproduktion.
Aufgrund dieser Wandlungen Bechers
und seiner produktiven Reaktion auf Zeitgenossen, wie zum Beispiel auch die frühe
Prosa von Emmy Hennings, ist das Buch zugleich auch ein Abriss der
Literaturgeschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Eichhorn stellt diesen Gang in
verschiedenen Schleifen dar, vor dem Hintergrund, der politischen Geschichte
zum einen, vor dem der individuellen Autorenbiografie und vor dem Hintergrund
der Entwicklung der Dichtkunst, beziehungsweise der Kunst im Allgemeinen, zum
Beispiel des Einflusses der Fotografie und der Montagearbeiten in den späten
zwanziger Jahren. Dabei erweisen sich Motive, die man auf den ersten Blick
autobiografisch einordnen würde, bei näherem Hinsehen als dem literarischen
Diskurs geschuldet.
Interessant bei alldem ist zum
Beispiel auch der Vergleich der Rezeption Benns. Benn und Becher kannten sich, waren
beide als Expressionisten gestartet, und Benn hatte Becher Ende der
Zwanzigerjahre zu einem Rundfunkgespräch eingeladen, in dem beide ihre
Positionen aufein-anderprallen ließen. Becher hatte sich inzwischen der
Kommunistischen Partei angeschlossen und sah seine Dichtung mit einem Auftrag
versehen, der mehr oder weniger einem Parteiauftrag entsprach. Benn hielt
dagegen an seiner Autonomie fest. Ein paar Jahre später suchte Benn zumindest
vorübergehend die Nähe zu den Nationalsozialisten und Becher ging ins Exil in
die Sowjetunion.
Merkwürdigerweise wurde im Verlauf
der Geschichte Benn der Faschismus verziehen, Bechers Kommunismus aber blieb
ständiger Vorwurf. Als Argument dafür galt, dass Benn als Dichter höher
rangiere. Das mag in gewisser Hinsicht stimmen, weil sich das Bennsche Werk als
geschlossener erweist. Aber wenn man die Darstellung Bechers durch Eichhorn
liest, erfasst man auch die Bewegungen Bechers, und eben seine Beweglichkeit,
und das lässt nicht nur seine Person, sondern auch seine Dichtung in einem neuen
Licht erscheinen. Und das Ganze las sich für mich so spannend wie ein Roman.